«Mögest du in interessanten Zeiten leben», so lautet angeblich eine chinesische Verwünschung. Unsere Zeiten sind «interessant» wie lange nicht mehr – jedenfalls, wenn wir an den aktuellen Stand der Weltpolitik denken. Noch nie war die Gefahr so gross, dass es im schon seit 2011 andauernden syrischen Bürgerkrieg zu einer direkten militärischen Konfrontation der Grossmächte kommt. US-Präsident Trump tweetete, die Beziehungen der USA zu Russland seien schlechter denn je, den Kalten Krieg inbegriffen.
Our relationship with Russia is worse now than it has ever been, and that includes the Cold War. There is no reason for this. Russia needs us to help with their economy, something that would be very easy to do, and we need all nations to work together. Stop the arms race?
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 11. April 2018
Ob die Lage derzeit tatsächlich so brandgefährlich ist wie beispielsweise während der Kuba-Krise 1962, als ein Atomkrieg nur mit Glück verhindert werden konnte, darf man mit Fug bezweifeln. Ohnehin kam es vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion zu einer Reihe von brenzligen Situationen politischer oder technischer Natur, in denen aus dem Kalten Krieg ein heisser hätte werden können.
Hier sind die wichtigsten sieben:
Nie stand die Welt näher am nuklearen Abgrund als in den 13 Tagen der Kuba-Krise im Oktober 1962. Die Sowjetunion hatte – in Reaktion auf die Stationierung amerikanischer Atomraketen in der Türkei – damit begonnen, nuklear bestückte Mittelstreckenraketen auf Kuba zu installieren. Als amerikanische Aufklärungsflugzeuge dies entdeckten, verhängte US-Präsident John F. Kennedy eine Seeblockade und verlangte den Abzug der Raketen. Sein Gegenspieler Nikita Chruschtschow akzeptierte dies nicht; sowjetische Schiffe mit atomarer Fracht hielten weiter Kurs auf die Karibikinsel und näherten sich dem Blockadering.
Erst in geheimen Verhandlungen konnte der nukleare Showdown in letzter Minute verhindert werden. Die Amerikaner sicherten zu, keine Invasion Kubas mehr zu unternehmen und garantierten den späteren Abbau ihrer Raketen in der Türkei. Darauf gab Chruschtschow nach und zog seine Atomraketen von Fidel Castros Insel ab.
Zuvor kam es aber in der Krise selbst zu einer Krise: Am 27. Oktober, dem schwarzen Samstag, zwang ein US-Zerstörer ein sowjetisches Begleit-U-Boot mit Übungswasserbomben zum Auftauchen. Dessen Kommandant, der den Funkkontakt mit Moskau verloren hatte, wollte ein nukleares Torpedo auf das US-Schiff abfeuern, da er davon ausging, der Krieg habe bereits begonnen. Für den Abschuss war jedoch das Einverständnis von weiteren zwei verantwortlichen Offizieren notwendig. Einer von ihnen, Wassili Alexandrowitsch Archipow, verweigerte die Zustimmung ohne einen Befehl aus Moskau und rettete damit die Menschheit vor einer atomaren Apokalypse.
Die Menschheit benötigte an diesem Tag aber noch mehr Glück: Sowjetische Soldaten schossen ohne Rücksprache mit Moskau ein U2-Spionageflugzeug über Kuba ab, der Pilot kam dabei ums Leben. Nicht genug damit: Ein weiterer U2-Aufklärer kam über Alaska vom Kurs ab und drang versehentlich in den sowjetischen Luftraum ein. Dieser Pilot hatte mehr Glück; obwohl ihm der Treibstoff ausging, konnte er seine Maschine im Gleitflug in den amerikanischen Luftraum zurückbringen.
Stanislaw Petrow muss der Schreck in die Glieder gefahren sein, am 26. September 1983, kurz nach Mitternacht. Plötzlich heulte die Sirene auf und der Computer meldete amerikanische Atomraketen im Anflug. War das nun der befürchtete nukleare Ernstfall? Der Oberstleutnant in der Kommandozentrale der sowjetischen Luftraumüberwachung stand vor einem Dilemma: Den Angriff melden – und damit den Atomkrieg vielleicht erst auslösen. Oder von einem Fehlalarm ausgehen – und damit den USA eventuell einen vernichtenden Schlag gegen das sowjetische Vergeltungspotenzial ermöglichen.
