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Warum sich die Energiewende so schlecht planen lässt

A wind turbine from the JUVENT power plant and solar panels from the solar station of the Mont-Soleil are pictured on the Mont-Soleil in Saint-Imier, Switzerland on Wednesday May 10, 2017. The Swiss p ...
Bild: KEYSTONE
Analyse

Sauber, aber kompliziert: Die 5 Probleme bei der Energiewende

Was kostet der Gang in eine grünere Energiezukunft und wie viel Zwang ist dafür nötig? Abschliessend beantworten kann diese Fragen derzeit niemand. Diese Faktoren machen den Energie-Planern das Leben schwer.
17.05.2017, 09:3718.05.2017, 04:50
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Am Sonntag entscheidet sich, ob in der Schweizer Energiepolitik eine neue Ära anbricht. Dann befindet das Stimmvolk über das revidierte Energiegesetz. Ziel: Neue Atomkraftwerke verbieten, erneuerbare Energien fördern und den Energieverbrauch reduzieren.

Im hitzigen Abstimmungskampf werfen sich die beiden Lager gegenseitig vor, Zahlen und Fakten zu ihren Gunsten auszulegen. Tatsache ist: Wie die Energiewende bei einem Volks-Ja ganz genau verlaufen wird, weiss heute niemand. Zu viele Faktoren beeinflussen einander und verunmöglichen so eine exakte Planung.

Die Technologie

Ein Mann mit einem der neuen schurlosen Telefone, Natel-C, undatierte Aufnahme aufgenommen um 1993. (KEYSTONE/Str)
1993 war dieses schnurlose Telefon, ein «Natel-C», der letzte Schrei.Bild: KEYSTONE

War das Handy vor 25 Jahren noch ein teures, unhandliches Nischenprodukt, ist es heute ein unverzichtbares Alltagstool. Beim Bund geht man davon aus, dass die technologischen Veränderungen im Energiebereich «ähnlich disruptiv» sein werden wie in der Mobiltelefonie.

Entwickeln sich die Produktionsanlagen und die Speicherlösungen im Energiebereich in einem ebenso rasanten Tempo, dürfte dies laut Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie nicht nur zu einer Verringerung des Energieverbrauchs führen, sondern auch zu einer effizienteren Produktion und zu einem Preiszerfall. Nur: Welche Fortschritte in den nächsten Jahren genau zu erwarten sind, steht noch in den Sternen.

Die gesellschaftlichen Trends

Ein Elektroauto wird aufgeladen, anlaesslich der Einweihung der ersten Elektrotankstelle in Nidwalden beim Bahnhof in Stans, am Donnerstag, 2. April 2015. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Setzt sich das Elektroauto durch? Und wie viele Leute besitzen 2050 überhaupt noch ein eigenes Auto?Bild: KEYSTONE

Fahren 2050 gleich viele, mehr oder weniger Leute Auto als heute? Und wie viele davon setzen auf ein Elektrofahrzeug? Unser Lifestyle ist für die Berechnung des künftigen Energieverbrauchs entscheidend.

Um beim Beispiel Verkehr zu bleiben: Aus Sicht des Bundes wäre die Annahme plausibel, dass künftig weniger Fahrzeuge unterwegs sind. «Denn es zeigt sich bereits heute, dass Junge nicht mal mehr den Führerschein machen, in den Städten immer weniger Bewohner ein eigenes Fahrzeug besitzen und bei Bedarf zum Beispiel auf Lösungen wie Car-Sharing zurückgreifen», so Zünd. Je nachdem, wie viele Elektroautos 2050 unterwegs sein werden, rechnet der Bund dafür mit einem Stromverbrauch zwischen fünf und zwölf Terawattstunden – ein ziemlich breites Spektrum.

Die «Zwangsmassnahmen»

ARCHIV - Ein Hinweisschild mit Ausweisung der Energieeffizienzklasse steht am 13.05.2014 in München (Bayern) in einem Großmarkt für Elektroartikel. Verbraucher sollen besonders energiesparende Geräte  ...
Energie-Vorschriften für Haushalt-Geräte sollen's richten.Bild: DPA dpa

Das Energiegesetz, über das wir am Sonntag abstimmen, ist nur der erste Schritt in Richtung Energiewende. Um das Fernziel zu erreichen, den Energieverbrauch pro Person um 43 Prozent zu senken, wollte der Bundesrat ab 2021 in einer zweiten Etappe weitere Schritte ergreifen. Vorgesehen war eine Verteuerung von Brenn- und Treibstoffen sowie Strom. Der Nationalrat hat der Idee solcher Lenkungsabgaben in der Frühlingssession allerdings eine klare Abfuhr erteilt.

Wie die Ziele nun stattdessen erreicht werden sollen, ist unklar. Eine Option sind laut Bundesamt für Energie schärfere Vorschriften für Geräte und Anlagen. Solche zeigten bereits heute Wirkung: «So braucht ein Kühlschrank heute nur noch einen Drittel der Energie seines zehnjährigen Vorgängermodells, LED-Lampen brauchen 80 Prozent weniger Energie als traditionelle Glühbirnen.» Auch Zielvereinbarungen mit energieintensiven Unternehmen hätten sich gut bewährt. Die Gegner der Energiestrategie sind indes überzeugt, dass weitere «Zwangsmassnahmen» nötig sein werden.

