Sport
Eismeister Zaugg

Vergessene Helden: Die vergebliche Suche nach Hockey-Romantik in Zug

Zugs Timo Helbling spricht zu seinen Teamkollegen im ersten Eishockey Playoff-Finalspiel der National League A zwischen dem SC Bern und dem EV Zug, am Donnerstag, 6. April 2017, in der PostFinance Are ...
Zug, die Heimat des Eissportvereins: keine Hockeytown.Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg

Vergessene Helden: Die vergebliche Suche nach Hockey-Romantik in Zug

Heute geht die Final-Serie zwischen dem SC Bern und dem EV Zug in die zweite Runde. Nachdem Bern das erste Spiel zuhause bestreiten konnte, sind nun alle Augen und Ohren nach Zug gerichtet. In der Stadt selber merkt man nicht viel davon.
08.04.2017, 14:3608.04.2017, 15:43
Folge mir
Mehr «Sport»

>>> Wir tickern die 2. Finalpartie heute ab 20.15 Uhr live!

Hockeytown! Zug am Tag vor dem wichtigsten Spiel der vergangenen 20 Jahre. Eine Stadt mit knapp 30 000 Einwohnern im Hockeyfieber. Die Männer in Ritterausrüstungen in wunderschönem Blau mit dem wilden Stier auf der Brust ziehen gegen die Mächtigen von Bern ins Feld wie einst ihre Vorfahren zu Morgarten und Sempach gegen die Habsburger.

Das Motto lautet nicht mehr Menschen und Moneten. Nun gilt Hockey und Helden. Die Obrigkeit trägt der überbordenden Begeisterung Rechnung und erlaubt in der Stadt Beflaggungen bis zu 30 Quadratmetern. Zug, ein Fahnenmeer. Zug rockt. So zumindest stellt sich das der Fremde vor.

Hockeytown? Zug rockt? Na ja. Beim Wohnblock gegenüber der Arena sind ein paar schüchterne kleine Flaggen an den Balkonen zu erkennen. Als unterstütze man eine Splitterpartei in einem aussichtslosen Wahlkampf. Auf dem grossen, weiten Platz vor der Arena sind «Bild + Ton» aufgefahren.

Vor der Zuger Arena wird am Freitagmorgen ein Public Viewing aufgebaut.
Vor der Zuger Arena wird am Freitagmorgen ein Public Viewing aufgebaut.bild: mischa Christen

Sie bauen eine Grossleinwand auf. Eine Baustelle. Symbolisch für den Zustand der Zuger Mannschaft nach dem 0:5 in Bern. Kay justiert mit der Wasserwaage. Balance ist wichtig. Was ja auch für Zugs Trainer Harold Kreis gilt. Er muss das Team wieder ins Gleichgewicht bringen. Kay ist kein EVZ-Anhänger: «Meine Frau ist Bündnerin und mein Schicksal hat mich dazu verurteilt, ein HCD-Fan zu sein.»

Auf ins Herz der Stadt

Hier vor der Arena sind wir noch nicht im Herzen der Stadt. Das Leben pulsiert an der Bahnhofstrasse. Der Chronist macht sich auf, dort das Fahnenmeer zu begutachten und die Hockeybegeisterung zu fühlen. Es sind ja nur gut zehn Minuten zu Fuss. Und schon bald zeigt sich ein stilvolles Zeichen der Hockey-Euphorie.

Ein junger Mann, in teures Tuch gekleidet, trägt eine Aktenmappe im EVZ-Blau. Ein diskretes, charmantes Bekenntnis zum Hockey. Oder doch nicht? Der freundliche «Businessman» parliert Englisch, heisst James und entpuppt sich sozusagen als kapitalistischer Geheimagent aus Australien mit Wohnsitz in London. «Hockeyteam? Nein, davon weiss ich nichts.»

