Etwas überrascht waren wir ja schon, als es im Januar 2018 plötzlich hiess, dass der ehemalige SRF-Journalist Matthias Hüppi als Präsident beim FC St. Gallen anheuert und seinen Kollegen und früheren SRF-Experten Alain Sutter als Sportchef installiert.
Ein heikles Experiment, einen Mann als Sportchef anzustellen, der kaum Führungs-Erfahrung im Fussball hat. Nur wer etwas wagt, kann etwas gewinnen, schrieb unser interner FCSG-Kenner Ralf Meile damals.
Am 8. Januar 2018 hat Alain Sutter seinen Posten als Sportchef des FC St.Gallen angetreten. Etwas mehr als zwei Jahre später stehen die Ostschweizer zum ersten Mal seit sieben Jahren an der Tabellenspitze der Super League.
Wäre die aktuelle Tabellenposition nicht Leistungsnachweis genug, spricht vor allem das junge Kader für den Sportchef. Gegen den FC Basel betrug das Durchschnittsalter der Startelf 22,45 Jahre. Die Spieler auf der Ersatzbank waren im Schnitt 20,28 Jahre jung.
Alain Sutter hat ein Faible für junge Akteure, deren Karrieren ins Stocken geraten sind – und konnte diesen Umständen entsprechend die meisten Spieler ablösefrei verpflichten. Seit seinem Amtsantritt hat er gemäss transfermarkt.ch etwas mehr als eine Million Euro für neue Spieler bezahlt.
Ausgaben Transfers seit Alain Sutter:
Lukas Görtler: 450'000 Euro
Cedric Itten: 430'000 Euro
Slimen Kchouk: 150'000 Euro
Zum Vergleich: Torhüter Dejan Stojanovic wechselte im Januar für 1,1 Millionen Euro nach Middlesbrough. Die Ausgaben wurden also alleine mit diesem Transfer gedeckt.
Doch woraus besteht dieses Potpourri aus gescheiterten Talenten und Eigengewächsen? Ein genauer Blick auf das Kader der FC St.Gallen.
Im Kader seit: 24.01.2020
Position: Torhüter
Der Ghanaer kam im Winter vom FC Sochaux aus der französischen Ligue 2 und ersetzt in St.Gallen Dejan Stojanovic. In den bisherigen zwei Spielen zeigte sich Zigi grundsolide.
Der Torhüter kam 2015 nach Europa und schloss sich in Österreich dem zweitklassigen FC Liefering an. 2017 war er für ein halbes Jahr bei RB Salzburg und darf sich deshalb den Meistertitel in seiner Vita notieren – obwohl er beim Dosenklub ohne Einsatz blieb.
Im Kader seit: 31.01.2018
Position: Linksverteidiger
Ausgebildet wurde Muheim beim FC Zürich, zumindest bis in die U16, danach folgte der Wechsel zum FC Chelsea, bei dem er für die U18 und U23 im Einsatz war. Muheim bekam nach drei Jahren Heimweh, wurde an den Stammklub FC Zürich ausgeliehen, erhielt dort jedoch keinen Profivertrag.
Sutter, der Muheim schon vor seiner Chelsea-Zeit als Mentalcoach unterstützte, holte ihn definitiv zurück in die Schweiz zum FC St.Gallen.
Muheims Engagement bei den Ostschweizern hätte jedoch kaum schlechter beginnen können. Im März 2018 riss er sich in einem Spiel mit der zweiten Mannschaft das Kreuzband und kehrte erst Ende Jahr zurück.
Mittlerweile hat sich Muheim, der auf der linken Seite polyvalent in der Verteidigung, im Mittelfeld oder Angriff eingesetzt werden kann, einen Stammplatz erobert und machte 19 von 20 mögliche Spiele über 90 Minuten. Einmal fehlte er wegen einer Gelbrotsperre.
Im Kader seit: 06.02.2019
Position: Innenverteidiger
Am 6. Februar 2019 tauchte er plötzlich im Lineup gegen den FC Zürich auf. Der damals 16-jährige Leonidas Stergiou. Der U19-Nationalspieler der Schweiz spielte stark, überzeugte mit seiner Schnelligkeit und seinem Spielverständnis und machte bis Ende Saison noch 10 weitere Spiele.
Seit diesem Sommer ist er in der Innenverteidigung gesetzt und hat – obwohl er erst im März volljährig wird – bereits 29 Spiele in der Super League gemacht. Nebenbei absolviert er noch seine KV-Lehre in der Administration des FC St.Gallen.
Begonnen hatte die Karriere von Stergiou, die Mutter ist Serbin, der Vater Grieche, in Wattwil. Als er zum FC Wil wechselte, zog seinetwegen die Familie gleich neben das Stadion. 2015 folgte dann der Wechsel in den Nachwuchs des FC St.Gallen.
