Ist die Schweiz blind für Behörden-Rassismus? Das behauptet zumindest diese Forscherin
Der Vorwurf
Während das Land gerade hitzig darüber diskutiert, ob Basler Guggen «Mohrekopf» oder «Negro» heissen dürfen, bekommt die Schweiz für ihren Umgang mit Rassismus auch in der Fachpresse ihr Fett weg.
Nicht nur Volksinitiativen aus der rechten Ecke hätten Rassismus in der Schweiz salonfähig gemacht, schreibt Stefanie Boulila, Postdoktorandin an der deutschen Universität Göttingen, in einer Studie, die unlängst in der Fachzeitschrift «Ethnic and Racial Studies» erschienen ist. Mitschuld sei auch «ein staatlich unterstütztes Klima, in welchem jeder Versuch, Rassismus zu benennen, als exzessiv oder hysterisch befunden wird».
Boulila stellt in der Studie insbesondere der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) ein schlechtes Zeugnis aus. Und fordert die Schweiz auf, ihre Anti-Rassismus-Politik dringend überdenken.
Die Argumentation
Die gebürtige Bernerin argumentiert dabei wie folgt:
- Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus stelle Rassendiskriminierung als ein Problem von einzelnen Menschen dar, quasi als krankhafte Abweichung von der Norm. Für die strukturellen und institutionellen Ursachen von Rassismus sei die Kommission hingegen weitgehend blind.
- Dies, obwohl unzählige Beispiele existierten, in denen Rassismus von den Behörden ausgehe. So etwa das Badi-Verbot für Asylsuchende in Bremgarten AG, das 2013 international für Schlagzeilen sorgte. Oder die Kontroverse um die Anti-Minarett-Plakate der SVP 2009: Damals verzichtete die EKR darauf, sich explizit für ein Verbot der Plakate auszusprechen.
- Weil die EKR dem Eidgenössischen Departement für Inneres unterstehe, mangle es ihr an Unabhängigkeit, so Boulila weiter. Aufgrund ihrer Nähe zum Bund könne die Kommission Rassismus von Seiten der Behörden schlecht ankreiden. Generell verfüge sie über zu wenig Ressourcen und Kapazitäten.
- Die Schweiz kehrt laut Boulila ihre Rolle in der Geschichte des Kolonialismus unter den Teppich. Darum sei sie auch nicht gewillt, sich mit den Folgen zu beschäftigen sowie mit dem Umstand, dass Menschen aufgrund der Idee von «Rasse» immer noch Diskriminierung erfahren. «Rasse», so Boulila, habe sich historisch nicht nur auf körperliche, sondern auch auf kulturelle Zuschreibungen bezogen – und diese gelte es zu entkräften.
- Indem man das Konzept der «Rassen» als überwunden erkläre, erschwere man den Kampf gegen Rassismus erst recht. Denn so liessen sich die Missstände schlechter benennen und eine Mobilisierung der Betroffenen sei schwieriger.
Gegenüber watson führt Boulila aus, es gelte genauer hinzusehen, wie sich Rassismus in unseren Institutionen und in unserer Gesellschaft äusserten – «vom Bildungssystem über die politischen Strukturen und die Polizei bis hinein in Krankenhausbetriebe und die Medien und Konsumkultur». Sie plädiert dafür, Menschen die Untersuchungen leiten zu lassen, die selber von Rassismus betroffen sind.
Das sagt die EKR
Bei der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus kommt der Rundumschlag schlecht an. «Die EKR befasst sich mit allen Themen, die sie für sinnvoll hält, auch mit Fragen im Zusammenhang mit Behörden und Institutionen», betont Geschäftsführerin Giulia Brogini.
Die Forscherin habe die Arbeit der EKR der letzten Jahre nicht berücksichtigt, ärgert sich Brogini. Und verweist darauf, dass die Kommission 2016 beispielsweise eine ganze Ausgabe ihrer Zeitschrift «Tangram» der Rassismus-Problematik im Schulbereich gewidmet habe.
Als weiteres Beispiel führt die Geschäftsführerin eine Studie zum Thema «Anti-Schwarze-Rassismus» an, die das Zentrum für Sozialrecht der ZHAW letztes Jahr im Auftrag der EKR erstellt hat. In ihren Ausführungen dazu hält die Kommission fest, schwarze Menschen seien in der Schweiz mit struktureller Diskriminierung, Alltagsrassismus und Stigmatisierung konfrontiert. «Gleichzeitig werden ihnen wegen ihrer Hautfarbe Eigenschaften wie Irrationalität, Emotionalität, Faulheit, Triebhaftigkeit, Gewalttätigkeit oder kriminelles Verhalten zugeschrieben.»
Diese Formen rassistischer Diskriminierung liessen sich teils auf koloniale Bilder und strukturelle Ungleichheiten zurückführen, hält die EKR weiter fest. «Selber zwar ohne eigene Kolonien, hat die Schweiz ohne Zweifel ökonomisch und politisch vom Kolonialismus in Afrika und vom transatlantischen Sklavenhandel profitiert». Die Aufarbeitung dieser Verflechtungen und deren Folgen sei heute noch lückenhaft.
In dieser Stellungnahme seien alle Dimensionen des Rassismus – institutionell, politisch und strukturell – berücksichtigt, so Brogini.
Kritik am Laufmeter – und ein neues Problem
Es ist nicht das erste Mal, dass die offizielle Schweiz für ihre Anti-Diskriminierungs-Politik einen Rüffel kassiert. So zeigten sich UNO-Gremien wiederholt besorgt über strukturellen und institutionellen Rassismus in der Schweiz. Anlass zu Kritik gaben letztes Jahr etwa die «extrem rechte Positionierung gewisser Medien und Parteien» sowie «politische Kampagnen mit rassistischen und ausländerfeindlichen Inhalten».
Viele UNO-Mitgliedstaaten forderten die Schweiz zudem dazu auf, ein wirksameres Anti-Diskriminierungs-Gesetz einzuführen. Einen Gesetzesartikel, der Rassendiskriminierung unter Strafe stellt, gibt es in der Schweiz erst seit 1995. Seither wurden über 500 Schuldsprüche ausgesprochen – 38 davon gegen Politiker, 22 gegen Medienschaffende.
Grundsätzlich stelle die EKR fest, dass die Sensibilität und das öffentliche Bewusstsein für Rassismus in den letzten Jahren zugenommen habe, sagt Geschäftsführerin Brogini. Neue Herausforderungen ortet sie insbesondere im Zusammenhang mit Rassismus in den sozialen Medien. Auch dort wolle sich die Kommission künftig verstärkt engagieren, verspricht die Geschäftsführerin.
