Die Covid-19-Pandemie hat in zwei Jahren zwischen 15 und 21 Millionen Todesopfer gekostet und enorme wirtschaftliche Schäden angerichtet. Derzeit scheint sie zu verebben, auch wenn niemand weiss, wie sich die Lage etwa im Herbst darstellen wird. Aber auch wenn Covid-19 nun tatsächlich zu einer endemischen Krankheit wie der Grippe werden sollte, ist damit die Gefahr nicht gebannt, dass ein neues Virus auftritt und eine Pandemie von ähnlichem Ausmass auslöst.
Vermutlich alle viralen Pandemien, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufgetreten sind, haben ihren Ursprung in einem Vorgang, der in der Biologie «Spillover» genannt wird. Es handelt sich um die Übertragung von Krankheitserregern, die zuerst in einer Tierpopulation heimisch waren, auf den Menschen.
Wenn dies geschieht, können sogenannte Zoonosen entstehen – Krankheiten mit tierischem Ursprung. Auch bei Covid-19 handelt es sich um eine Zoonose*. Zoonosen sind in der Geschichte der Menschheit schon oft aufgetreten, spätestens seitdem Menschen Nutz- und Haustiere halten. So sind etwa die Masern, die Malaria oder die Pest Zoonosen.
Beunruhigend ist jedoch, dass die Geschwindigkeit, mit der sich Pandemien ausbreiten, in der modernen, globalisierten Welt deutlich erhöht hat. Auch die Zahl der Spillover-Vorgänge nimmt offenbar zu – so hat eine 2008 publizierte Studie der britischen Zoologin Kate E. Jones ergeben, dass zwischen 1940 und 2004 335 neue Infektionen entstanden. 60 Prozent davon waren auf Spillover zurückzuführen. Das «Global Virome Project» schätzt, dass es derzeit einen Pool von etwa 1,6 Millionen Viren gibt, die in der Tierwelt zirkulieren. 600'000 bis 800'000 davon sollen das Potenzial haben, auf den Menschen überzugreifen.
Die jährliche Wahrscheinlichkeit von Pandemien mit Zoonosen als Ursache könnte zudem in den kommenden Jahrzehnten um ein Vielfaches zunehmen, wie eine letztes Jahr durchgeführte Analyse der Krankheitsausbrüche in den letzten vier Jahrhunderten nahelegt. Grund dafür sind hauptsächlich die anthropogenen Umweltveränderungen.
Besonders die intensivere Landnutzung mit Waldrodungen, Strassenbau und Urbanisierung engen den Lebensraum von Wildtieren ein, zerstückeln oder zerstören ihn. Spezies, die dies überleben, kommen oft in engeren Kontakt mit Menschen – und nehmen dabei ihre Parasiten und Krankheitserreger mit.
In diese Richtung weist beispielsweise auch eine 2021 veröffentlichte Studie des französischen Biologen Serge Morand hin, der für den Zeitraum von 1990 bis 2016 sämtliche verfügbaren Meldungen über Zoonosen gesammelt und mit den bewaldeten Flächen der Erde in Zusammenhang gebracht hat. Demnach ist die Zunahme von Epidemien mit der Abholzung von Wäldern – namentlich in den Tropen – verbunden.
Diese düsteren Aussichten stellen allerdings kein unausweichliches Schicksal dar. Die Wahrscheinlichkeit von Spillovers liesse sich nämlich mit gezielten Massnahmen erheblich verringern – und das mit lediglich 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Wie das Wissenschaftsmagazin «Nature» in einem Kommentar schreibt, wäre nur dieser vergleichsweise bescheidene Betrag notwendig, um die weltweite Abholzung in den Hotspots für neu auftretende Infektionskrankheiten zu halbieren, den Handel mit Wildtieren drastisch einzuschränken und zu regulieren und die Möglichkeiten zur Erkennung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Nutztieren erheblich zu verbessern.