Im Kader seit: 01.07.2019
Position: Innenverteidiger/Mittelfeld
Noch einer aus dem eigenen Nachwuchs. Seit 2014 spielt Betim Fazliji in St.Gallen, absolvierte nebenbei das KV und hat seit Sommer einen Profivertrag. «Herr Sutter hat mich zu Hause angerufen, gefragt, wie es mir gehe. Und gesagt, ich bekäme einen Zweijahresvertrag. Wir, mein Vater und ich, lagen uns in der Küchenecke in den Armen, jubelten wie nach einem Torerfolg», erklärte er dem «Tagblatt».
«Beto», wie er von Freunden und Familie genannt wird, spielt in der Schweizer U20-Nati und ist bei St.Gallen zum Glücksbringer geworden. Die 12 Spiele, in denen er spielte, gewann der FCSG allesamt. Fazliji stand in seiner Karriere also noch in keiner einzigen Super-League-Partie auf dem Feld, die er nicht gewonnen hat. Unter diesen 12 Partien waren auch zwei Auswärtssiege beim FC Basel. Gestern erzielte Fazliji höchstpersönlich den Ausgleich zum 1:1. Was ihn zusätzlich auszeichnet: Fazliji ist polyvalent einsetzbar, er spielte schon im defensiven, zentralen oder rechten Mittelfeld – seine Hauptposition ist jedoch die Innenverteidigung.
Im Kader seit: 11.09.2015
Position: Rechtsverteidiger/Innenverteidiger
Seit 2009 im Verein, seit 2015 in der ersten Mannschaft, seit 2018 Captain. Steiler könnte der Weg von Silvan Hefti beim FC St.Gallen eigentlich nicht nach oben gehen. Für seine jungen 22 Jahre hat Hefti bereits viel Super-League-Erfahrung, er kommt auf 141 Partien in der höchsten Schweizer Spielklasse.
In dieser Saison ist er fix als Rechtsverteidiger gesetzt, er machte aber auch schon 71 Spiele als Innenverteidiger. Noch einer, der flexibel einsetzbar ist, also. Und noch einer, der neben seiner Profikarriere die KV-Lehre abschloss. Im Fernstudium holt er nun noch die Berufsmatur nach.
Hefti hat in St. Gallen noch Vertrag bis 2021. Mit einem Wechsel ins Ausland wird schon länger spekuliert, Hefti sagte gegenüber «Foot»: «Ein Wechsel muss Sinn machen und stimmen. Mir geht es hier gut und ich bin dankbar dafür, was ich hier habe. Klar hat man als Spieler Ambitionen und möchte einmal in einer bedeutenderen Liga spielen, aber man darf auch nicht vergessen, was man hat.»
Im Kader seit: 01.01.2019
Position: Linkes/Zentrales Mittelfeld
Der Spanier konnte sich in der Heimat nicht durchsetzen und spielte nie höher als in der dritten Liga – unter anderem von 2015 bis 2016 für die zweite Mannschaft des FC Valencia, wo er schon in der Jugend spielte. Danach verschwand Ruiz, wie er selbst sagt wegen falschen Beratern und einer schweren Knieverletzung, in den Niederungen des spanischen Fussballs. Er spielte zuletzt auf der balearischen Ferieninsel Formentera in der vierthöchsten Liga.
Alain Sutter beobachtete Ruiz damals in einem Spiel auf Mallorca und gab ihm einen Vertrag – Ruiz wurde als Perspektivspieler vorgestellt, als einer, der noch etwas Zeit braucht. Nach einigen wenigen Einsätzen in der Rückrunde der letzten Saison ist Ruiz zum Leistungsträger geworden. In 22 Pflichtspielen kommt er auf 5 Tore und 10 Assists.
Im Kader seit: 01.07.2018
Position: Defensives/Zentrales Mittelfeld
Es ist eine spezielle Karriere, die den 26-jährigen Jordi Quintilla zum FC St. Gallen geführt hat. Er absolvierte die Jugendakademie «La Masia» des FC Barcelona, schaffte es bis in die zweite Mannschaft der Katalanen und durfte teilweise mit den Stars des A-Teams um Lionel Messi trainieren.
Accepto el repte de @rogercanadell i nomino a @QuimRuizZorita @JaumeSobregrau i @alexlopez1993 per la #FotoFutbolera! pic.twitter.com/pZ4DENbOgq
— Jordi Quintilla (@jordiquintilla) September 10, 2014
Doch der Durchbruch blieb Quintilla verwehrt. Stattdessen wechselte er nach Ajaccio in die Ligue 2, ein Jahr später in die MLS nach Kansas. Über ein halbes Jahr war er danach vereinslos, es folgte der Wechsel zum Puerto Rico FC in die zweithöchste nordamerikanische Liga.
