«Ersatzwahlen in den Bundesrat sind für uns eine Art Polit-Happening.» So beschreibt es Helmut Hubacher in seiner Kolumne in der «Basler Zeitung». Das 92-jährige SP-Urgestein hat unzählige miterlebt. Er werde am 5. Dezember erneut vor dem Bildschirm sitzen, kündigt Hubacher an. Dann wird die Nachfolge von Doris Leuthard (CVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) geregelt.
In diesen Tagen läuft die Anmeldefrist für die Kantonalparteien ab. Bis Mittwoch müssen allfällige Kandidaturen bei der FDP Schweiz deponiert werden. Bei der CVP hat man einen Tag länger Zeit. Danach werden die Bewerberinnen und Bewerber auf Herz und Nieren geprüft, und Mitte November entscheiden die Bundeshausfraktionen, wen sie offiziell nominieren wollen.
Falls nicht eine unerwartete Kandidatur auftaucht, steht das Bewerberfeld in beiden Parteien so gut wie fest. Die Ausgangslage präsentiert sich höchst unterschiedlich. Bei der FDP läuft alles auf einen Namen hinaus, während sich bei der CVP niemand richtig aufdrängt.
Die St.Galler Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter war von Anfang an die Topfavoritin. Ihre Nominierung durch die Kantonalpartei am Samstag war Formsache. Nun ist ihre Ausgangslage besser denn je, ihr Weg in den Bundesrat ist inzwischen so breit wie eine Autobahn. Erst sagten gewichtige innerparteiliche Rivalen ab, allen voran der Bündner Ständerat Martin Schmid.
Dann folgten alle potenziellen Ostschweizer Kandidaten aus der CVP, die ihr die Suppe hätten versalzen können: Die Thurgauer Ständerätin Brigitte Häberli, der St.Galler Regierungsrat Benedikt Würth (er dürfte auf den Ständeratssitz von Keller-Sutter schielen) und der Innerrhoder Nationalrat und Landammann Daniel Fässler nahmen sich selbst aus dem Rennen.
Als einzige FDP-Herausforderer von KKS verbleiben der Nidwaldner Ständerat Hans Wicki und der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler. Sie können einen moralischen Anspruch geltend machen: Ihre Kantone waren noch nie im Bundesrat vertreten. Sonst haben beide wenig vorzuweisen, mit dem sie den Durchmarsch von Karin Keller-Sutter gefährden könnten.
Wicki sorgte an seiner Medienkonferenz mit seinem holprigen Französisch für Heiterkeit. Wogegen die gelernte Dolmetscherin Keller-Sutter die zweite Landessprache perfekt parliert – ein Aspekt, den man in der Deutschschweiz gerne unterschätzt. Amsler wiederum hat einen ansprechenden Leistungsausweis, aber ihm fehlt die Vernetzung in Bern.
Aus ihrer Zeit als Regierungsrätin ist Keller-Sutter für manche noch immer eine Reizfigur. Aber gerade die SP hat wenig Argumente, um ein weiteres Mal eine bürgerliche Bundesrätin aus ideologischen Gründen zu verhindern, wie Keller-Sutter 2010 oder Isabelle Moret vor einem Jahr. Mehr denn je gilt: Die Kronfavoritin aus Wil kann sich fast nur selber schlagen.
Ganz anders sieht es bei der CVP aus. Obwohl Doris Leuthards Rücktritt seit mehr als einem Jahr absehbar war, fehlt eine zündende Kandidatur. «So richtig zufrieden ist derzeit niemand», schreibt die NZZ. Für den «Sonntagsblick» ist die einst stolze CVP «ein Häufchen Elend». Der Niedergang zeige sich darin, dass «lauter Unbekannte» ins Rennen um den Bundesratssitz steigen würden.
Das ist übertrieben. Allerdings haben sich hoch gehandelte Namen aus dem Rennen genommen. Der Luzerner Ständerat Konrad Graber hat seinen Rückzug aus der Politik angekündigt, der Obwaldner Erich Ettlin will Ständerat bleiben. Schliesslich hat sich auch der Solothurner Ständerat und Langzeit-Anwärter Pirmin Bischof aus Rücksicht auf seine junge Familie abgemeldet.
