Seit 2005 können die
Menschen in Estland elektronisch abstimmen. Was haben Sie für Erfahrungen
gemacht?
Das Programm wird immer populärer. Inzwischen geben rund ein Drittel der Menschen in Estland
ihre Stimme per Internet ab.
Sind das vor allem junge
Wählerinnen und Wähler?
Anfänglich waren es tatsächlich vor allem junge Männer, die so
abgestimmt haben. Das hat sich geändert. Inzwischen entspricht das Profil des
Internet-Wählers dem Profil des durchschnittlichen Wählers: Alte und Junge,
Frauen und Männer sind gleichermassen vertreten.
Sind ältere Menschen nicht
überfordert?
Überhaupt nicht. Das System ist sehr einfach zu bedienen. Und es ist vor
allem auch sehr bequem. Niemand muss sich mehr bei Wind und Wetter in ein Stimmlokal begeben. Gerade deswegen
wird das Programm immer beliebter.
Ein solches Programm muss
nicht nur einfach zu bedienen, es muss auch sicher sein. Lässt sich das unter
einen Hut bringen? Ist die Gefahr des Wahlbetrugs nicht sehr gross?
Nein. Das System setzt voraus, dass der Wähler gleichzeitig einen Computer und sein Smartphone einsetzt.
Das verhindert, dass man es mit einem Trojaner überlisten kann und macht das
ganze System sehr sicher. (Ähnliche System werden in der Schweiz von Banken für
den elektronischen Zahlungsverkehr eingesetzt. Anm. d. Red.)
Seit bekannt ist, dass
Russland die US-Wahlen beeinflusst hat, herrscht weltweit Angst vor Wahlmanipulation
durch fremde Mächte. Gerade Estland wurde ja einst Opfer einer russischen
Cyberattacke.
Russland hat in den USA nicht das technische System angegriffen,
sondern versucht, die Menschen in
ihrem Wahlverhalten zu manipulieren. Deshalb kann ich keine Gefahr für das
System erkennen. Wir können unser politisches Wahlsystem genauso effektiv
schützen wie die Banken ihr System zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs.
In der Schweiz ist die
Skepsis gegen ein Wahl- und Abstimmungsverfahren per Internet sehr gross. Wie
kann diese Skepsis überwunden werden?
Überhaupt nicht. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich diese Systeme
überall auf der Welt durchsetzen werden.
Weshalb? Die Schweizer
Demokratie hat bisher auch ohne Internet bestens funktioniert.
Ja, aber mit einem elektronische Wahl- und Abstimmungsverfahren wird
sie dereinst noch besser funktionieren.
Was ist mit der Angst vor
Big Brother? Vielen Menschen ist die Vorstellung nicht geheuer, dass die
Regierung weiss, ob und wie ich abgestimmt habe.
Das ist eine eingebildete Angst. Unser System ist inzwischen so
verlässlich, dass wir eine solche Überwachung ausschliessen können.