Die Entwicklung dürfte kaum aufzuhalten sein: Bald werden wohl selbstfahrende Autos in grosser Zahl auf unseren Strassen verkehren. Unabhängig von der Frage, ob damit die Verkehrssicherheit insgesamt zunimmt, wirft die Teilnahme von autonomen Fahrzeugen am Verkehr diffizile ethische Fragen auf.
Soll zum Beispiel ein selbstfahrendes Auto, wenn sich ein Unfall nicht vermeiden lässt, einen Fussgänger überfahren oder ausweichen und dafür – den Tod der Insassen in Kauf nehmend – in einen Abgrund stürzen? Fragen dieser Art bezeichnet man als «moralisches Dilemma».
Ein moralisches Dilemma liegt dann vor, wenn wir uns in einer Situation zwischen mehreren gleichermassen inakzeptablen oder zumindest unangenehmen Alternativen entscheiden müssen, die sich gegenseitig ausschliessen. Im Alltag dürften wir eher mit moralischen Konflikten konfrontiert sein, die zwar unangenehm, aber nicht existentiell sind. Wenn wir zum Beispiel entscheiden müssen, ob wir einem Bettler Geld geben oder besser nicht, gibt es gute Gründe gegen beide Optionen. Friedrich Nietzsche sagte deshalb über Bettler:
Um ethische Prinzipien auf den Prüfstand zu stellen, konstruieren Ethiker zuweilen Gedankenexperimente, in denen sie moralische Dilemmata in zugespitzter Form präsentieren. Wir stellen hier 7 davon vor. Achtung: Einige dieser Beispiele können als zynisch oder morbid empfunden werden. Es sind aber nur Gedankenexperimente.
Dieses berühmte Gedankenexperiment der britischen Philosophin Philippa Foot ist wie folgt angelegt: Ein ausser Kontrolle geratenes Tram rast die Gleise hinunter. Weiter unten arbeiten fünf Gleisarbeiter, die durch das Tram getötet werden, wenn es nicht durch eine Weiche, die sich oberhalb der Arbeiter befindet, auf ein anderes Gleis umgeleitet wird. Auf dem anderen Gleis befindet sich jedoch ebenfalls ein Arbeiter. Du stehst bei der Weiche und musst entscheiden, auf welches Gleis das Tram rollt. Was tust du?
Dies ist eine Variante des Gleisarbeiter-Dilemmas, die von der amerikanischen Philosophin Judith J. Thompson stammt: Eine ausser Kontrolle geratene Lore rast die Gleise hinunter auf eine Gruppe von fünf Gleisarbeitern zu, die alle umkommen werden, wenn die Lore nicht gestoppt wird. Du gehst gerade über eine Fussgängerbrücke, die zwischen der herannahenden Lore und den Arbeitern die Gleise überquert. Neben dir auf der Brücke steht ein grosser, korpulenter Mann. Die einzige Möglichkeit, die Arbeiter zu retten, besteht darin, den dicken Mann von der Brücke zu stossen, damit sein Körper auf den Gleisen die Lore stoppt. Dies wird jedoch seinen Tod verursachen. Was tust du?
In beiden Varianten steht ein Leben gegen fünf. Es gibt jedoch einen feinen, aber entscheidenden Unterschied: In der ersten Variante nimmt man den Tod eines Menschen in Kauf, um fünf Menschen zu retten; in der zweiten dient ein Mensch als Mittel zum Zweck. Tatsächlich würden die meisten befragten Leute im ersten Dilemma die Weiche umstellen, im zweiten aber den dicken Mann nicht von der Brücke stossen.
Wie problematisch die zweite Variante ist, wird vielleicht in einem ähnlich gelagerten Gedankenexperiment deutlich:
Ein Chirurg hat fünf Patienten. Sie alle werden bald sterben, wenn sie nicht ein Spenderorgan erhalten – jeder von ihnen ein anderes. Leider ist keines der benötigten Organe verfügbar. Da will es der Zufall, dass ein junger, gesunder Tourist eine kleine Verletzung behandeln lassen will. Der Chirurg stellt fest, dass die Organe des Mannes genau zu den fünf todkranken Patienten passen. Zudem kennt hier niemand den Touristen, so dass niemand den Chirurgen verdächtigen würde, wenn der Mann verschwände. Soll der Chirurg nun den Touristen als unfreiwilligen Organspender benutzen und mit dessen Organen die fünf Patienten retten?
