Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!
- watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
- Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
- Blick: 3 von 5 Sternchen
- 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen
Du willst nur das Beste? Voilà:
Doping, immer wieder Doping. Der Kanadier Richard McLaren hat mit seinem Report die olympische Welt in den Grundfesten erschüttert.
Das Schweizer IOC-Mitglied René Fasel hält wenig von diesem Papier. Auf 103 Seiten beschreibt der «McLaren-Report» das Staatsdoping in Russland. Es geht auch um Ungereimtheiten rund um die Spiele von 2014 in Sotschi. Die Vorwürfe sind schwer und führten zur Forderung eines generellen Ausschlusses der Russen von Rio.
Aber treffen diese Vorwürfe zu? René Fasel sitzt seit mehr als 20 Jahren im IOC-Machtzentrum und ist skeptisch. «Ich zweifle den McLaren-Report an. Die Vorwürfe stützen sich in erster Linie auf die Aussagen eines Whistleblowers, dessen Glaubwürdigkeit nicht über alle Zweifel erhaben ist. Ich vermisse hieb- und stichfeste Beweise. Ich bin immer noch der Auffassung, die in einem Rechtsstaat üblich ist: Dass dem Angeklagten die Schuld zweifelsfrei bewiesen werden muss – und nicht der Angeklagte seine Unschuld zu beweisen hat.»
«Ich habe mich schon im Militärdienst über diese Art der Bestrafung aufgeregt und es ist eine Bestrafung, die mit einer rechtsstaatlichen Auffassung nicht vereinbar ist. Deshalb bin ich gegen die Kollektivstrafe und war gegen einen generellen Ausschluss der Russen für die Spiele in Rio. Es wäre absurd gewesen, beispielsweise die Tennisspielerinnen auszuschliessen, die während des ganzen Jahres auf der ganzen Welt unterwegs sind und x-mal kontrolliert werden.»
Das IOC hat es den einzelnen Fachverbänden überlassen, die Russen auszuschliessen. Der Leichtathletik-Verband (IAAF) setzte den kollektiven Ausschluss durch und René Fasel sagt: «Präsident Sebastian Coe hat in dieser Sache keine gute Figur gemacht.»
Das Vorgehen gegen die Russen komme ihm vor die wie Heilige Inquisition und er moniert: «Diese ganze Angelegenheit hat auch einen politischen Hintergrund und dient dem Interesse der anglo-amerikanischen Welt. Sport war halt schon immer auch Politik.»
Welches sind nun die Konsequenzen aus der ganzen Affäre? Wie geht es im Kampf gegen Doping weiter? René Fasel sagt: «Wie immer, wenn man nicht mehr weiterweiss, werden Arbeitsgruppen gebildet und Kongresse einberufen. So ist es auch jetzt. Das Doping-Problem ist so komplex, dass es keine einfachen Lösungen gibt.»
In Rio gibt es inzwischen von IOC-Vertretern Kritik an den Organisatoren. Die leeren Plätze in vielen Stadien sind längst ein Thema bei den IOC-Offiziellen. Sie sehen eine Gefahr für ihr Premiumprodukt. Mangelnder Zuschauerzuspruch, den die Menschen weltweit an den TV-Bildschirmen mitbekommen, macht sich nicht gut. «Dies sind bisher die schwierigsten Spiele gewesen, die wir je erlebt haben», hat der IOC-Vizepräsident John Coates in einem Interview mit der BBC gesagt: «Ich würde mir wünschen, dass da grössere Menschenmengen wären.»
René Fasel teilt diese Kritik nicht. «Diese Klagen kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich gab und gibt es Probleme. Aber es sind zu den wirklichen Problemen in diesem Land kleine Unzulänglichkeiten. Da wird gejammert, wenn einer eine halbe Stunde irgendwo auf einen Transport warten muss. Im IOC leben zu viele in einer anderen Welt und wissen gar nicht mehr, wie die Wirklichkeit solcher Spiele ist. Wartezeiten werden auch den Zuschauern zugemutet.»
«Die Spiele hier verlaufen so, wie das vernünftigerweise zu erwarten war. Wir sind hier in Südamerika und nicht in London. Es ist ganz normal, dass bei gewissen Wettkämpfen die Stadien leer bleiben. Die Leute kaufen doch keine Eintrittskarten, um Sportarten zu sehen, die sie nicht kennen und die in Brasilien keine Tradition haben.»
René Fasel sitzt noch bis zum Ende dieser Spiele im IOC-Exekutivrat, der IOC-Regierung. Dann verlässt er nach acht Jahren turnusgemäss die sogenannte «Sport-Weltregierung».
Zwei Hintergründe helfen uns, seine kritischen Worte einzuordnen. Er ist von den hohen IOC-Herren wahrscheinlich der authentischste. Er hat den Kontakt zur «richtigen» Welt nie verloren.
René Fasel steht dazu, dass er den Russen nahesteht. Er hat eine hohe Affinität für die russische Kultur und hat sich nie um den russlandfeindlichen Mainstream gekümmert.
Nach unserem Interview wird Fasel auf dem Weg zurück in die IOC-Gemächer von einer Gruppe von Russen erkannt. Grosses Hallo. Sie feiern ihn als Helden und geben nicht Ruhe, bis er sich aufheben und auf den starken Armen seiner Verehrer fotografieren lässt. Na und? Wenigstens einer in dieser IOC-Scheinwelt, der sagt, wo er steht, was er denkt.
Als bekennender Gegner von IOC-Präsident Thomas Bach kümmert er sich schon lange nicht mehr um sportpolitische Korrektheit und schon gar nicht lässt er sich das Reden verbieten. Lesen wir denn nicht im Buch der Bücher, des Gerechten Mund sei ein lebendiger Brunnen (Salomon)?
René Fasel hatte dem Deutschen vor der Wahl zum IOC-Vorsitzenden offen gesagt, er werde nicht für ihn stimmen. Nun haben sich die beiden kürzlich bei einer langen Aussprache in Lausanne offiziell versöhnt. René Fasel macht sich keine Illusionen. «Einer wie Thomas Bach vergisst nie.»
Aber einer wie René Fasel auch nicht.