Nach den Rücktritten von Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard wurde kurz die Befürchtung laut, im Bundesrat könnte mit Simonetta Sommaruga bald nur noch eine Frau sitzen. Sie verflüchtigte sich rasch, denn zumindest eine Frau ist für die Nachfolge so gut wie gesetzt. Bei genauer Betrachtung spricht wenig gegen eine doppelte Frauenwahl.
Bei diesem Argument handelt es sich weder um überzogenes Quotendenken noch um einen Fall von maskulinem Feminismus. Über Frauen heisst es bekanntlich, sie müssten besser sein als ihre männlichen Konkurrenten, um beruflich Karriere zu machen. Im Fall der Kandidierenden von CVP und FDP trifft dies zu. Dies darf man nach dem Besuch ihrer Live-Auftritte getrost behaupten.
Vorerst werden die Fraktionen beider Parteien am Freitag darüber beraten, wen sie der Bundesversammlung für die Wahl am 5. Dezember offiziell vorschlagen wollen. Der Entscheid soll in beiden Fällen am Abend verkündet werden. Warum aber sind Frauen bei dieser Doppelvakanz die bessere Wahl?
Bei der Nachfolge von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann war von Beginn an klar: An der früheren St. Galler Regierungsrätin und aktuellen Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter führt kaum ein Weg vorbei. Ihre Favoritenrolle hat sich seither gefestigt. Erst sagten die potentiell härtesten FDP-Rivalen ab, dann alle möglichen Ostschweizer «Spielverderber» aus der CVP.
Verblieben sind der Nidwaldner Ständerat Hans Wicki und der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler. Beide stammen aus Kantonen, die noch nie im Bundesrat vertreten waren. Amsler hinterliess an der FDP-Roadshow einen kompetenten Eindruck, Wicki verfügt über Führungserfahrung in der Privatwirtschaft. Für eine Rolle als «Ladykiller» reicht beides nicht.
Für die 54-jährige Karin Keller-Sutter ist der Zeitpunkt ideal. Bei ihrem ersten Versuch 2010 war sie im Bundeshaus zu wenig bekannt. Sie hat sich seither auch thematisch breiter aufgestellt und aus der Ecke der asyl- und sicherheitspolitischen Hardlinerin («Blocher im Jupe») befreit. Für Fussballfans ist die einstige «Hooligan-Jägerin» nach wie vor ein rotes Tuch, aber deren Stimmen zählen nicht.
Die FDP hat 1984 mit Elisabeth Kopp die erste Bundesrätin der Schweizer Geschichte gestellt – und seither keine mehr. Daran ist die Partei nur bedingt schuld. Sie hat immer wieder Frauen nominiert, die im Parlament durchfielen, zuletzt Isabelle Moret vor einem Jahr. Auch Karin Keller-Sutter ist noch nicht gewählt. Dennoch muss man sich in Sachen FDP-Sitz fragen: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Der Leuthard-Sitz wird in knapp drei Wochen zuerst vergeben, doch die Lage ist komplizierter als bei der FDP. Diverse CVP-«Schwergewichte» (Pfister, Thurnherr, Graber, Bischof etc.) haben verzichtet. Es bleiben vier Kandidierende – drei Frauen und ein Mann –, die niemanden aus dem Sitz reissen. Eigentlich ein Armutszeugnis für eine Partei, die sich im steten Niedergang befindet.
Der einzige gemeinsame Auftritt des Quartetts offenbarte, dass der Zuger Peter Hegglin nicht nur zahlenmässig im Nachteil war. Er zeigte eine schwache Leistung und blamierte sich mit seinem Pseudo-Englisch. Abschreiben darf man ihn aber nicht: Mit seinem Profil als ehemaliger kantonaler Finanzdirektor und Wertkonservativer dürfte Hegglin im rechten Lager gut ankommen.
Die Walliser Nationalrätin Viola Amherd ist Vizepräsidentin der Fraktion und gilt somit auf dem Ticket als gesetzt. Sie balanciert geschickt zwischen linken und rechten Positionen. Doch die ehemalige Briger Stadtpräsidentin wird von Affärchen verfolgt, die alle mit Geld zu tun haben, so einem Mietzinsstreit mit dem Energiekonzern Alpiq, über den der «Walliser Bote» berichtet hat. Weiter wollte Amherd 60'000 Franken, die sie für den Wahlkampf 2011 verwendet hatte, von den Steuern abziehen. Das Bundesgericht pfiff sie zurück.
Ausserdem muss sie sich mit Vorwürfen der «Weltwoche» herumschlagen, sie habe zwei Notare um ihnen zustehende Gebühren geprellt. Die Realität ist komplizierter, und keiner der Fälle ist ein echter Skandal. Dennoch fühlt man sich unangenehm an den ehemaligen SVP-Kandidaten Bruno Zuppiger erinnert, der kurz vor der Bundesratswahl 2011 über eine von der «Weltwoche» enthüllte Erbschaftsaffäre stolperte.
Die Urner Regierungsrätin Heidi Z'graggen könnte als «rechte» Alternative zu Hegglin nominiert werden. Allerdings kennt man sie in Bern kaum. Beim Auftritt im Hotel Bellevue bezeichnete sie einen Fragesteller gut hörbar als «Depp». Für einen Politikforscher zeigt der Fauxpas, dass Z'graggen «keine Erfahrung mit dem Berner Politbetrieb hat». Dort wird man von Medienprofis darauf gedrillt, mit umgehängtem Mikrofon sein Mundwerk zu zügeln.
Bleibt die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Über sie kursieren allerlei negative Attribute: zu sprunghaft, zu leichtgewichtig, zu isoliert. Dabei verfügt sie als gesellschaftlich liberale Wirtschaftsfrau, die für eine offene Aussenpolitik einsteht, über ein interessantes Profil. Ausserdem ist Schneider-Schneiter zweifache Mutter und passt damit zur Familienpartei CVP. Amherd und Z'graggen sind kinderlos, ebenso die bisherigen CVP-Bundesrätinnen Ruth Metzler und Doris Leuthard.
Weil niemand aus der «Viererbande» restlos überzeugt, kursieren immer wieder Szenarien über eine «alternative» Kandidatur etwa von Parteipräsident Gerhard Pfister oder Bundeskanzler Walter Thurnherr. Plausibel sind sie nicht. Die CVP selbst würde sich mit solchen Spielchen lächerlich machen, und auch bei den anderen Parteien wird sich die Lust darauf in Grenzen halten.
Der Grund dafür ist simpel: Die CVP ist für links und rechts als Mehrheitsbeschafferin unentbehrlich. Insbesondere im Ständerat führt kein Weg an ihr vorbei, weshalb es sich keine Seite mit ihr verscherzen will. Ein «rechtes» Ticket Hegglin/Z'graggen könnte SP und Grüne provozieren, doch sie sind auf die CVP stärker angewiesen als FDP und SVP.
Deshalb wird es auf einen der vier Nominierten hinauslaufen. Die Voraussetzungen für ein reines CVP-Frauenticket sind trotz aller Vorbehalte optimal. Trotzdem muss man damit rechnen, dass es Peter Hegglin nicht nur auf das Ticket schafft, sondern auch gewählt wird. Es wäre ein Jammer, denn selten waren die Voraussetzungen so gut, um zwei Frauen gleichzeitig in den Bundesrat zu bringen.
Wenn nicht jetzt, wann dann?