Panik in Pozzuoli: In der westlich von Neapel gelegenen italienischen Stadt bebte am Montag die Erde. Nicht zum ersten Mal in diesem Jahr: In den vergangenen Monaten kam es mehrfach zu solchen Beben, etwa im März, als das Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) ebenfalls ein Beben der Stärke 4,4 registrierte.
Das Institut verortete das Epizentrum des Bebens in den Phlegräischen Feldern (italienisch Campi Flegrei), einem rund 200 km² grossen Gebiet mit hoher vulkanischer Aktivität, das als sogenannter Supervulkan eingestuft wird. Es handelt sich nicht um einen einzelnen Vulkankegel wie etwa beim benachbarten Vesuv, sondern um eine gigantische Caldera – also um einen enormen Krater, der sich beim Einsturz einer Magmakammer nach heftigen Eruptionen gebildet hat.
Die starke Aktivität der Phlegräischen Felder – neben Erdbeben vor allem auch die seit Längerem andauernde Hebung des Gebiets – gibt Anlass zur Sorge, da sie auf einen bevorstehenden Ausbruch hindeutet. Die Behörden in Italien erwägen deshalb, den nationalen Notstand auszurufen, um bereits laufende Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu beschleunigen.
Was ist überhaupt ein Supervulkan? Wie gross ist die Gefahr eines Ausbruchs? Lässt sich eine verheerende Eruption vorhersagen? Und welche Auswirkungen hätte ein massiver Ausbruch – lokal, in Europa oder gar global?
Der Begriff «Supervulkan» ist in der Wissenschaft nicht unumstritten, da er zuerst von den Medien geprägt wurde und leicht zum Missverständnis führen kann, dass jeder Ausbruch eines Supervulkans extrem stark ist – was nicht der Fall ist. Als Alternative dient der Ausdruck «Caldera System», auch weil Supervulkane im Gegensatz zu «normalen» Vulkanen wegen der Grösse ihrer Magmakammer bei Ausbrüchen keine Vulkankegel aufbauen, sondern riesige Calderen im Boden hinterlassen.
Als Supervulkan gilt ein Vulkan, der einen Ausbruch der Stärke 8 auf dem Vulkanexplosivitätsindex (VEI) – gelegentlich werden aber auch Ausbrüche der VEI 7 dazu gerechnet – erlebt hat. Die VEI-Skala ist ein allgemeines Mass für die Explosivität eines Ausbruchs; VEI 8 gilt dabei ab einem Volumen von gemessenen Ablagerungen für diesen Ausbruch, das 1000 km³ überschreitet. Alle VEI-8-Eruptionen ereigneten sich vor Zehntausenden bis Millionen von Jahren, deshalb stellt das Volumen des Auswurfs oder der Ablagerungen die beste Methode zur Klassifizierung dar.
Rund 40 Supervulkane sind weltweit bekannt. Einige davon sind allerdings schon vollständig erloschen; nur etwa 10 bis 15 sind in letzter Zeit immer wieder aktiv gewesen. Der Ausbruch eines Supervulkans findet laut neueren Forschungen nur alle 5000 bis 50'000 Jahre statt. Derzeit geben die beiden Supervulkane im Yellowstone-Nationalpark (USA) und in den Phlegräischen Feldern am meisten Anlass zur Sorge. Die Mega-Eruption eines Supervulkans stellt neben dem Einschlag eines grossen Meteoriten die verheerendste Naturkatastrophe dar.
Die Phlegräischen Felder sind eine riesige Caldera mit einem Durchmesser von etwa 15 Kilometern. Diese ist durch mehrere gigantische Ausbrüche in den vergangenen 39'000 Jahren entstanden und reicht in ihrem zentralen Bereich etwa 1500 Meter in die Tiefe. Das Vulkanfeld erstreckt sich vom westlichen Stadtrand der Metropole Neapel bis zur historischen Stadt Cumae (italienisch Cuma) im Westen. Etwa ein Drittel der Caldera liegt unter Wasser im Golf von Pozzuoli. Das restliche Gebiet ist teilweise dicht besiedelt; rund 500'000 Einwohner leben dort.
