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Hockeytown! Zug am Tag vor dem wichtigsten Spiel der vergangenen 20 Jahre. Eine Stadt mit knapp 30 000 Einwohnern im Hockeyfieber. Die Männer in Ritterausrüstungen in wunderschönem Blau mit dem wilden Stier auf der Brust ziehen gegen die Mächtigen von Bern ins Feld wie einst ihre Vorfahren zu Morgarten und Sempach gegen die Habsburger.
Das Motto lautet nicht mehr Menschen und Moneten. Nun gilt Hockey und Helden. Die Obrigkeit trägt der überbordenden Begeisterung Rechnung und erlaubt in der Stadt Beflaggungen bis zu 30 Quadratmetern. Zug, ein Fahnenmeer. Zug rockt. So zumindest stellt sich das der Fremde vor.
Hockeytown? Zug rockt? Na ja. Beim Wohnblock gegenüber der Arena sind ein paar schüchterne kleine Flaggen an den Balkonen zu erkennen. Als unterstütze man eine Splitterpartei in einem aussichtslosen Wahlkampf. Auf dem grossen, weiten Platz vor der Arena sind «Bild + Ton» aufgefahren.
Sie bauen eine Grossleinwand auf. Eine Baustelle. Symbolisch für den Zustand der Zuger Mannschaft nach dem 0:5 in Bern. Kay justiert mit der Wasserwaage. Balance ist wichtig. Was ja auch für Zugs Trainer Harold Kreis gilt. Er muss das Team wieder ins Gleichgewicht bringen. Kay ist kein EVZ-Anhänger: «Meine Frau ist Bündnerin und mein Schicksal hat mich dazu verurteilt, ein HCD-Fan zu sein.»
Hier vor der Arena sind wir noch nicht im Herzen der Stadt. Das Leben pulsiert an der Bahnhofstrasse. Der Chronist macht sich auf, dort das Fahnenmeer zu begutachten und die Hockeybegeisterung zu fühlen. Es sind ja nur gut zehn Minuten zu Fuss. Und schon bald zeigt sich ein stilvolles Zeichen der Hockey-Euphorie.
Ein junger Mann, in teures Tuch gekleidet, trägt eine Aktenmappe im EVZ-Blau. Ein diskretes, charmantes Bekenntnis zum Hockey. Oder doch nicht? Der freundliche «Businessman» parliert Englisch, heisst James und entpuppt sich sozusagen als kapitalistischer Geheimagent aus Australien mit Wohnsitz in London. «Hockeyteam? Nein, davon weiss ich nichts.»
Er habe einen Termin in einem Büro (ich glaube, er sagt: «Economic promotion», oder so ähnlich). Nein, ein Foto dürfen wir nicht machen. Zumindest nicht eines, auf dem sein Gesicht zu erkennen ist. «Niemand darf wissen, dass ich hier bin.» Dann erklärt er seine Mission und kramt allerlei Dokumente, Beglaubigungen und Bestätigungen hervor. Es geht um eine Firma «G1» und die Rechte an einem Barcode.
«Jeden Tag haben wir 2,5 Milliarden Kundenkontakte. Jeden Tag!» Das sei Big Business und es gehe um 75 Cents pro Kundenkontakt. Er sei bei der Zuger Kantonalbank gewesen, aber die scheine ihm eine Nummer zu klein. Er werde es wohl bei der UBS versuchen. Und er verspricht: «Wenn das Geschäft klappt, werde ich dem Hockeyteam ein neues Stadion finanzieren.»
Eine freundliche Karikatur, die alle Klischees personifiziert, die der rechtschaffene Chronist über Zug je gehört hat. Menschen und Moneten. Gut haben die Zuger schon eine schmucke Arena und sind nicht auf den Gönner aus Australien angewiesen.
Gut kommt gerade Heinz Tännler des Weges. Federnden Schrittes. Er war einst der erste Hockey-Einzelrichter, später Rechtsberater der Fifa, als die noch eine durch und durch ehrenwerte Organisation war. Mittlerweile gehört Tännler der Zuger Regierung an. Dort obliegt ihm die Aufsicht über die Finanzen. Und er ist OK-Präsident des «Eidgenössischen» 2019 in Zug. Hockeyfieber?
Nein. Im Anzug steckt ein weinrotes Poschetli. Nicht einmal eines in den EVZ-Farben. Heinz Tännler ist jetzt Politiker. Aber er macht keine der üblichen sportpopulistischen Sprüche. Er ist ein Pragmatiker. «Bern war besser. Wenn wir auch das zweite Spiel verlieren, dann ist es vorbei.» Ist es am Ende gar so, dass es für Heinz Tännler einfacher ist, Bundesrat zu werden, als für den EVZ den Titel zu gewinnen? «Nein», sagt er fast ein wenig resignierend. «Ich war bei der Fifa ...»
So, nun biegen wir in die Bahnhofstrasse ein. Hockeytown? Der Chronist läuft die Zuger Geschäftsmeile auf der ganzen Länge rauf und runter. Er findet keine einzige Flagge (wo doch solche bis 30 Quadratmeter behördlich bewilligt wären). Schliesslich sieht er doch noch diskrete Hinweise auf das grosse Sportdrama. Bei der Kantonalbank sind die Hockeyhelden auf Werbeplakaten zu sehen.
Was an und für sich logisch ist: das Geldhaus gehört zu den EVZ-Sponsoren. Und bei einer Gartenbeiz steht ein kleiner, blauer Stier. Das EVZ-Wappentier. Aber das EVZ-Logo ist nur nach längerem Suchen auf der Stirn doch noch zu erkennen. Das Tier hat den Kopf gesenkt. Aber irgendwie nicht wutschnaubend. Eher demütig, als wolle er sich dem Bären unterziehen.
Zug Hockeytown? Der Chronist erkundigt sich bei Reto Steinmann. Der ehemalige Strafrichter und Hockey-Einzelrichter hat seine Anwaltskanzlei an der Bahnhofstrasse 10. Er klärt auf. «Zug ist halt eine internationale Stadt. Im Umkleideraum des Fitnessklubs höre ich mehr Russisch und Englisch als Schweizerdeutsch.» Menschen und Moneten.
Aber vielleicht steht diese Diskretion in den Tagen des grossen Dramas in einem Zusammenhang mit dem Wesen der Zuger. Der kluge Bauernbub und Jurist Philipp Etter (1891 bis 1977), der von 1934 bis 1959 für die CVP in der Landesregierung sass, hat über seine Zuger gesagt:
«Auch grad so, wie der See, wenn der Föhn sich ausgetobt, seinen Scheitel wieder glättet, grad so legt sich nach geschlagener Schlacht auch das aufgewühlte Gemüt der Zuger wieder ins Gleichgewicht …» Wohlan, wenn der dramatische Untergang am Donnerstagabend in Bern die Zuger aufgewühlt haben sollte, so haben sie sich am nächsten Tag wieder beruhigt.
Nein, Zug ist nicht Hockeytown. Zumindest nicht so, wie es sich ein Chronist vorstellt, der schon einmal in Langnau oder Langenthal war. Zug hat seine Helden vergessen. Der Chronist macht sich nach der vergeblichen Suche nach der Hockey-Romantik zu Fuss auf den Rückweg. Da erblickt er an der Fussgängerbrücke über die Strasse, die am Stadion vorbei aus der Stadt führt, ein selbst gemaltes, rührendes Muntermacher-Spruchband. Es gibt in der Stadt der Moneten doch noch ein paar Hockey-Romantiker. Vielleicht ist Zug doch noch nicht ganz verloren.