Falls sich eine Blaumeise mal ins Kino verirren sollte, sähe sie dort nicht wie wir einen Film. Was sich dem Vogelauge auf der Leinwand darbieten würde, wäre eine Art ruckelige Diashow aus lauter klar erkennbaren Einzelbildern. Das liegt daran, dass Singvögel extrem schnelle Augen haben – die schnellsten aller Wirbeltiere.
«Schnell» heisst, dass die Sinnesorgane der gefiederten Sänger auch hohe Frequenzen noch unterscheiden können. Trauerschnäpper zum Beispiel schaffen das bei 146 Hertz noch. Unsere Augen können dagegen bereits eine Frequenz von 60 Hertz zeitlich nicht mehr auflösen – darum sind Fernseh- oder Filmbilder für uns flüssig.
Die Trauerschnäpper brillierten in einem Experiment von Anders Ödeen und seinem Team von der Universität Uppsala. Die Forscher, die ihre Studie im Fachjournal «PLOS ONE» veröffentlichten, trainierten die Singvögel darauf, mit dem Schnabel gegen eine flackernde Lampe zu picken. Taten sie dies, erhielten sie Futter zur Belohnung. Pickten sie dagegen eine benachbarte Lampe mit Dauerlicht an, gab es nichts zu futtern. Nachdem die Vögel konditioniert waren, die flackernde Lampe zu erkennen, erhöhten die Wissenschaftler die Frequenz.
Als die Forscher selber schon längst keinen Unterschied mehr wahrnehmen konnten, identifizierten die Vögel die extrem schnell flackernde Lampe noch zuverlässig. Die Trauerschnäpper erwiesen sich dabei als Champion, aber auch andere Singvogel-Arten wie Meisen und Halsbandschnäpper konnten im Experiment noch Frequenzen durchschnittlich von 129 bis 137 Hertz erkennen.
Die Vögel verfügen vermutlich über derart schnelle Augen, weil sie sich von fliegenden Insekten ernähren, die sie im Flug fangen. Auch bei der Flucht vor Greifvögeln dürfte den kleinen Fliegern ihre schnelle Sicht zupass kommen: Sie können sich im Flug blitzschnell in ein Gebüsch retten, ohne im Dickicht mit den Zweigen zusammenzustossen.
Die Superaugen der Singvögel könnten für die Tiere aber auch ein Fluch sein. Wenn sie in Gefangenschaft künstlichem Licht ausgesetzt sind, nehmen sie dies als ständiges Flackern wahr – neue Leuchtmittel flackern nämlich mit einer Frequenz von 100 Hertz. Das genügt, um menschlichen Augen den Eindruck stetigen Lichts zu vermitteln, nicht aber den schnellen Augen der Vögel. Auf Dauer kann ein solches Flackerlicht Stress und Unbehagen auslösen und zu Verhaltensstörungen führen. (dhr)