Sämtliche BR-Kandidaten/-innen mit jungen Familien haben sich sehr schnell aus dem Rennen genommen. Soweit völlig verständlich. Dem Bundesrat sei aber jetzt schon auf den Weg gegeben: Bitte sorgt dafür, dass Familien und Junge nicht komplett zur Oppositionsgruppierung werden!
— Stefan Müller (@MullerAltermatt) 22. Oktober 2018
Bis jetzt besteht das Kandidatenfeld aus gerade mal drei Namen: dem Zuger Ständerat Peter Hegglin, der Urner Regierungsrätin Heidi Z'graggen und der Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Die Walliser Nationalrätin Viola Amherd, die sich von einer Nierenstein-Operation erholt, dürfte sich bis zum Anmeldeschluss ebenfalls für eine Kandidatur entscheiden.
Für Begeisterung sorgt niemand. Amherd gilt ebenfalls schon lange als mögliche Leuthard-Nachfolgerin. Sie hat jedoch zwei Handicaps: Die ehemalige Briger Stadtpräsidentin gilt als Vertreterin des linken Flügels, was im Parlament ein Nachteil sein könnte. Als Walliserin vertritt sie ausserdem den westlichen Landesteil, der in den letzten Jahren im Bundesrat übervertreten war.
Der ehemalige Finanzdirektor Hegglin blieb im Ständerat blass. Z'graggen ist auf nationaler Ebene in der Tat wenig bekannt. Schneider-Schneiter hingegen hat als Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission (APK) in letzter Zeit viel Medienpräsenz erhalten (unter anderem in der «Arena»). Allerdings wollen die Stimmen nicht verstummen, die ihr Bundesratsformat anzweifeln.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die Spekulationen über eine Kandidatur von Walter Thurnherr oder Gerhard Pfister anhalten. Sowohl der Bundeskanzler wie der Parteipräsident haben wiederholt betont, sie stünden nicht zur Verfügung, Pfister zuletzt in Interviews mit der Sonntagspresse. Bei genauer Lektüre kommt man jedoch zum Schluss, dass der Zuger die Türe nicht völlig zuschlägt.
Drei Szenarien stehen im Raum. Es kommt zu einer Wiederholung der Wahl von 2008, als SVP-Präsident Ueli Maurer stets betont hatte, er wolle nicht antreten. Am Ende war er auf dem Ticket und schliesslich im Bundesrat.
Allerdings traut man der braven und staatstragenden CVP solche Winkelzüge mit Gerhard Pfister kaum zu. Die serbelnde Partei kann es sich nicht leisten, ihren Präsidenten nur Monate vor den Wahlen zu ersetzen oder im Fall einer Niederlage zu verheizen.
Realistischer ist das Szenario, in dem SVP und FDP vereinbaren, den rechtsbürgerlichen Pfister als «wilden» Kandidaten zu wählen, um den Bundesrat auf verschärften Rechtskurs zu trimmen. Die Chancen wären hoch, denn Pfister könnte auch auf Stimmen aus der eigenen Fraktion zählen. Es ist fraglich, dass er in einem solchen Fall auf die Annahme der Wahl verzichten würde.
Es gibt jedoch eine weitere Variante: Nach mehr als zwölf Jahren mit der ominpräsenten und vor allem von der Ringier-Presse verhätschelten Doris Leuthard könnte das Parlament zögern, den einzigen CVP-Sitz im Bundesrat erneut mit einer dominanten Persönlichkeit zu besetzen. Das spricht gegen Pfister und für eine der aktuellen eher farblosen Bewerbungen.
Eines scheint sicher: Weil Karin Keller-Sutter für die FDP so gut wie gewählt ist, dürfte die Bundesversammlung beim CVP-Sitz wenig Druck verspüren, eine weitere Frau zu berücksichtigen. Bis zur Wahl kann noch einiges geschehen. Man sollte aber nicht überrascht sein, wenn am Mittag des 5. Dezember Keller-Sutter und Peter Hegglin als neue Bundesratsmitglieder gefeiert werden.