Im Sommer 2021 entliess die Swiss 334 Flugbegleiterinnen. Gleichzeitig wurden viele Mitarbeitende frühpensioniert. Die Airline begründete diesen Schritt mit einem strukturellen Rückgang der Nachfrage. Swiss-Konzernchef Dieter Vranckx meinte damals, die Entlassungen seien unumgänglich, um die finanzielle Profitabilität der Swiss wiederherzustellen. «Wir haben keine andere Wahl», sagte Vranckx damals.
Mit Kurzarbeit wollte der Swiss-CEO das Problem nicht lösen. Dies sei ein Mittel zur kurzfristigen Hilfe, sagte er in einem SRF-Interview. «Langfristig ist die Kurzarbeit keine Lösung, es braucht strukturelle Anpassungen im Konzern.»
Nun, zwölf Monate später, ist das Coronavirus weitgehend aus den Köpfen der Leute verschwunden. Die Nachfrage nach Flugreisen ist massiv angestiegen. Stärker, als man bei der Swiss erwartet hat. Am Montag musste die Airline bekannt geben, dass sie Hunderte Flüge streichen oder anderen Fluggesellschaften übergeben muss. Grund dafür sind Personalengpässe.
Jene Leute, die vor einem Jahr entlassen wurden, fehlen jetzt, um einen geregelten Flugbetrieb zu garantieren. «Genau davor haben wir vor einem Jahr gewarnt», sagt David Martinez von Kapers, der Gewerkschaft für das Flugpersonal. Als die Swiss vergangenen Sommer die Entlassungen ankündigte, warnte Kapers die Konzernleitung im Konsultationsverfahren vor Personalengpässen. «Unsere Stellungnahme liest sich wie eine Prognose», meint Martinez heute. «Das Management hätte besser auf uns gehört, aber das hat es nicht getan.»
Mit ein Grund für den Personalmangel ist die hohe Fluktuation beim Kabinenpersonal. Viele kehren dem Beruf wegen schlechter Arbeitsbedingungen den Rücken zu. Seit April tragen einige Flugbegleiterinnen Protest-Pins mit einem Zitronen-Sujet. Die Message: «Die Zitrone ist ausgepresst!»
Die Arbeitsbedingungen müssten sich verbessern, sagt auch Martinez. Sonst dürfte es schwierig werden, langfristig genügend Kabinenpersonal zu finden. Der Gewerkschafter kritisiert die Ferien- und Arbeitsplanung bei der Swiss. Das Kabinenpersonal erhalte den Arbeitsplan für den kommenden Monat jeweils erst eine Woche vorher. «Das ist das gesetzliche Minimum», so Martinez. «Die Swiss gehört da zu den Schlusslichtern Europas.» Bei der Edelweiss wisse man den Arbeitsplan bereits 14 Tage vorher.
Vielen Flugbegleitern stosse auch sauer auf, dass ein Fünftel der Ferien unbestätigt sei, sagt Martinez weiter. Man wisse erst am 24. des Vormonats, ob man im nächsten Monat in den Urlaub dürfe. «Das Obligationenrecht ist schwammig formuliert, was die Ferienregelungen betrifft. Und die Swiss macht sich dies zunutze.»
Die Fatigue sei beim Kabinenpersonal hoch, erzählt Martinez. Zudem seien Flugbegleiterinnen im Arbeitsmarkt derzeit sehr gefragt. Es gebe viele offene Stellen, auch für Quereinsteigerinnen. Deshalb würden sich viele für Alternativen entscheiden.
Bei der Swiss selbst will man nichts von Fehlern wissen. Auf die Frage, ob man sich mit den Massenentlassungen verkalkuliert habe, antwortet Mediensprecher Michael Stief lediglich: «Die Entscheidungen wurden auf Basis der damals vorliegenden Informationen getroffen. Sie waren unumgänglich und haben zu der notwendigen Kostensenkung beigetragen.»
Welche Massnahmen werden getroffen, um den Personalmangel zu beheben? Gegenüber watson erwähnt Swiss eine ganze Palette an Massnahmen. So habe man zum Beispiel in San Francisco und Los Angeles ab Mai wieder zwei Nächte Aufenthalt eingeplant. Hinzu kommen die Wiedereinführung der Spesenentschädigungen bei Frühabflügen und Spätankünften sowie der Überstundenpauschale. Weiter sind auch zusätzliche Unterkünfte für die Crew in Zentrumsnähe vorgesehen. Dies alles im Rahmen einer grossen Rückholaktion: «Seit Anfang Jahr rekrutieren wir wieder neue Cabin Crew Member, zudem kehren über die Hälfte der entlassenen Kolleginnen zu Swiss zurück», sagt Stief.
Aviatik-Experte Hansjörg Bürgi ist ob des Wirbels um die gestrichenen Flüge etwas überrascht. «Man hat ja gesehen, dass das kommen wird», sagt der Chefredaktor von SkyNews.ch. Halb Europa kämpfe mit Personalengpässen bei der zivilen Luftfahrt. «Die Swiss ist nicht allein mit diesem Problem.»
Immerhin informiere die Swiss ihre Passagiere frühzeitig, sagt Bürgi. «Sie handelt proaktiv.» Ganz im Gegensatz zur KLM etwa. Die niederländische Airline strich über Pfingsten kurzfristig Dutzende Flüge, damit am Flughafen Schiphol kein Chaos ausbrach. «Die Zeiten sind sowieso vorbei, in denen man ein Jahr im Voraus buchen konnte und genau wusste, wann man fliegt», gibt Bürgi zu bedenken.
Und das Management hat es Fehler gemacht, als es vergangenen Sommer die Massenentlassung anordnete? «Im Nachhinein ist man immer gescheiter», sagt Bürgi. Man habe damals nicht wissen können, wie lange die Pandemie noch andauern würde.
Martinez von Kapers ist da entschieden anderer Meinung: «Die Swiss handelt nicht proaktiv, sondern reaktiv. Man hätte die Leute vor einem Jahr nicht rausstellen sollen. Das Management hat ganz klar Fehler gemacht.»
Wenn sich das bewahrheitet, dann vergeht meine Lust am Fliegen ganz schnell. Muss ja nicht ein Jahr im Voraus sein, aber wenn z.B. der Sommerflugplan veröffentlicht wird, muss man sich doch dann darauf verlassen können, dass man auch wie gebucht fliegen kann, wenn es keine pandemieähnlichen Vorfälle gibt.