Der Klimawandel könnte nach Ansicht von Experten im schlimmsten Fall zum Aussterben der Menschheit führen. Bisher wisse man zu wenig über solche Endzeit-Szenarien und deren Wahrscheinlichkeit, schreibt ein internationales Team in den «Proceedings» der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften («PNAS»).
Unter der Überschrift «Klima-Endspiel: Erforschung katastrophaler Szenarien des Klimawandels» plädieren die Autoren für ein umsichtigeres Risikomanagement und mehr Forschung zu den schlimmstmöglichen Folgen der Erderwärmung. Die Welt müsse anfangen, sich auch auf Endzeit-Szenarien durch den Klimawandel vorzubereiten.
New paper with PNAS just released. Climate Endgame: Exploring Catastrophic Climate Change Scenarios- https://t.co/GCuLqr1Taw We outline why catastrophic climate risks are underexplored, why they are critical, why they are plausible, and how to study them. A short overview thread!
— Luke Kemp (@LukaKemp) August 2, 2022
«Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Klimawandel katastrophale Ausmasse annehmen könnte», schreiben die Wissenschaftler, darunter der frühere und ein aktueller Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber und Johan Rockström.
Einer der Hauptautoren der Studie, der Risikoforscher Luke Kemp von der Universität Cambridge, bläst ins selbe Horn: «Es gibt viele Gründe zu der Annahme, dass der Klimawandel selbst bei moderater Erwärmung katastrophal werden könnte.» Kemp weist darauf hin, dass klimatische Veränderungen bisher an jedem Massenaussterben beteiligt gewesen seien. Die heutige Welt sei ebenfalls nur an eine bestimmte Klima-Nische angepasst.
Trotz 30-jähriger Bemühungen seien die durch den Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen weiter gestiegen, stellen die Wissenschaftler fest. «Selbst wenn man den schlimmsten Fall von Klimaänderungen ausser Acht lässt, ist die Welt auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2100 einen Temperaturanstieg zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu erleben.»
Dennoch seien die Folgen einer Erwärmung um 3 Grad bisher nicht ausreichend untersucht. Die Forschung fokussiere sich auf Szenarien, bei denen die Folgen des Klimawandels moderat seien. «Sich einer Zukunft mit beschleunigtem Klimawandel zu stellen, ohne die schlimmsten Szenarien zu bedenken, ist bestenfalls naives Risikomanagement und schlimmstenfalls fatal töricht», heisst es.
Für den Klimaforscher Niklas Höhne von der Universität Wageningen ist das Worst-Case-Szenario des Aussterbens noch «relativ weit weg». «Aber davor gibt es Abstufungen», sagte der Experte, der nicht an dem Artikel beteiligt war. «Dass ganze Landesteile und Länder nicht mehr bewohnbar sind, ist durchaus wahrscheinlich.»
In ihrem Artikel schreiben die Forscher über die Ausweitung von Gebieten mit extremer Hitze – also einer jährlichen Durchschnittstemperatur von über 29 Grad Celsius. Gegenwärtig seien davon rund 30 Millionen Menschen in der Sahara und an der Golfküste betroffen. Laut Modellierungen des Teams könnten bis 2070 zwei Milliarden Menschen in solchen Gebieten leben.
Das zeige, wie komplex Klimafolgen sein könnten. «Bis 2070 werden diese Temperaturen und die sozialen und politischen Folgen zwei Atommächte und sieben Hochsicherheitslabore, in denen die gefährlichsten Krankheitserreger untergebracht sind, direkt betreffen», sagt Ko-Autor Chi Xu von der chinesischen Universität Nanjing. «Es besteht ein ernsthaftes Potenzial für katastrophale Folgewirkungen.»
Die Wissenschaftler plädieren deshalb dafür, komplexere Zusammenhänge in künftige Risikobewertungen einzubeziehen. «Entscheidend ist, die Katastrophen zu berechnen, um sie zu vermeiden», betont Rockström. Dies gilt besonders für sogenannte «Risikokaskaden», bei denen einzelne Folgen des Klimawandels weitere Probleme auslösen. So könnten Hitze und unbewohnbare Gegenden etwa zu Migration, sozialen Unruhen und internationalen Konflikten führen.
Besonders gefährlich seien die Folgen des Klimawandels mit Blick auf Kipppunkte, schreiben die Wissenschaftler. Diese Schwellenwerte sind vergleichbar mit einer Tasse auf einem Tisch: Schiebt man sie Richtung Rand, passiert zunächst nichts – bis sie an einen Kipppunkt gerät, an dem sie abstürzt.
Für den Klimawandel heisst das etwa: Die Schmelze in einer Eisregion erreicht einen Punkt, an dem sie nicht mehr aufzuhalten ist. Sind Eisregionen abgeschmolzen, ist das Eis erst einmal weg. Besonders gefährlich sei dies, wenn ein Kipppunkt zu einem weiteren führe.
Nach Ansicht der Autoren hat sich auch der Weltklimarat (IPCC) noch nicht ausreichend mit möglichen katastrophalen Folgen des Klimawandels befasst. Keiner der 14 Sonderberichte des IPCCs behandle extreme oder katastrophale Klimaveränderungen. Sie sollten den Autoren zufolge im nächsten Bericht berücksichtigt werden. «Blind gegenüber Worst-Case-Szenarien zu bleiben, ist bestenfalls naiv und schlimmstenfalls tödlich dumm», warnt Risikoforscher Kemp.
Auch die Studienautoren sind sich allerdings bewusst, dass alarmistisch klingende Hiobsbotschaften einen gegenteiligen Effekt haben und lähmend wirken können. Es ist aus der Klimakommunikationsforschung bekannt, dass Panikberichte wenig hilfreich sind, da viele Menschen dann das Gefühl haben, sie könnten ohnehin nichts dagegen tun. Gleichwohl hoffen die Wissenschaftler, dass eine Analyse der extremen Folgen der Klimaerwärmung den Handlungsbedarf aufzeigen und ein Umdenken bewirken könnte. (dhr/sda/dpa)
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