Die Asienreise von Donald Trump wurde bei uns
als eine Abschiedsreise einer Supermacht interpretiert. Wie sehen das die
Asiaten?
Wir waren vor dem
Besuch sehr nervös, schliesslich hat Trump im Wahlkampf immer wieder mit Handelskriegen
gedroht. Aus unserer Sicht ist es aber ganz gut gelaufen. Die Treffen mit den
verschiedenen Staatschefs waren erfolgreich. Es hätte viel schlimmer kommen
können, deshalb sind wir erleichtert.
Keine Angst mehr vor Sanktionen und
Handelskriegen?
Was Trump vor
laufenden Kameras und hinter verschlossenen Türen sagt, ist nicht immer das
Gleiche. Er hört offenbar auf seine Berater. Aber bei Trump weiss man nie
genau, woran man ist. Doch solange die US-Wirtschaft brummt, scheint die Gefahr
gebannt zu sein.
Er hat jedoch den Handelsvertrag mit Asien, den
TPP, platzen lassen. Wie beurteilen Sie das?
Darauf waren wir vorbereitet,
selbst Hillary Clinton wollte ja den TPP neu verhandeln. Jetzt versuchen wir,
einen solchen Vertrag ohne die Amerikaner zu realisieren.
Der grosse Gewinner wird dann China sein.
Ja, die Chinesen
füllen das Vakuum, das die Amerikaner hinterlassen, mit Freude aus. Mit dem
riesigen Infrastrukturprojekt «One Road One Belt» bauen sie ihren Einfluss
gewaltig aus.
Welche Gefühle löst Chinas Aufstieg zu einer
Supermacht in Asien aus?
Gemischte. Länder, die
sich Peking widersetzen, werden heute schon hart bestraft. So wurde
beispielsweise der Premierminister von Singapur nicht zur
«One-Road-One-Belt»-Konferenz eingeladen, weil er sich nicht dem Willen der
Chinesen gefügt hat. Solche Vorfälle beginnen sich zu häufen.
China gewinnt aber auch an Respekt und
Bewunderung. Das westliche Modell gilt zunehmend als dekadent.
Wirtschaftlich trifft
dies zu, und nicht nur für China. Auch Indien ist ein schlafender Riese, der
endlich aufwacht. Der Handel zwischen den beiden Ländern hat sich beinahe
verzehnfacht.
Historisch gesehen sind die Asiaten nicht immer
friedlich miteinander umgegangen. Japaner und Chinesen waren einst Todfeinde,
zwischen China und Indien gibt es nach wie vor Grenzkonflikte.
Die Japaner verfolgen
den Höhenflug der Chinesen misstrauisch und versuchen, zusammen mit Südkorea
und Australien dagegen zu halten. Vor allem die Tatsache, dass die Chinesen
militärisch massiv aufrüsten, sorgt für Unbehagen. Die Chinesen ihrerseits
wollen das Südchinesische Meer beherrschen, um sich vor Angriffen und Blockaden
zu schützen.
Japan ist der Verlierer des geplatzten
Handelsabkommens TPP. Wird sich das Land langsam von den USA entfremden und
vermehrt auf eigenen Beinen stehen?
Japan geht es derzeit
gut bis sehr gut. Die Wirtschaft läuft und die Konzerne erwirtschaften
ansehnliche Gewinne. Zudem hat die Abhängigkeit von Exporten abgenommen, zwei
Drittel des Bruttoinlandprodukts werden heute auf dem Binnenmarkt erzielt.
Die Dynamik der Achtzigerjahre hat Japan jedoch
eingebüsst.
Das hängt mit der
demographischen Entwicklung zusammen. Die japanische Bevölkerung ist alt und sie
schrumpft. Politisch ist das Land derzeit geeint. Premierminister Abe hat
soeben die Wahlen wieder gewonnen. Insgesamt sind wir, was Japan betrifft,
derzeit sehr optimistisch gestimmt.
Indien ist die dritte asiatische Grossmacht.
Wie beurteilen Sie die Lage dort?
Seit Premierminister
Modi vor drei Jahren an die Macht gekommen ist, sind massgebende Reformen
verwirklicht worden. Vor allem ist es dank der Digitalisierung gelungen, allen
Indern eine Identitätskarte zu ermöglichen. Heute gibt es eine zentrale Datenbank,
in der fast alle Einwohner erfasst sind. Dank dieser digitalen Identitätskarte
haben diese Menschen nun auch Zugang zum Bankensystem. Das ist ein wichtiger
Schritt im Kampf gegen die Korruption und zur wirtschaftlichen Entwicklung des
Landes.
Tönt ja alles wunderbar. Insgesamt scheint
Asien sehr gut dazustehen.
Ja. China ist bereits
nicht mehr auf ein rasantes Wachstum der Wirtschaft angewiesen und hat
begonnen, mehr Wert auf Umweltfragen und Fragen der Lebensqualität zu legen.
Was aber ist mit Nordkorea? Ist das nur ein
Problem für die Amerikaner?
Niemand kann ein
Interesse an einem Krieg haben. Nord- und Südkorea wollen eine
Wiedervereinigung, aber jeweils nach ihren Vorstellungen. China will den Status
quo erhalten, weil es weder Millionen von koreanischen Flüchtlingen aufnehmen
noch US-Truppen an seiner Grenze will. Die Amerikaner werden nervös, weil mit
Atomsprengköpfen bestückte nordkoreanische Raketen bald ihr Land erreichen
können. Die Nordkoreaner werden ihre Atomwaffen auf keinen Fall aufgeben, weil
sie gesehen haben, was mit Saddam Hussein und Muammar al-Gadaffi geschehen ist.
Deshalb ist die Lage blockiert, niemand hat Handlungsspielraum.
Es könnte ja sein, dass Trump die Nerven verliert.
Menschlich wäre es
eine Tragödie, die Südkoreaner werden deshalb alles unternehmen, um dies zu
verhindern. Wirtschaftlich hingegen wären die Folgen zu verkraften. Ich habe
ein mögliches Kriegsszenario analysiert und bin zum Schluss gekommen, dass es
vergleichbar wäre mit den Schäden, die der Tsunami 2011 in Japan angerichtet
hat. Die japanischen Aktienkurse brachen um rund 30 Prozent ein, erholten sich
jedoch sehr rasch wieder. Ein kurzer Koreakrieg – einen langen halte ich für
unwahrscheinlich – hätte eine ähnliche Wirkung.
Gilt das auch für einen Atomkrieg?
Nein, aber Nordkorea
wird keine Atomwaffen gegen Südkorea einsetzen. So dumm sind die nicht. Die
Folgen eines Atomkrieges sind nicht abzuschätzen.