Er habe einen Termin in einem Büro (ich glaube, er sagt: «Economic promotion», oder so ähnlich). Nein, ein Foto dürfen wir nicht machen. Zumindest nicht eines, auf dem sein Gesicht zu erkennen ist. «Niemand darf wissen, dass ich hier bin.» Dann erklärt er seine Mission und kramt allerlei Dokumente, Beglaubigungen und Bestätigungen hervor. Es geht um eine Firma «G1» und die Rechte an einem Barcode.

Die grosse Suche nach der Hockey-Begeisterung an der Zuger Bahnhofstrasse: Fehlanzeige.
Die grosse Suche nach der Hockey-Begeisterung an der Zuger Bahnhofstrasse: Fehlanzeige.bild: mischa christen

«Jeden Tag haben wir 2,5 Milliarden Kundenkontakte. Jeden Tag!» Das sei Big Business und es gehe um 75 Cents pro Kundenkontakt. Er sei bei der Zuger Kantonalbank gewesen, aber die scheine ihm eine Nummer zu klein. Er werde es wohl bei der UBS versuchen. Und er verspricht: «Wenn das Geschäft klappt, werde ich dem Hockeyteam ein neues Stadion finanzieren.»

Eine freundliche Karikatur, die alle Klischees personifiziert, die der rechtschaffene Chronist über Zug je gehört hat. Menschen und Moneten. Gut haben die Zuger schon eine schmucke Arena und sind nicht auf den Gönner aus Australien angewiesen.

Gut kommt gerade Heinz Tännler des Weges. Federnden Schrittes. Er war einst der erste Hockey-Einzelrichter, später Rechtsberater der Fifa, als die noch eine durch und durch ehrenwerte Organisation war. Mittlerweile gehört Tännler der Zuger Regierung an. Dort obliegt ihm die Aufsicht über die Finanzen. Und er ist OK-Präsident des «Eidgenössischen» 2019 in Zug. Hockeyfieber?

Wer wird Meister?

Nein. Im Anzug steckt ein weinrotes Poschetli. Nicht einmal eines in den EVZ-Farben. Heinz Tännler ist jetzt Politiker. Aber er macht keine der üblichen sportpopulistischen Sprüche. Er ist ein Pragmatiker. «Bern war besser. Wenn wir auch das zweite Spiel verlieren, dann ist es vorbei.» Ist es am Ende gar so, dass es für Heinz Tännler einfacher ist, Bundesrat zu werden, als für den EVZ den Titel zu gewinnen? «Nein», sagt er fast ein wenig resignierend. «Ich war bei der Fifa ...»

So, nun biegen wir in die Bahnhofstrasse ein. Hockeytown? Der Chronist läuft die Zuger Geschäftsmeile auf der ganzen Länge rauf und runter. Er findet keine einzige Flagge (wo doch solche bis 30 Quadratmeter behördlich bewilligt wären). Schliesslich sieht er doch noch diskrete Hinweise auf das grosse Sportdrama. Bei der Kantonalbank sind die Hockeyhelden auf Werbeplakaten zu sehen.

Was an und für sich logisch ist: das Geldhaus gehört zu den EVZ-Sponsoren. Und bei einer Gartenbeiz steht ein kleiner, blauer Stier. Das EVZ-Wappentier. Aber das EVZ-Logo ist nur nach längerem Suchen auf der Stirn doch noch zu erkennen. Das Tier hat den Kopf gesenkt. Aber irgendwie nicht wutschnaubend. Eher demütig, als wolle er sich dem Bären unterziehen.

Ein Transparent mit der Aufschrift "GMEINSAM ISCH NUET UNMOEGLICH", fotografiert am Donnerstag, 6. April 2017, in Zug. Anlaesslich des Finaleinzuges des EV Zug hat der Stadtrat von Zug entsc ...
Bild: KEYSTONE

Das ruhige Wesen der Zuger

Zug Hockeytown? Der Chronist erkundigt sich bei Reto Steinmann. Der ehemalige Strafrichter und Hockey-Einzelrichter hat seine Anwaltskanzlei an der Bahnhofstrasse 10. Er klärt auf. «Zug ist halt eine internationale Stadt. Im Umkleideraum des Fitnessklubs höre ich mehr Russisch und Englisch als Schweizerdeutsch.» Menschen und Moneten.