Dann kommt wieder Alain Sutter ins Spiel. Der Sportchef erkannte das Potential Quintillas und der Spanier sollte in St.Gallen nicht enttäuschen. Der defensive Mittelfeldspieler wurde sofort zum Stammspieler – seit dieser Saison zeigt er sich zudem ungemein torgefährlich. In 18 Partien erzielte er bereits 9 Tore, davon drei per Elfmeter.
Im Kader seit: 08.07.2019
Position: Zentrales Mittelfeld
Lukas Görtler stand 2015 ganze 18 Minuten in einem Pflichtspiel für Bayern München auf dem Feld. Zu mehr reichte es beim deutschen Rekordmeister aber nicht, Görtler war sonst mit den Reserven in der Regionalliga unterwegs. Verpflichtet wurde er schliesslich auch vom Trainer der U23: Erik Ten Hag, der letzte Saison Ajax Amsterdam ins Halbfinale der Champions League führte, entdeckte den damals 20-jährigen Görtler beim Regionalligisten Eintracht Bamberg. Damals arbeitete dieser noch hauptberuflich als Informatik-Kaufmann.
Erfahrung sammelte Görtler später in der 2. Bundesliga beim 1. FC Kaiserlautern (43 Spiele) und in der holländischen Eredivise beim FC Utrecht (52 Spiele). Von den Holländern wurde Görtler im letzten Sommer dann auch verpflichtet – für 450'000 Euro. Er ist damit der teuerste Neuzugang in der Ära Sutter.
Der Deutsche ist für Trainer Peter Zeidler unverzichtbar und fehlte bisher nur in einer einzigen Partie wegen einer Gelbsperre.
Im Kader seit: 30.01.2019
Position: Stürmer/Offensives Mittelfeld
Ähnlich wie Quintilla war auch Jérémy Guillemenot nah dran an den grossen Stars des FC Barcelona. Guillemenot galt mit 17 Jahren als eines der grössten Schweizer Talente. Der FC Barcelona, der ihn im Sommer 2016 von Servette in seine Jugendabteilung «La Masia» holte, war derselben Meinung.
Guillemenot, der alles auf die Karte Fussball setzte und das Gymnasium dafür abbrach, wurde in Barcelona aber eben so wenig glücklich, wie später bei Rapid Wien, wo er in einem halben Jahr nur 108 Minuten Einsatzzeit bekam.
Vor einem Jahr schlug der FC St.Gallen zu und holte Guillemenot in die Schweiz zurück. Der Offensiv-Allrounder, der auch in der Schweizer U21-Nati spielt, wird oft als Joker eingesetzt.
Im Kader seit: 30.06.2019
Position: Stürmer
Boris Babic schien schon vergessen und plötzlich ist er wieder da, und wie! Das St.Galler Eigengewächs galt als Megatalent, war 2014 zum ersten Mal im Kader der ersten Mannschaft des FCSG. Es reichte aber noch nicht. Es folgten Leihen in die Challenge League. Erst zu Biel, dann zu Vaduz. Bei den Liechtensteinern sass er zuletzt eigentlich nur noch auf der Tribüne, schoss in 32 Spielen kein einziges Tor.
Babic galt als faul, war zu oft auf Partys unterwegs, ernährte sich schlecht. «Klick» gemacht habe es erst nach Gesprächen mit Trainer Peter Zeidler und Sportchef Alain Sutter. Im Sommer kehrte er von der Vaduzer Tribüne zurück nach St.Gallen und überzeugte in der Vorbereitung. Babic wird plötzlich zum Stammspieler und schiesst in 19 Saisonspielen 8 Tore.
Im Kader seit: 01.07.2018
Position: Stürmer
Er ist der Aufsteiger der Saison. Seine starke Hinrunde mit 8 Toren wird mit dem Nati-Aufgebot belohnt. Itten wird in der EM-Qualifikation gegen Georgien eingewechselt – und macht sechs Minuten später das einzige Tor der Partie. Drei Tage später darf er gegen Gibraltar von Beginn an ran, Itten erzielt diesmal zwei Tore und bereitet ein weiteres vor.
Itten stammt eigentlich aus der Jugend des FC Basel. Doch der damalige FCB-Trainer Raphael Wicky kann mit Itten wenig anfangen, der Stürmer wird erst nach St.Gallen ausgeliehen und dann verkauft. Die Rache von Itten, der schon als kleiner Junge im St.Jakob-Park mit dem FCB mitfieberte: 7 Spiele gegen Basel, 5 Tore ...
Im Kader seit: 02.09.2019 (für 1 Jahr ausgeliehen von Deportivo Alaves)
Position: Stürmer
Im Nachwuchs bei Hamburg sagte man ihm, er sei zu langsam und träge für den Profifussball. Mit 16 wechselt er zu RB Leipzig danach zog es Demirovic nach Spanien zu Deportivo Alaves. In der Primera Division spielte Demirovic drei Partien, kam dabei auf ein Tor und ein Assist. Danach wurde er zu Sochaux in die Ligue 2 und Almerìa in die zweite spanische Liga ausgeliehen.
