Seit Mittwochmorgen 8 Uhr fliesst kein russisches Gas mehr durch die Jamal-Pipeline nach Polen und Bulgarien. Der russische Energiekonzern Gazprom bestätigte den Lieferstopp. Das Unternehmen habe die Lieferungen eingestellt, weil die Gasunternehmen nicht rechtzeitig in Rubel gezahlt hätten. Sofia und Warschau hingegen betonten, ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllt zu haben. Alle Zahlungen, die der laufende Vertrag erforderlich mache, seien rechtzeitig getätigt worden, teilte die bulgarische Regierung mit.
Laut Warschau ist man auf den Gasstopp vorbereitet. Polens Klimaministerin Anna Moskwa sagte, die Auswirkungen des Lieferstopps seien gering. Seit den ersten Tagen des Ukraine-Krieges habe Warschau erklärt, dass es für eine vollständige Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen bereit sei. Auch Bulgarien habe Schritte zur alternativen Gasversorgung unternommen, teilte das Energieministerium in Sofia mit. Vorerst sei keine Begrenzung des Gasverbrauchs notwendig.
Marcus Matthias Keupp, Militärökonom an der ETH Zürich, erklärt, sowohl in Polen als auch Bulgarien mache Erdgas nur einen relativ geringen Anteil der Primärenergie aus. Der Ersatz werde nun zur Hälfte über das Flüssiggasterminal in Swinemünde an der deutsch-polnischen Grenze kommen. Die andere Hälfte über die Baltic Pipeline von den dänischen und norwegischen Feldern in der Nordsee, sobald diese Pipline fertig ist.
Bulgarien könnte laut Keupp alternativ über die Trans-Balkan-Pipeline, die von der Ukraine aus der Schwarzmeerküste entlang nach Süden verläuft, versorgt werden. «Diese Pipeline läuft momentan nur mit fünf Prozent ihrer Kapazität. Per sofort wäre problemlos denkbar, dass die Türkei mehr russisches Erdgas über BlueStream oder Turkstream importiert und den Überschuss nach Bulgarien leitet.»
Auch für die angrenzenden Länder hat der Gasstopp von Russland derzeit keine Auswirkungen. Der Bevollmächtigte der polnischen Regierung für strategische Energieinfrastruktur, Piotr Naimski, versicherte, dass nach Deutschland weiter Gas über Nord Stream 1 fliesse. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei weiter gewährleistet, sagte eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstagabend nach der Nachricht aus Polen. «Wir beobachten die Lage genau.»
Militärökonom Keupp schaut gelassen auf diese Entwicklungen. Die wichtige Frage sei für ihn: Würden wir auch weiterhin von einem Lieferanten, der sich wie Gazprom verhält, kaufen? Er findet: «Nur, solange wir müssen. Sobald alternative Pipelines und Flüssiggasterminals zur Verfügung stehen, verliert der Lieferant seine Marktmacht und schädigt sein eigenes Geschäft.» (sar/sda)