Aber vielleicht steht diese Diskretion in den Tagen des grossen Dramas in einem Zusammenhang mit dem Wesen der Zuger. Der kluge Bauernbub und Jurist Philipp Etter (1891 bis 1977), der von 1934 bis 1959 für die CVP in der Landesregierung sass, hat über seine Zuger gesagt:

Ein Transparent mit der Aufschrift "ALLES GAEH FUER ZUG" haengt an einer Bruecke vor dem Gebaeude "Uptown", fotografiert am Donnerstag, 6. April 2017, in Zug. Anlaesslich des Final ...
Aha! Ein Plakat in Zug.Bild: KEYSTONE

«Auch grad so, wie der See, wenn der Föhn sich ausgetobt, seinen Scheitel wieder glättet, grad so legt sich nach geschlagener Schlacht auch das aufgewühlte Gemüt der Zuger wieder ins Gleichgewicht …» Wohlan, wenn der dramatische Untergang am Donnerstagabend in Bern die Zuger aufgewühlt haben sollte, so haben sie sich am nächsten Tag wieder beruhigt.

Nein, Zug ist nicht Hockeytown. Zumindest nicht so, wie es sich ein Chronist vorstellt, der schon einmal in Langnau oder Langenthal war. Zug hat seine Helden vergessen. Der Chronist macht sich nach der vergeblichen Suche nach der Hockey-Romantik zu Fuss auf den Rückweg. Da erblickt er an der Fussgängerbrücke über die Strasse, die am Stadion vorbei aus der Stadt führt, ein selbst gemaltes, rührendes Muntermacher-Spruchband. Es gibt in der Stadt der Moneten doch noch ein paar Hockey-Romantiker. Vielleicht ist Zug doch noch nicht ganz verloren.

Unvergessene Eishockey-Geschichten

Alle Storys anzeigen

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
26 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
supertyp27
08.04.2017 14:59registriert Dezember 2016
Was ist mit den rund 50 Personen, die schon 4h vor Spielbeginn an der Abendkasse anstehen, um das angebliche Viertelfinal-Freilos anzufeiern? Hatte Bern auch ein Public Viewing vor der Arena? Wurde der SCB nach dem FinaleinZUG auch morgens um 2 von Hunderten Fans empfangen? Und an der Bahnhofstrasse nach Flaggen zu suchen zeigt vor allem, dass der geschätzte Chronist die schöne Stadt Zug so gut kennt, wie Martschini prügeln kann. Hopp Zug!
10428
Melden
Zum Kommentar
avatar
Reto Grimm
08.04.2017 15:16registriert September 2016
Zum Glück ist der Chronist ja vor Ort und wird an Fest & Spiel feststellen können, das durchaus Begeisterung da ist, auch wenn nicht an jedem Gebäude der Stadt ein 30m Banner hängt
8313
Melden
Zum Kommentar
avatar
@michelstef
08.04.2017 17:17registriert Februar 2014
Aha, die Kolumnen von Herrn Zaugg müssen so sein! Jetzt hab ichs verstanden. Ich war am Donnerstag in Bern und wie die Zuger Fans in der gemeinen kleinen Ecke der Riesenarena ohne Gemotze Stimmung machten, passt halt nicht ins Bild von Herrn Zaugg. What's on?
8216
Melden
Zum Kommentar
26
Für Gretzkys Abschied wird sogar die kanadische Nationalhymne umgetextet
18. April 1999: Wayne Gretzky bestreitet in New Yorks Madison Square Garden sein letztes NHL-Spiel. Er kann die Tränen nicht zurückhalten. Dabei hatte Gretzky verlangt, sein Abschied solle eine Party sein und keine Beerdigung.

Es war damals die Zeit der grossen Abschiede: Basketballer Michael Jordan hatte den Anfang gemacht. Quarterback John Elway folgte eine Woche nach Wayne Gretzky und Jürgen Klinsmann eine Woche nach Elway.

Zur Story