Der «Nature»-Kommentar weist darauf hin, dass die Covid-19-Pandemie zahlreiche internationale Bemühungen ausgelöst hat, um die Welt besser vor solchen Pandemien zu schützen. Doch viele von ihnen versäumten es, die Vermeidung von Spillovern ins Zentrum zu rücken. Genau dies sei jedoch entscheidend: Es gelte, endlich die Faktoren anzugehen, die grosse Krankheitsausbrüche verursachen. Viele von ihnen tragen obendrein auch zum Klimawandel und zum Verlust der biologischen Vielfalt bei.
Derzeit besteht aufgrund der verheerenden Erfahrung mit Covid-19 ein erhöhtes Bewusstsein für die Notwendigkeit, künftige Pandemien ursächlich zu bekämpfen. Doch diese Gelegenheit könnte bald ungenutzt vorbeigehen. Eine neue Chance könnte sich – wie die Autoren des Kommentars mahnen – erst dann wieder bieten, wenn die Welt mit einer weiteren Pandemie konfrontiert wird.
Jahrzehntelange Forschung zeige, so der «Nature»-Kommentar, dass es vier Massnahmen sind, auf die sich eine globale Strategie zur Vermeidung künftiger Pandemien konzentrieren sollte:
Mehrere Studien weisen darauf hin, dass die zunehmende Landnutzung auf Kosten der Wälder – insbesondere der tropischen und subtropischen – die grösste Triebkraft für das weltweite Auftreten von Infektionskrankheiten zoonotischen Ursprungs sein dürfte. Damit geht eine Abnahme der Artenvielfalt einher, wobei jene Wildtierarten, die die Abholzung überleben, oft auch jene sind, die mit dem Menschen zusammenleben können. Ihre Krankheitserreger können auf den Menschen überspringen und sich weltweit verbreiten.
Ein Beispiel dafür sind Fledermäuse in Bangladesch, die das Nipah-Virus übertragen. 40 bis 75 Prozent der damit infizierten Menschen sterben. Der Lebensraum dieser Fledertiere ist mittlerweile durch Waldrodungen so eingeschränkt, dass sie auch in Gebieten mit hoher menschlicher Bevölkerungsdichte leben.
Auch der Klimawandel trägt zu dieser Entwicklung bei, etwa in der südchinesischen Provinz Yünnan und angrenzenden Gebiete in Laos und Myanmar: Dort weicht das tropische Buschland zusehends tropischer Savanne und Laubwald. Dies schafft ideale Lebensbedingungen für Fledermäuse. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind zahlreiche neue Fledermausspezies dort eingewandert – und diese sind ein Reservoir für zahlreiche verschiedene Coronaviren.
Kommerzielle Märkte für Wildtiere und der Handel mit Wildtieren stellen ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar. Sie sollten verboten oder zumindest streng reguliert werden, sowohl auf internationaler Ebene wie auch jeweils im Inland. China hat in Reaktion auf die Covid-19-Pandemie den Handel und den Verzehr der meisten wildlebenden Landtiere verboten. Auch Gabun hat den Verkauf bestimmter Säugetierarten als Lebensmittel auf Märkten verboten.
Allerdings dürfen solche gesetzlichen Regelungen nicht gegen die Rechte und Bedürfnisse indigener Gemeinschaften verstossen. Diese sind oft auf Wildtiere angewiesen, um ihre Ernährung, ihren Lebensunterhalt und ihre kulturellen Praktiken zu sichern. Einige Staaten, unter ihnen Brasilien, Kanada und die USA, haben bereits je nach Gemeinde unterschiedliche Regeln für die Jagd eingeführt.
Auch von Nutztieren können Krankheitserreger auf den Menschen überspringen. Dies dürfte in der Menschheitsgeschichte bereits bei der Domestizierung der ersten Tiere geschehen sein – Viren, die Masern, Pocken, Röteln oder Keuchhusten verursachen, stammten ursprünglich von Rindern, Schweinen oder Hühnern. Aus diesem Grund muss die Biosicherheit im Umgang mit Nutztieren verbessert werden. Massnahmen dazu wären eine bessere tierärztliche Versorgung, eine verstärkte Überwachung von Tierkrankheiten, Verbesserungen bei der Fütterung und Unterbringung von Tieren sowie Quarantänen, um die Verbreitung von Krankheitserregern einzudämmen.
