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Theo* ist erschöpft an diesem kühlen Morgen. Er hat ausgiebig gefeiert und will nur noch ins Bett. Müde schwingt er sich auf sein Rad.
Erwachen tut er jedoch nicht in seinen eigenen vier Wänden, sondern auf dem Asphalt – mit blutendem Kopf. Er macht ein Selfie. Verschwommen nimmt er wahr, wie sich ein Auto nähert.
Das war vor zwei Jahren. Jetzt sitzt Theo in der hintersten Ecke eines Restaurants im Zürcher Kreis 5 und rührt den Zucker in seinem Espresso. Hätte er gewusst, was auf ihn zukommen würde nach dieser Nacht im November 2014, er wäre wohl nicht auf sein Velo gestiegen.
«Ich war mit Arbeitskollegen unterwegs», beginnt der heute 27-Jährige. Zu fünft treffen sie sich fürs Weihnachtsessen in einem Restaurant beim Bellevue. «Weil ich aus vorherigen Jahren wusste, dass wir nicht nur Mineralwasser trinken, liess ich das Auto bewusst in der Garage stehen und machte mich mit dem Velo auf den Weg.» Richtig viel hätten sie getrunken. Zuerst Bier, dann Wein, am Schluss Schnäpse. Die fünf arbeiten zusammen für eine Werbeagentur, teilen sich das Büro. Die Stimmung ist ausgelassen. Nach dem Essen möchte niemand nach Hause.
Mittlerweile ist es Mitternacht. Die Runde zieht per Velo in Richtung Stauffacher. Dort bechern sie in einer Bar bis 2 Uhr weiter. Jetzt sind es Cocktails. Da der Durst bekanntlich mit dem Trinken kommt, heisst die nächste Station Langstrasse.
In einem Keller tanzen die Arbeitskollegen zu elektronischer Musik, irgendwann winkt einer die anderen in eine Ecke und packt ein Säcklein Kokain aus. Theo zieht sich eine Linie durch die Nase und bestellt den nächsten Gin Tonic.
Als Theo später seine Augen öffnet, starrt er in den Himmel. Sein Velo liegt neben ihm auf der Strasse, sein Schädel brummt. Theo versucht die Situation zu begreifen. Er klaubt sein Smartphone aus dem Hosensack und fotografiert sich selber. Auf der rechten Seite des Kopfes hat sich eine riesige Beule gebildet, er blutet. Ein Auto nähert sich. Die Fahrerin lässt die Scheibe herunter und fragt, ob alles okay ist. «Ja», antwortet Theo kurz. Trotzdem besteht die Frau darauf, Hilfe anzufordern. Sie wählt den Notruf. Wenig später erscheint ein Polizist und macht eine Atem-Alkoholkontrolle. 1,7 Promille hat Theo intus. Für ihn geht alles viel zu schnell. Schon steht die Ambulanz da. Er wird verladen und hört noch wie der Polizist zu den Sanitätern sagt: «Macht dann noch einen Bluttest.»
Im Spital muss Theo in die Röhre. Weder bei der Computertomographie noch beim Ultraschall finden die Ärzte Verletzungen. Theo kann endlich nach Hause.
Eine Woche später hat der damals 25-Jährige bereits einen Termin bei der Polizei. «Die Beamtin machte mit mir eine Art Verhör», sagt Theo. Er gibt zu Protokoll, dass er früher ab und zu gekifft habe, an Wochenenden ab und zu viel Alkohol konsumiere. Kokain habe er in seinem Leben «ein paarmal» genommen. Wenige Tage später bekommt Theo wieder Post. Vom Strassenverkehrsamt. Dieses teilt ihm mit, er müsse seinen Auto-Führerausweis sofort abgeben.
Sechs Monate steht er ohne da. «Ich erinnere mich noch, wie ich, während ich den Brief las, dachte: ‹Shit, jetzt geht es los.›» Er habe schon gehört, dass auch Velofahrern der Auto-Führerausweis weggenommen werden könne. Mehr nicht. «Dass ich beim Unfall auch Glück hatte, daran dachte ich nie.» Zusätzlich bekommt er ein zweimonatiges Velofahrverbot.
Und jetzt geht es tatsächlich erst richtig los. Theo ist in eine verkehrsmedizinische Fahreignungsabklärung gerutscht. Das heisst, er muss beweisen, dass er nicht alkoholabhängig oder drogensüchtig und keine Gefahr für den Verkehr ist. Das bedeutet:
Finanziell bedeutet das:
Beinahe zwei Jahre lang dauert das Prozedere. Weil er bei allen Proben unter der Toleranzgrenze liegt, ist das Ganze nun abgeschlossen.
Theo erzählt sein Schicksal bisher relativ emotionslos und bestellt einen weiteren Espresso. Dann sagt er:
Allerdings ist das Gesetz relativ klar. Seit dem zweiten Massnahmepaket von Via Sicura, das 2014 lanciert wurde, gilt:
Führerausweisentzüge bei Velofahrern sind in der Schweiz eher selten. Zahlen dazu gibt es keine. Das Verkehrssicherheitspaket Via Sicura ist umstritten. Es gibt verschiedene politische Vorstösse dagegen sowie ein Komitee, das es bekämpft. Der Hauptkritikpunkt ist die Verhältnismässigkeit. Die heutigen Massnahmen seien oft masslos übertrieben und stünden in keinem Verhältnis mehr zu anderen Straftaten, kritisiert beispielsweise der Verein Via humana.
Was lernt Theo daraus? Hat er sich geändert? Er runzelt die Stirn und überlegt lange. «Die knapp zwei Jahre sind sicher einschneidend gewesen.» Er habe viel weniger getrunken und wenn nur noch Bier oder Wein. Auf Schnäpse verzichtet Theo seit dem Unfall ganz. Auch von Drogen lässt er die Finger. «Ich trinke heute anders und vermisse die Drogen nicht.»
Dass er an einem Ort, wo Wochenende für Wochenende die halbe Stadt angetrunken Velo fährt, für sein Verhalten wie ein Krimineller behandelt wird, findet er weiter ungerecht.
Dennoch versuche er sich heute so zu konditionieren, dass er ab einem gewissen Pegel das Velo stehen lasse. «Im damaligen Zustand würde ich nicht mehr aufsteigen; ganz auf das Velofahren in angetrunkenem Zustand verzichte ich aber nicht.»
*Name der Redaktion bekannt
** Das Strassenverkehrsamt Zürich hat letztes Jahr 44 Velofahrverbote ausgesprochen.