Petrow, der sich sagte, dass die Amerikaner mit mehr als nur ein paar Raketen angreifen würden, entschied sich für den Fehlalarm – und er hatte recht. Die vermeintlichen amerikanischen Atomraketen waren in Wahrheit von Wolken reflektierte Sonnenstrahlen gewesen. Das sowjetische Frühwarnsystem hatte sie irrtümlich als Raketenstarts interpretiert. Petrow musste seine Entscheidung in einer angespannten Zeit treffen: Kurz zuvor hatte ein sowjetischer Abfangjäger ein verirrtes koreanisches Passagierflugzeug abgeschossen.
1983 waren die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten ohnehin so schlecht wie nie zuvor seit der Kuba-Krise: US-Präsident Ronald Reagan hatte die Sowjetunion zum «Reich des Bösen» ernannt und zudem den Aufbau eines Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen (SDI) angekündigt. Im April waren während der Flottenübung FleetEx '83 im Pazifik wiederholt US-Aufklärer in den sowjetischen Luftraum eingedrungen. Überdies stand im November das grossangelegte Nato-Manöver Able Archer bevor, das sowjetische Falken als versteckte Angriffsvorbereitung deuten konnten.
Edwin Allan Lightner und seine Frau wollten am 22. Oktober 1961 in Ost-Berlin eine Theater-Aufführung besuchen. Der Chef der US-Mission in Berlin trug Zivil, aber sass in einem Fahrzeug mit Kennzeichen der Besatzungsmächte. Trotzdem wurde er am Checkpoint Charlie von DDR-Grenzern gestoppt, die seine Papiere kontrollieren wollten. Dazu hatten sie gemäss Viermächtestatus kein Recht, denn Lightner genoss als Vertreter der Alliierten Bewegungsfreiheit in der ganzen Stadt. Der Amerikaner liess daher US-Militärpolizei kommen, die den Grenzübertritt erzwang.
Der Konflikt eskalierte innert Kürze. Nachdem DDR-Grenzer weitere westliche Alliierte zu kontrollieren versucht hatten, liessen die Amerikaner am 27. Oktober auf ihrer Seite des Grenzübergangs Panzer auffahren. Nun reagierten die Sowjets: Auch auf ihrer Seite der Grenze fuhren Panzer auf. Die scharf geladenen Geschützrohre aufeinander gerichtet, standen sich nun mitten in Berlin 30 amerikanische und sowjetische Kampfpanzer gegenüber. Jede falsche Bewegung, jedes Missverständnis konnte nun zur Katastrophe führen.
Hinter den Kulissen liefen die diplomatischen Kanäle heiss. Erst nach einem Telefongespräch zwischen US-Präsident Kennedy und Kreml-Chef Chruschtschow kam es zu einem Kompromiss: Am 28. Oktober setzte der erste Sowjet-Panzer einige Meter zurück, danach der erste amerikanische – bis schliesslich alle Tanks wieder abgezogen waren.
Am 23. Mai 1967 herrschte in den Korridoren des Pentagon Alarmstimmung: Alle drei Frühwarn-Radarstationen des Ballistic Missile Early Warning System (BMEWS) waren zugleich ausgefallen. Die US-Militärs gingen davon aus, dass eine gezielte sowjetische Störaktion dahintersteckte, die womöglich einen Atomangriff kaschieren sollte.
Das North American Aerospace Defense Command (NORAD) alarmierte die Crews der gerade in der Luft befindlichen strategischen Bomber und liess weitere Langstreckenbomber mit Atomwaffen auf die Startbahnen rollen. Doch bevor die Maschinen starteten, gelang es den Wissenschaftlern des amerikanischen Air Weather Service (AWS), den Generälen klar zu machen, dass nicht die Sowjets, sondern ein ungewöhnlich heftiger Sonnensturm hinter dem Radarausfall steckte.
Hätten die USA ihre Bomberflotte abheben lassen, wären die Folgen möglicherweise desaströs gewesen: Die Sowjets hätten die anfliegenden Bomber mit hoher Wahrscheinlichkeit als aggressiven Akt interpretiert und entsprechend gehandelt. Zudem hätte man wegen des Sonnensturms die einmal gestarteten Maschinen kaum mehr erreichen und zurückrufen können.
Auch auf der anderen Seite der Erdkugel entstand nach dem Zweiten Weltkrieg eine Systemgrenze, die ein Land in zwei feindliche Staaten teilte: Nord- und Südkorea. Im Juni 1950 griff der kommunistische Norden den Süden an; bis zum September eroberten seine Streitkräfte fast ganz Südkorea. Uno-Truppen – in der grossen Mehrzahl Amerikaner – konnten darauf das Blatt wenden und die Nordkoreaner bis zum November ihrerseits bis fast an die chinesische Grenze zurückwerfen. Nun intervenierte die Volksrepublik China auf Seiten der bedrängten nordkoreanischen Truppen – chinesische Verbände drückten die Front erneut nach Süden. Im Januar 1951 eroberten sie Seoul.
