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Migros-Personalchef: «Es fehlt überall an Leuten»

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Verzweifelt gesucht: Kassierinnen bei der Migros.Bild: keystone

Migros-Personalchef: «Es fehlt überall an Leuten»

Neue Mitarbeitende zu finden ist das eine, sie zu halten das andere: Die Migros, die grösste private Arbeitgeberin in der Schweiz, ist im Arbeitsmarkt hart gefordert. Wie Personalchef Reto Parolini die schwierige Aufgabe meistern will.
05.11.2022, 11:14
Florence Vuichard / ch media
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Die Vielfalt des Angebots ist gross, gesucht werden Logistikerinnen, App-Designer, Buchhalterinnen, Kassierer, Fachverkäuferinnen für die Käsetheke und viele mehr. Insgesamt 1895 Jobs sind derzeit im schweizweiten Migros-Universum ausgeschrieben. Problemlos besetzt werden können nur die wenigsten. «Es fehlt überall an Leuten, noch nie waren so viele Berufe betroffen», sagt Migros-Personalchef Reto Parolini.

Reto Parolini ist Personalchef bei der Migros.
Reto Parolini ist Personalchef bei der Migros. bild: markus bertschi
«Es fehlt an Metzgern, Velomechanikerinnen, an Servicepersonal.»

Das Gleichgewicht dürfte auf dem Arbeitsmarkt nicht so schnell wieder ins Lot kommen – im Gegenteil: Bis in zehn Jahren fehlen in der Schweiz total 500'000 Arbeitnehmende, wie der Arbeitgeberverband ausgerechnet hat. Bis 2050 sollen es gar 1.3 Millionen sein.

Denn: In Zukunft gehen viel mehr Menschen in Pension, als neue nachkommen. «Wir leiden nicht mehr unter einem Fachkräftemangel, sondern ganz generell unter einem Arbeitskräftemangel», sagt Parolini, verantwortlich fürs Personal beim mit 97’500 Angestellten grössten privaten Arbeitgeber der Schweiz.

Drei Viertel der Jobs sind Blue Collars

Erstmals seit Beginn der Datenerhebung vor knapp 20 Jahren vermeldet der Bund mehr offene Stellen als arbeitslose Personen. Und das trifft die Migros besonders stark, wie Parolini betont. «Drei Viertel unserer Angestellten sind Blue Collars», also Büezer, Handwerker, Menschen, die nicht im vermeintlich gemütlichen Büro einer Tätigkeit nachgehen können, sondern mit gemeinhin als unattraktiv empfundenen Arbeitsbedingungen umgehen müssen. Es seien Stellen mit Schichtarbeit, körperlich anstrengende Jobs, Arbeiten, die teilweise in unfreundlichen Arbeitsumfeldern wie etwa in kalten Lagerstätten gemacht werden müssen.

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Die Lager-Bewirtschaftung leidet unter Personalmangel.Bild: keystone

Die Besetzung der Stellen war vor noch nicht allzu langer Zeit kein Problem, die Migros konnte es sich erlauben, Blindbewerbungen gar nicht erst zuzulassen. Doch das geht nun nicht mehr. «Die Vorzeichen haben sich verändert, es ist ein Arbeitnehmermarkt geworden», sagt der Migros-Personalchef.

Neue Rekrutierungsmethoden sind gefragt

Das Demografie-Problem wurde durch das schnelle Wiederhochfahren der Wirtschaft nach dem Coronaschock jäh verschärft. Der Migros-Personalchef ist gezwungen, über die Bücher zu gehen. In einem ersten Schritt hat er mit seinem Team beurteilt, bei welchen Stellen der Arbeitskräftemangel besonders hoch ist. In einem zweiten Schritt wurde evaluiert, welche Massnahmen die grösste Wirkung auf die Job-Attraktivität und die Bedürfnisse der Arbeitskräfte haben könnten.

Dringender Handlungsbedarf ortet Parolini vor allem in jenen Tätigkeitsfeldern, in denen der Mangel akut und die Folgen für die Migros besonders schwer sind. Und er hat sich für die Logistik entschieden, namentlich für die Lagerbewirtschaftung. Hier testet die Migros nun neue Ansätzen in der Personalpolitik – und zwar von der Anstellung über die Zeit im Betrieb bis zum Austritt. Das Ziel aller Bemühungen: mehr neue Leute hinzuzugewinnen, möglichst keine verlieren und möglichst viele zurückholen, wenn sie dennoch weitergezogen sein sollten.

So prüft Parolinis Personalabteilung beim Rekrutieren von Lageristinnen und Lageristen neu wieder Blindbewerbungen, setzt Whatsapp-Kampagnen ein und hat ein Empfehlungsprogramm für die Mitarbeitenden ins Leben gerufen: Migros-Angestellte, die Leute für offene Stellen finden, erhalten eine Belohnung.