Ein weiteres bekanntes Dilemma findet sich im Roman «Sophies Entscheidung» von William Styron:
Sophie kommt mit ihren beiden Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, ins Konzentrationslager. Ein sadistischer Aufseher sagt ihr, sie dürfe ein Kind behalten, müsse aber selbst entscheiden, welches von beiden. Sophie muss damit rechnen, beide Kinder zu verlieren, wenn sie keine Wahl trifft. Wie soll sie sich entscheiden?
Ein Terrorist hat an mehreren belebten Stellen der Stadt Bomben mit Zeitzündern gelegt und ist von der Polizei verhaftet worden, bevor die Sprengsätze detonieren. Der Mann schweigt jedoch eisern und will nicht verraten, wo er die Bomben platziert hat. Sollen die Verhörspezialisten den Mann nun foltern, um die Information noch rechtzeitig aus ihm herauszuholen und so das Leben von Dutzenden Unschuldigen zu retten? Falls ja: Wäre es auch gerechtfertigt, die unschuldige Frau des Terroristen zu foltern, falls dieser trotz der Folter nichts sagen will?
Im Jahr 2002 kam es in Frankfurt am Main zu einem Fall, der entfernt an das Terroristen-Dilemma erinnert: Ein junger Mann entführte einen elfjährigen Jungen, um von dessen Eltern ein Lösegeld zu erpressen. Er tötete das Kind und versteckte die Leiche, wurde aber nach der Übergabe des Lösegelds verhaftet. Er informierte die Polizei jedoch nicht darüber, dass der Junge bereits tot war. Die Ermittler gingen deshalb davon aus, dass dieser noch lebte, sich aber in seinem Verlies in Lebensgefahr befand, weil sein Entführer sich nun nicht mehr um ihn kümmern konnte.
Darauf drohten die Beamten dem Entführer im Verhör, sie würden ihn durch Gewaltanwendung zum Sprechen bringen. Nach dieser Drohung gab der Entführer seine Tat zu und den Aufenthaltsort der Leiche preis. Der leitende Beamte musste sich später wegen der Gewaltandrohung strafrechtlich verantworten.
Du bist in deinem Auto unterwegs zur Arbeit und schaust kurz auf dein Handy, um eine Whatsapp-Nachricht zu lesen. Gerade als du deinen Blick wieder auf die Strasse richtest, taucht ein Fussgänger vor deinem Wagen auf. Obwohl du sofort auf die Bremse stehst, überfährst du ihn. Weil du brüsk gebremst hast, knallt das hinter dir fahrende Auto in deinen Wagen und es kommt zu einer Karambolage mit mehreren Fahrzeugen.
Als du benommen aus dem Auto steigst, siehst du, dass der Fussgänger tot ist. Da kommt eine verstörte, weinende Frau auf dich zu, die aus einem der anderen involvierten Autos gestiegen ist. Sie ist ausser sich, weil sie glaubt, dass sie es war, die den Fussgänger überfahren hat. Du weisst, dass dem Unfallverursacher mehrere Jahre Gefängnis drohen. Was tust du?
Du wirst Zeuge eines Banküberfalls. Du verfolgst den Bankräuber diskret und siehst, wo er wohnt. Weil du ihn eine Weile beschattest, findest du auch heraus, dass er seine Beute nicht für sich selbst behält, sondern zu einem Kinderheim bringt. Deine Nachforschungen zeigen, dass diesem Heim zuvor nur sehr knappe Mittel zur Verfügung standen und die Kinder oft hungern mussten. Mit der Beute des Bankräubers kann die Heimleitung endlich genug Essen einkaufen. Du weisst, dass das Kinderheim das gespendete Geld zurückgeben muss, wenn du den Bankräuber der Polizei meldest. Was tust du?