Angesichts der chinesischen Dampfwalze forderte der oberkommandierende US-General Douglas MacArthur den Einsatz von nuklearen Waffen. 34 Atombomben sollten über chinesischen Städten abgeworfen werden. Zu dieser Zeit bestand noch, trotz des sowjetischen Atombombentests 1949, ein faktisches amerikanisches Atombomben-Monopol. Einzig die USA, die zu Beginn des Korea-Krieges nahezu 300 Atombomben vorrätig hatten, waren in der Lage, eine solche Bombe über eine weite Distanz ins Ziel zu tragen. US-Präsident Truman lehnte MacArthurs Ansinnen jedoch ab und entliess stattdessen den populären General.
Am Morgen des 9. November 1979 rapportierte General William Odom dem Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter einen massiven sowjetischen Angriff: Rund 250 Atomraketen befanden sich im Anflug auf Raketensilos, Bomberbasen und Kommandozentralen in den USA. Und nicht genug damit – kurz danach blinkten auf den Bildschirmen der nordamerikanischen Luftabwehr (North American Aerospace Defense, NORAD) noch weit mehr Punkte: Nun waren bereits über 2000 sowjetische Raketen in der Luft.
Das amerikanische Luftabwehrsystem und die Crews der Raketensilos wurden sofort in Alarmzustand versetzt, Bomberbesatzungen eilten zu ihren Flugzeugen, mindestens zehn Abfangjäger starteten. Doch Vorbereitungen für einen sofortigen amerikanischen Vergeltungsschlag – für den nur wenige Minuten Zeit blieben – konnten gerade noch abgewendet werden. Zu stark waren die Zweifel, dass die Sowjets jetzt tatsächlich einen Atomkrieg entfesseln würden – schliesslich waren die Zeiten relativ entspannt. Die sowjetische Invasion in Afghanistan, die das ändern sollte, begann erst am 25. Dezember.
Wichtiger noch war aber, dass andere Teile des Frühwarnsystems – Radarstationen und Satellitenüberwachung – die Meldungen aus dem NORAD-Kontrollraum nicht bestätigten. Und tatsächlich stellte sich dann heraus, dass es sich bei dem sowjetischen Angriff in Wahrheit um Phantomdaten einer Simulation gehandelt hatte. Ein Techniker hatte versehentlich ein Programm ins Computersystem eingespeist, das einen solchen sowjetischen Atomschlag realistisch simulieren sollte.
Nachdem der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser im Juli 1956 den Suezkanal verstaatlicht hatte, griffen Grossbritannien, Frankreich und Israel gemeinsam Ägypten an, um die Kontrolle der Kolonialmächte über den Kanal zurückzugewinnen und Nasser zu entmachten. Am 29. Oktober schlugen ihre Streitkräfte zu; während israelische Truppen den Sinai eroberten, landeten britische und französische Fallschirmjäger am Kanal. Militärisch war die Aktion ein Erfolg – die ägyptischen Truppen wurden geschlagen.
Politisch aber entpuppte sich die Invasion als Desaster: Entgegen den Erwartungen der Kolonialmächte erhielten sie von den zuvor nicht informierten USA keine Rückendeckung. Im Gegenteil wandten die Amerikaner starken Druck an, um die Invasoren zum Rückzug zu bewegen. Die Sowjetunion, an die sich Nasser zunehmend angelehnt hatte, drohte Frankreich und Grossbritannien am 5. November selbst mit der Anwendung von vernichtender Gewalt. Der sowjetische Machthaber Chruschtschow sprach sogar davon, die westlichen Hauptstädte mit Atomwaffen zu zerstören. Der diplomatische Druck aus Washington brachte die Invasoren schliesslich dazu, ihre Truppen abzuziehen, worauf auch die Sowjetunion ihre Drohungen zurückzog.
Während der Krise erhielt die nordamerikanische Luftabwehr NORAD mehrere Meldungen, die auf einen sowjetischen Angriff hindeuteten: unerwartete Manöver der Schwarzmeerflotte, sowjetische Kampfjets im syrischen Luftraum, unidentifizierte Flugzeuge über der Türkei und ein abgeschossener britischer Bomber. Alle aber erwiesen sich entweder als falsch, fehlinterpretiert oder aufgebauscht.