Je schlechter der Gesundheitszustand von Nutztieren ist, desto höher ist das Risiko, dass sie sich mit Krankheitserregern infizieren und diese dann verbreiten. Beinahe 80 Prozent der Krankheitserreger in der Tierhaltung können überdies mehrere Wirtsarten infizieren – darunter auch Wildtiere und Menschen.
Krankheitserreger können in Personen leichter mutieren, deren Immunsystem angeschlagen oder supprimiert ist. Dies kann etwa bei Menschen der Fall sein, die bereits mit HIV infiziert sind – dies war im südlichen Afrika der Fall, wo vermutlich die Omikron-Variante des Coronavirus entstand. Auch Unterernährung erhöht das Risiko, dass Menschen anfälliger für Zoonoseerreger sind. Daraus folgt, dass die Gesundheit, aber auch die wirtschaftliche Sicherheit der Menschen verbessert werden sollten – insbesondere in den Hotspots für das Auftreten von Infektionskrankheiten.
Der erleichterte Zugang zu Gesundheitsdiensten und deren verbesserte Qualität ist deshalb ein wichtiger Baustein für die Eindämmung von Spillover-Effekten. Hinzu kommt die Bereitstellung von Bildungsangeboten sowie das Angebot von Schulungen in alternativen Fertigkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dazu gehört etwa die biologische Landwirtschaft, was wiederum der Umwelt zugutekommt.
Alle diese Massnahmen sind nicht gratis, aber sie sind um Vieles kostengünstiger als das reaktive Vorgehen gegen Pandemien wie etwa Covid-19. Diese hat die realen Grenzen reaktiver Massnahmen deutlich aufgezeigt. So hat etwa die US-Regierung bis Ende März 2022 mehr als 3,7 Billionen Dollar für die Bekämpfung dieser Pandemie ausgegeben – gleichwohl sind ihr fast eine Million Menschen in den USA zum Opfer gefallen.
Hinzu kommt, dass die Verhinderung einer Pandemie bzw. deren Ausbreitung auch Menschen, Haustiere und Wildtiere an jenen Orten schützt, die sich ohnehin am wenigsten Schaden leisten können. Damit ist die Prävention gerechter als reaktive Massnahmen. Zum Beispiel hat – rund anderthalb Jahre, nachdem erstmals Impfstoffe gegen Covid-19 öffentlich verfügbar waren – erst 21 Prozent der Gesamtbevölkerung Afrikas mindestens eine Dosis erhalten, während es in den USA und Kanada beinahe 80 Prozent sind.
* In der ursprünglichen Fassung des Texts stand, es dürfte sich «wahrscheinlich um eine Zoonose handeln». Da Coronaviren, zu denen SARS-CoV-2 zählt, zweifelsfrei zoonotischen Ursprungs sind, ist die Formulierung verändert worden.
....aber die Wirtschaft ! 🙈😱
Aber unsere 'vernünftigen' bürgerlichen Politiker wehren sich mit Händen und Füssen, auch nur den kleinsten Teil davon zu beherzigen.
Deutlich zu sehen gerade wieder: Statt der Diversifizierung der Bio-Landwirtschaft endlich die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen, wollen sie weiter auf die Abhängigkeit von globalen Agrar-Konzernen setzen!
Das gleiche Bild beim Tierschutz und bei der Energieerzeugung.
Ungebremstes Wachstum ist immer noch das Credo der Ewiggestrigen, und wird vermutlich unser Untergang sein.
Die Übertragung vom Tier auf den Menschen war auch der Grund, weshalb die Ureinwohner Amerikas unter westlichen Keimen, aber die westlichen Entdecker/Eroberer nicht unter amerikanischen Keimen gelitten haben.
Die Städte des Renaissance-Europas waren voller Hühner, Schweine, Kühe, Schafe, etc., wohingegen in Südamerika höchstens mal Lamas und Alpakas vorkamen, und das auch eher selten.