Fünf Kilometer östlich erhebt sich der Vesuv über den Golf von Neapel; dieser Vulkan verdankt seine Existenz wie die Phlegräischen Felder der Lage an der Grenze zweier konvergierender tektonischer Platten. Die beiden vulkanischen Systeme sind aber nicht direkt miteinander verbunden.
Die vulkanische Aktivität auf den Feldern führt dazu, dass der Boden an einigen Stellen sehr heiss wird. Es gibt auch zahlreiche Thermalquellen und Solfatare – das sind Stellen, an denen heisser Wasserdampf und vulkanische Gase austreten. Sie zeugen von den darunterliegenden grossen Magmakammern, die von einer instabilen Kruste bedeckt sind. Sie liegen in einer Tiefe zwischen 3 und 8 Kilometern und enthalten mehr als 300 km³ Magma.
Die häufigen Erdbeben – die Geologen nennen sie «Schwarm-Erdbeben» – sind eine Folge der langsamen Hebung des Bodens über dem Zentrum der Caldera. Die dabei entstehenden Spannungen in der Erdkruste entladen sich in Erdstössen. Seit 2005 hebt sich der Boden kontinuierlich, wobei sich die Hebung in den letzten Monaten beschleunigt hat. Für den Grund der Hebung gibt es unterschiedliche Erklärungen: Sie könnte eine Folge von aufsteigenden Gasen und Wasserdampf sein oder aber von Magma, das in kleinere Kammern in etwa vier Kilometer Tiefe aufgestiegen sein könnte.
Was aber geschieht, wenn es tatsächlich zu einem grossen Ausbruch kommt? Ein Blick zurück führt die gewaltigen Kräfte vor Augen, die dann wirken: Als sich dort vor 39'000 Jahren die stärkste vulkanische Eruption der letzten 100'000 Jahre in Europa ereignete, wurden zwischen 430 und 680 km³ Tephra – vulkanisches Material – in die Luft geschleudert; mehr als beim Ausbruch des Tambora 1815, der grössten Eruption, die bisher von Menschen dokumentiert wurde. In weiten Teilen Süditaliens ging alles Leben zugrunde und Asche bedeckte grosse Gebiete in Europa – bis ins heutige Russland.
Ein weiterer Ausbruch vor 29'000 Jahren, dessen Ablagerungen in einem Gebiet von etwa 150'000 km² gefunden wurden, zerstörte weite Landstriche und führte zum Absinken der globalen Durchschnittstemperaturen – einem sogenannten vulkanischen Winter (siehe Box). Diese Eruption könnte zum Aussterben der Neandertaler beigetragen haben. Wie stark die globale Abkühlung durch die Eruption eines Supervulkans tatsächlich wäre, ist aber bislang nicht bekannt – es gibt lediglich Simulationen.
Der letzte Ausbruch auf den Phlegräischen Feldern, der im Jahr 1538 stattfand, war dagegen deutlich schwächer. Zuvor hatte sich der Boden über 70 Jahre hinweg durch Magmaschübe allmählich um mehrere Meter angehoben. Die Eruption dauerte acht Tage. Aus dem ausgeworfenen Material entstand ein neuer Vulkan, der Monte Nuovo. Ein relativ kleiner Ausbruch wie dieser könnte das Risiko einer Supereruption verringern, doch dafür gibt es keine Garantie. Selbst ein begrenzter Ausbruch wie jener im Jahr 1538 hätte heute allerdings weitaus schwerwiegendere Folgen in dem dicht besiedelten Gebiet.