Nach einem Telefonat mit Peter Zeidler wollte Demirovic im letzten Sommer unbedingt zu St.Gallen und wurde für ein Jahr verliehen. Der Bosnier konnte sofort überzeugen, kommt auf 13 Skorerpunkte (9 Tore, 4 Assists) in ebenso vielen Spielen. Gegen Basel fehlte Demirovic gestern wegen einer Gelbsperre. Wie Sportchef Sutter sagt, gibt es keine Kaufoption für Demirovic, man werde sich je nach Situation aber mit Alaves unterhalten.
Im Kader seit: 04.07.2019
Position: Innenverteidiger
Der Franzose kam im Sommer vom VfR Ahlen aus der Regionalliga nach St.Gallen und machte bisher alle möglichen Pflichtspiele. Alle? Nicht ganz, wegen seiner achten gelben Karte verpasste er am Sonntag sein zweites Spiel in dieser Saison.
Der Innenverteidiger lässt Fans und Trainer wegen seines oftmals riskanten Spiel leer schlucken, doch Letard bringt eben auch ganz viel Qualität mit. Qualität, die der FC St. Gallen erkannte. Bei Ahlen meist nur Ersatz, lud man Letard in ein dreitägiges Probetraining ein. Letard überzeugte und durfte weiter mittrainieren, bis er schliesslich einen Vertrag bis 2021 erhielt.
Angelo Campos, 19
Der Stürmer ist einer von der eigenen Jugend, bisher mit 6 Teileinsätzen.
Axel Bakayoko, 22
Von Inter Mailand ausgeliehen, bisher mit 7 Teileinsätzen in der Super League.
Alessandro Kräuchi, 21
Mittelfeldspieler aus der eigenen Jugend, 2 Teileinsätze.
Andre Ribeiro, 22
Kam im Sommer von Braga. Drei Teileinsätze, traf gegen Basel zum Sieg.
Tim Staubli, 19
Aus der eigenen Jugend, zwei Teileinsätze.
Musah Nuhu, 23
War letzte Stammspieler in der Innenverteidigung, fällt nun mit Kreuzbandriss aus.
Lorenzo Gonzalez, 19
Gilt als Mega-Talent, war in der Jugend bei Manchester City und zuletzt beim FC Malaga. Stiess erst im Januar zum Team und ist noch verletzt.
Im Kader von St.Gallen hat es drei Spieler, die über 30 Jahre alt sind. Sie spielen alle keine grosse Rolle in den Planungen von Peter Zeidler.
Milan Vilotic, 33
Kam im Juli 2018 von GC. Machte in dieser Saison ein einziges Spiel im Cup. Sonst war er nie im Kader.
Vincent Rüfli, 32
Der ehemalige, einfache Schweizer Nationalspieler kam im Juli 2019. Er machte in der Super League drei Partien (123 Minuten) für St. Gallen und stand zuletzt im Oktober im Kader.
Moreno Costanzo, (31)
Auch er ein ehemaliger Nationalspieler, der im Juli 2019 (zurück) in die Ostschweiz kam. Er schaffte es aber nicht über die Joker-Rolle hinaus und wurde in dieser Saison lediglich sieben Mal eingewechselt.
Im Kader seit: 01.07.2018
Position: Trainer
Ein eminenter Baumeister des Erfolgs ist Peter Zeidler. Der Deutsche, der unter anderem bei RB Salzburg und dem FC Sion tätig war, kam auf die Saison 2018/19 zusammen mit Assistent Boro Kuzmanovic. Seit Januar 2019 ist zudem der frühere Bundesliga-Spieler Ioannis Amanatidis als weiterer Co-Trainer tätig.
Sportchef Alain Sutter war es, der Peter Zeidler nach St.Gallen holte und vor allem Giorgio Contini – trotz guter Arbeit – entliess, weil dieser mit der Philosophie der neuen Klubführung nicht klar kam. «Ich hatte je länger je mehr das Gefühl, dass Giorgio Contini nicht richtig Freude daran hat, mit mir zusammen zu arbeiten.» Sutter ergänze an einer Medienkonferenz damals: «Ich übernehme die volle Verantwortung dafür.»
Der mutige Schritt wurde belohnt, unter Peter Zeidler hat St. Gallen mit einem komplett umgekrempelten und blutjungen Team den nächsten grossen Schritt getan. Reicht das am Ende sogar für die Meisterschaft?
Es zeugt von grossem Fachwissen aller Beteiligten, wenn ein solcher Plan aufgeht.
Könnten sich einige Clubs noch was abschauen.