Das Verteilbetrieb im aargauischen Neuendorf ist ein grosser Arbeitgeber in der Region. Doch auch hier gilt: Mitarbeitende zu finden ist schwierig.
Das Verteilbetrieb im aargauischen Neuendorf ist ein grosser Arbeitgeber in der Region. Doch auch hier gilt: Mitarbeitende zu finden ist schwierig.bild: bruno kissling

Generationen Y und Z haben ganz andere Forderungen

Und dann geht es darum, die Menschen an Bord zu behalten. Und das ist eine fortwährende Aufgabe, wie Parolini betont. «Heute lassen sich die Menschen nicht mehr einfach so langfristig ans Unternehmen binden, sondern wir müssen sie immer wieder neu von uns überzeugen.» Etwa mit individuell gestalteten Arbeitszeiten und teilweise gar ohne Schichten oder Wochenendeinsätzen, mit mehr Weiterbildung sowie Transfers in andere Firmen und Jobs im weitläufigen Migros-Universum.

Diese Fragen gewinnen an Gewicht – insbesondere in Verhandlungen mit den Generationen Y und Z, also mit jenen, die zwischen 1980 und 1994 respektive zwischen 1995 und 2009 geboren sind. Diese seien viel fordernder als die älteren Generationen, sagt Parolini. «Wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, dann holen sie es sich woanders.»

Rentenalter 64: Reform ist absehbar

Zusätzlich verschärft wird der Personalmangel durch das bei der Migros für Männer und Frauen geltende Rentenalter von 64. Und da sich auch beim Detailhandelskonzern, wie überall sonst, ein Teil der Angestellten lieber früher als später in den Ruhestand verabschiedet, liegt das effektive Rentenalter sogar bei vergleichsweise tiefen 62 Jahren. Eine Regelung, die aufgrund der angenommenen AHV-Reform und angesichts der sich verschärfenden Arbeitskräfteproblematik diskutiert werden muss, wie Parolini betont. Das Rentenalter 64 sei auch in den nächsten Stiftungsratssitzungen der Migros-Pensionskasse traktandiert.

Die Diskussion sei unumgänglich, obschon sie nicht einfach werde. «Wir müssen neue Lösungen finden, um die Arbeitnehmenden länger und in höheren Pensen zu beschäftigen, ohne ihrer Gesundheit zu schaden», sagt Parolini und verweist etwa auf entsprechende Teilzeitmodelle. Nur mit Kreativität lasse sich der Anteil jener erwerbstätigen Personen erhöhen, die übers offizielle Rentenalter hinaus arbeiten wollen. Heute tun dies in der Schweiz gerade mal acht Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer.

Vereinbarkeit ist ein Problem

Länger arbeiten ist letztlich eines der drei Rezepte gegen Arbeitskräftemangel. Das zweite besteht darin, den Beschäftigungsgrad der Haushalte zu erhöhen. Parolini sieht hier zwei Hebel:

«Zum einen muss die Kinderbetreuung günstiger werden, denn heute ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz einfach noch immer zu teuer.»

Zum anderen brauche es einen ganzheitlicheren Ansatz. «Der reine Fokus auf die Frauenförderung greift zu kurz. Es bringt unter dem Strich nichts, wenn die Mutter ihren Beschäftigungsgrad erhöht und gleichzeitig der Vater seinen um gleichviel abbaut.»

Das dritte Rezept ist dasjenige, das die Schweiz in den vergangenen gut 20 Jahren angewendet hat – und zwar mit Erfolg: die Einwanderung. Doch der Zustrom an Personen stockt, denn erstens leiden die europäischen Nachbarländer an der gleichen demografischen Entwicklung wie die Schweiz, und zweitens ist es spätestens seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative im Frühjahr 2014 nicht mehr opportun, so jedenfalls lautet der politische Tenor – ganz zum Ärger der Wirtschaft. Auch Parolini plädiert für eine Lockerung bei den Drittstaatenkontingenten. «Eine solche sollte zumindest temporär geprüft werden», sagt er.

Parolini selbst will zwar weiterhin an Lösungen gegen den Arbeitskräftemangel arbeiten, aber nicht mehr bei der Migros. Er verlässt nach viereinhalb Jahren den grössten privaten Arbeitgeber per Ende Januar 2023. Bis dahin will er noch möglichst viel zur Besetzung der offenen 1895 Stellen beitragen.

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103 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jonaman
05.11.2022 12:06registriert Oktober 2017
Wieso liest man im Artikel nicht einmal das Wort "Lohn". Ach stimmt, das brauchen die Leute ja gar nicht zum Leben.
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Offi
05.11.2022 11:45registriert Januar 2018
Vielleicht sollte die Lohnpolitik mal überdacht werden. Die letzten Jahre waren beim Detailhandel nicht schlecht gelaufen … in der lohntüte der Mitarbeiter ist aber davon nicht viel bis gar nichts angekommen. Die Gewinne werden lieber andersweitig eingesetzt wie chancenlose Kampagnen zur Einführung des Alkoholverkaufs oder Sammelaktionen für chinesische Schrottspielzeuge ….
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Overton Window
05.11.2022 11:33registriert August 2022
Wenn die Unternehmen langsam merken, dass nicht sie uns, sondern wir ihnen einen Gefallen tun wenn wir bei ihnen arbeiten, ist das eine gute Entwicklung.

Ich lebe seit mehr als drei Jahrzehnten nach diesem Prinzip. Im Gegenzug dafür bin ich aber auch für mein Arbeitgeber da wenn es brennt, auch wenn ich es gesetzlich nicht müsste.
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