Die Kosten

Une affiche inviant a voter non pour la loi sur l'energie photographiee ce mardi 9 mai 2017 a Lausanne. Le 21 mai 2017 le peuple suisse va voter sur la loi federale sur l'energie (LEne). (KE ...
Die SVP warnt bei einer Annahme des Energiegesetzes vor horrenden Kosten. Für Energieministerin Leuthard sind diese Zahlen «hanebüchen».Bild: KEYSTONE

Sie sind der grösste Zankapfel in der Energiedebatte. Während der Bund von Kosten von 40 Franken pro Haushalt und Jahr spricht, geht die SVP von 3200 Franken aus. Dass die Werte so weit auseinanderklaffen, liegt nicht nur daran, dass die beiden Seiten mit ganz verschiedenen Messgrössen operieren (so rechnet der Bund nur mit der geplanten Erhöhung des Netzzuschlags, während die Gegner noch zahlreiche andere Faktoren in die Rechnung einfliessen lassen – darunter etwa die noch nicht beschlossenen Lenkungsabgaben aus Punkt 2).

Doch selbst wenn alle Akteure mit denselben Ellen messen würden, liesse sich kein exakter Betrag berechnen. So könnte die technologische Entwicklung laut Marianne Zünd zu «sehr grossen Kosteneinsparungen» führen. Sie verweist auf die Preise für Photovoltaik-Anlagen, die in den letzten zehn Jahren bereits um 80 Prozent gesunken seien. Eine Rolle spielt auch, zu welchem Zeitpunkt alte Geräte, Anlagen und Stromleitungen ersetzt werden: Je nachdem fallen die Ersatzinvestitionen höher oder tiefer aus – und der technische Fortschritt grösser oder kleiner. Höchstens grob geschätzt werden kann auch, wie sich die Kosten bei einem Nein zur Energiestrategie entwickeln würden.

Die Entwicklung von Strom- und Ölpreisen

ARCHIV - ZUR MELDUNG, DASS DER ENERGIEKONZERN ALPIQ WIEDER IN DER GEWINNZOHNE IST, STELLEN WIR IHNEN DIESES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG - Blick auf einen Strommasten und die Sonne, aufgenommen am Mittwo ...
Die Entwicklung des Strompreises hat einen Einfluss auf die Höhe des Verbrauchs und die Rentabilität von Anlagen.Bild: KEYSTONE

Die weitere Entwicklung des Ölpreises wird nach Einschätzung des Bundes einen «sehr grossen Einfluss» auf die Energiezukunft haben. Der Preis werde weitgehend von den erdölproduzierenden Staaten diktiert, sagt Marianne Zünd. «Wenn der Preis wieder stark ansteigt, dann erhalten Massnahmen wie Gebäudesanierungen, Heizungsersatz oder Umstieg auf Elektromobilität starken Auftrieb.»

Auch die Entwicklung des Strompreises spielt eine Rolle: Wenn er steigt, erhöht sich der Anreiz, weniger Strom zu verbrauchen und selbst Strom zu produzieren. Wenn die Strompreise sinken, besteht hingegen die Gefahr, dass Anlagenbetreiber ihre Betriebskosten nicht mehr decken können und ihre Anlagen stilllegen.

In Deutschland sind entsprechende Folgen der Energiewende und der gesunkenen Strompreise bereits spürbar: In Bayern etwa musste vor zwei Jahren das Gaskraftwerk Irsching, eines der modernsten in Europa, stillgelegt werden, weil es nicht mehr profitabel betrieben werden konnte.

Fakten rund um den Energieverbrauch in der Schweiz

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Fakten rund um den Energieverbrauch in der Schweiz
Wer verbraucht am meisten Energie? Woher stammt unser Strom? Was sind die Zukunftsaussichten? Antworten, Bilder und Statistiken rund um das Thema Energie findest du in dieser Bildstrecke.
quelle: x90045 / mario anzuoni
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64 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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danski
17.05.2017 10:22registriert April 2017
Mir ist die Energie frisch vom Bauern dank Biomasse und die Energie der Sonne dank Fotovoltaik allemal lieber als Uran und Erdöl von irgendwelchen Diktatoren oder Terroristen. Dank unserer Wasserkraft sind wir in der Schweiz bestens aufgestellt, um die Herausforderung Energiewende zu meistern.
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BrigitteL
17.05.2017 10:20registriert April 2017
Klar, warten Herausforderungen auf uns - trotzdem wäre es komplett falsch, deswegen den Kopf in den Sand zu stecken. Es wird später nicht einfacher, im Gegenteil. Deswegen: Nehmen wir die Herausforderung an, für eine Zukunft mit sauberer, einheimischer Energie, auch für unsere Nachkommen.
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Primus
17.05.2017 11:36registriert September 2015
Technologie: Worin welche Energie steckt ist eigentlich schon lange sehr gut erforscht. Smart Grid kann u.U. die Nachfrage nach Energie dem Angebot anpassen und so das Problem der Speicherung umgehen. Dass aber da plötzlich eine neue Technik das Speicherproblem löst und ökonomischer und ökologischer als z.B. Pumpspeicherwerke sein wird ist schon sehr Prinzip Hoffnung.
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