Stellen wir uns folgendes Szenario vor. Sarah ist unheimlich verliebt in Luca und fragt deswegen ihre Freundin Julia: «Was meinst du, hab ich bei Luca eine Chance?» Darauf antwortet Julia: «Also für mich sieht es so aus, als würdet ihr euch echt gut verstehen. Er hat dich scheinbar richtig gern!»
Wenn Julia wirklich diesen letzten Satz gesagt hat, sollten bei Sarah alle Alarmglocken läuten. Denn «Er hat dich scheinbar richtig gern» heisst so viel wie: «Er hat dich nicht gern». Höchstwahrscheinlich wollte Julia aber etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen. Nämlich, dass sie den Eindruck hat, dass Luca Sarah wirklich gern hat.
Das passende Wort wäre in dem Fall «anscheinend» gewesen. Richtig lautet der Satz also: «Er hat dich anscheinend richtig gern!» Schämen muss sich Julia für diesen kleinen – aber doch bedeutungsschweren – Fehler nicht: Denn die Verwechslung der beiden Wörter scheinbar und anscheinend ist unheimlich verbreitet. Auch wir Journalisten machen diesen Fehler stets und ständig hin und wieder mal.
Darum noch einmal ganz langsam:
Zwei Wörter, die uns ähnliche Schwierigkeiten bereiten, sind die beiden Begriffe offenbar und offensichtlich. Grundsätzlich mal haben diese beiden Adjektive die gleiche Bedeutung: Sie bringen zum Ausdruck, dass etwas offenkundig ist oder auf der Hand liegt. Passende Synonyme wären also augenscheinlich, erwiesen, erkennbar oder nachweislich.
Benutzt werden offenbar und offensichtlich aber immer wieder gerne, um eine Vermutung zum Ausdruck zu bringen. Sie werden also synonym zu vermutlich oder möglicherweise verwendet. Das ist aber falsch.
Folgende Aussage ergibt demnach keinen Sinn: «Ich weiss nicht, warum Luca nicht zur Party gekommen ist. Offenbar war er krank.» Wenn er offenbar krank war, dann ist das auch der Grund gewesen, warum er nicht zur Party gekommen ist. Dann braucht man aber auch nicht länger nach einem Grund zu suchen. Wahrscheinlich oder möglicherweise wären hier treffender gewesen.