Ein Mega-Ausbruch wie vor 39'000 Jahren wäre katastrophal. Der Geologe und Vulkanismus-Experte Ulrich Schreiber hat «t-online» geschildert, was dabei geschehen würde: Nach einer Initialeruption kommt es zu einer gewaltigen Explosion, gefolgt von weiteren Ausbrüchen über Wochen hinweg. Gleich zu Beginn, bei der Initialeruption, entsteht ein Tsunami, da Wasser durch die Druckwelle in Richtung Meer verdrängt wird. Ein zweiter Tsunami entsteht, wenn dann der Deckel über der Magmakammer einstürzt. Das Meerwasser flutet in die dadurch gebildete Senke und schwappt als Riesenwelle zurück, die das gesamte Mittelmeer erfasst und Küstenstädte meterhoch überflutet.
Da ein Teil des Vulkanfelds unter Wasser liegt, kommt es zudem zu einer gewaltigen Wasserdampfexplosion, wenn heisses Magma auf Meerwasser trifft. Verheerender sind jedoch die pyroklastischen Ströme. Diese heissen Glutlawinen aus Asche und Gasen, die in mehreren Schüben entstehen, lösen sich aus der aufsteigenden Eruptionssäule und rasen mit einer Geschwindigkeit von Hunderten km/h auf den Boden zu. Die Millionenstadt Neapel wäre in Minuten ausgelöscht. Selbst auf dem Meer können diese Glutwolken kilometerweit über die Wasseroberfläche gleiten, da sich unter ihnen ein Kissen aus Wasserdampf bildet.
Wie erwähnt würde der eigentliche Ausbruch Unmengen an Asche, Gestein und Gasen bis in die Stratosphäre schleudern, was einen weltweiten Temperatursturz bewirken würde. Im Mittelmeerraum würden weite Gebiete meterhoch mit Asche bedeckt. In Neapel etwa könnte die Ascheschicht eine Mächtigkeit von sechs bis zehn Metern erreichen, was jedes Überleben verunmöglicht.
Die Vorhersage des Ausbruchs eines Supervulkans ist alles andere als einfach. Es gibt zwar Indikatoren, die auf eine bevorstehende Eruption hinweisen können, zum Beispiel eine zunehmende Erdbeben-Aktivität, veränderte Gas-Zusammensetzungen oder starke Bodenhebungen, die möglicherweise eine Folge von steigendem Magmadruck sind. Es ist jedoch nicht sicher, ob es wirklich zu einem Ausbruch kommt oder sich das System wieder stabilisiert.
Schon seit Längerem hebt sich der Boden im Vulkanfeld wieder; in Pozzuoli zeigt sich dies deutlich an der Kaimauer des Hafens, die jetzt ein paar Meter höher liegt als früher. Seit 2012 gilt in der Region Alarmstufe Gelb, was erhöhte Wachsamkeit bedeutet. Der italienische Zivilschutz schätzt die Wahrscheinlichkeit eines kleinen bis mittelgrossen Ausbruchs auf 95 Prozent. Die Vorwarnzeit beträgt laut Experten bestenfalls einige Monate, im schlimmsten Fall indes nur wenige Tage.
Der Evakuierungsplan der italienischen Regierung sieht zwei Zonen vor: eine rote Zone, in der die Gebiete liegen, die von einem Ausbruch am stärksten betroffen wären, und eine gelbe, die sich östlich der roten Zone erstreckt. Hier könnten die Einwohner von herabfallender Asche betroffen sein.
Sollten tatsächlich alle Vorzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch sprechen, sieht der Plan zwei Stufen vor: einen «Vor-Alarm» und eine «Alarm-Phase». Während der «Vor-Alarm»-Phase können Anwohner ihre Häuser freiwillig verlassen; sie werden dabei vom Staat unterstützt. In der «Alarm-Phase» müssen alle Personen in der roten Zone das Gebiet verlassen. Diese Evakuierung muss innerhalb von 3 Tagen abgeschlossen sein; 48 Stunden sollten dafür reichen, ein zusätzlicher Tag dient als Puffer.