Das Jahr 2018 hat gut begonnen für die demokratische Partei. Am Dienstag eroberte sie einen Sitz im Senat des Bundesstaats Wisconsin, der seit Jahren von den Republikanern gehalten wurde – und das nicht knapp, sondern deutlich. Wisconsin ist neben Michigan und Pennsylvania einer jener Staaten, die Donald Trump bei seinem Wahlsieg 2016 den Demokraten «entreissen» konnte.
Scott Walker, der republikanische Gouverneur von Wisconsin, bezeichnete das Ergebnis der Senatswahl als «Weckruf» für seine Partei. Es war nicht der erste in Donald Trumps einjähriger Amtszeit. Die nach Hillary Clintons unerwarteter Niederlage demoralisierte Linke erzielte spektakuläre Erfolge in New Jersey, Virginia und im erzkonservativen Alabama.
Die Ursache für das unerwartete Comeback der Demokraten trägt einen simplen Namen: Donald Trump. Die Beliebtheitswerte des Präsidenten liegen trotz boomender Wirtschaft und seinem Erfolg mit der Steuerreform in den meisten Umfragen bei unter 40 Prozent. Statt das Land zu einen, hat er es mit einer ganz und gar unpräsidialen Amtsführung noch tiefer gespalten.
Damit schadet Trump der eigenen Partei. Während seine Hardcore-Fans ihn nach wie vor als «Antipolitiker» verehren, wenden sich die gemässigteren Wählerinnen und Wähler ab. Die Basis der Demokraten hingegen ist so motiviert wie nie seit den beiden Wahlsiegen von Barack Obama. Sie eilt in grosser Zahl in die Wahllokale, um dem verhassten Präsidenten eins auszuwischen.
Das weckt Hoffnungen im Hinblick auf die «Midterms» im November, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt werden. Nach dem Erfolg im ländlichen Wisconsin geben US-Medien den Demokraten beste Chancen, die Mehrheit in beiden Kongresskammern zu erobern, obwohl die Konstellation die Republikaner bevorteilen würde.
Bei diesen herrscht gemäss der «Washington Post» Alarmstimmung. Sie müssen gewichtige Rücktritte verkraften, während umgekehrt einige potenziell mehrheitsfähige Bewerber keine Lust haben, sich für Donald Trump in die Schlacht zu werfen. Dafür haben ultrarechte Wirrköpfe wie der rassistische Ex-Sheriff Joe Arpaio in Arizona ihre Kandidatur angekündigt. Das ist noch mehr Gift für die Partei.
Eine deutliche Mehrheit der Amerikaner will gemäss Umfragen, dass die Demokraten nach den Wahlen den Kongress kontrollieren. Alles paletti also? Keineswegs. Die aktuellen Erfolge überdecken, dass die US-Linke mit strukturellen Problemen zu kämpfen hat.
Das beginnt beim Personal. An der Spitze findet man die ewig gleichen, alten Köpfe. So klammert sich die bald 78-jährige Nancy Pelosi an ihr Amt als Fraktionschefin im Repräsentantenhaus. Dianne Feinstein will sich im Herbst in Kalifornien mit 85 erneut in den Senat wählen lassen. An der Spitze der potenziellen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2020 stehen Bernie Sanders, Joe Biden und Elizabeth Warren. Sie werden im Wahljahr alle über 70 Jahre alt sein.
Natürlich verfügt die Partei auch über jüngeres Personal mit Potenzial. Dazu gehören Cory Booker, Kirsten Gillibrand oder Kamala Harris. Und im Gegensatz zu den Republikanern hatten die Demokraten im Hinblick auf die November-Wahlen kaum Rekrutierungsprobleme. So konnten sie gemäss der «Washington Post» mindestens ein halbes Dutzend ehemalige Elitesoldaten anheuern.
Der Hype um die mögliche Präsidentschaftskandidatur von Talkshow-Queen Oprah Winfrey sagt dennoch einiges aus über den personellen Zustand der Demokraten. Ein neuer Barack Obama ist nicht in Sicht. Der Ex-Präsident ist seit seinem Abgang populärer denn je. In den Umfragen beurteilen ihm mehr als 60 Prozent positiv, womit er weitaus beliebter ist als sein Nachfolger.
Der amerikanischen Linken fehlen aber nicht nur frische und inspirierende Köpfe, sondern auch ein überzeugendes Programm. Innerhalb der demokratischen Partei ist ein Richtungsstreit im Gang. Soll man sich nach links orientieren oder in die momentan verwaiste Mitte? Soll man sich auf Junge und Minderheiten ausrichten oder auf die frustrierte Mittelschicht, die Trump gewählt hat?
Für Zündstoff in dieser Debatte sorgte letztes Jahr ein Essay des Politologen Mark Lilla, das er zu einem Buch mit dem Titel «The Once and Future Liberal» ausgebaut hat. Der Professor an der New Yorker Columbia-Universität sieht die (Links-)Liberalen, zu denen er sich selber zählt, in einer tiefen Krise. Sie hätten «im Wettbewerb um eine amerikanische Vision einfach aufgegeben».
Die Demokraten hätten sich im «Nullsummenspiel der Identitätspolitik» aufgerieben und den Sinn für das verloren, «was uns alle als Nation eint», schreibt Lilla. Sie hätten zu stark auf Themen wie Feminismus, Homo-Ehe oder Transgender-Toiletten gesetzt. «Klassische linksliberale Ideen wie Bürgersinn, Solidarität und Gemeinwohl bedeuten ihnen wenig», so der Politologe.
Für Mark Lilla hat die Identitätspolitik einzig bewirkt, «dass die Konservativen unsere Institutionen immer fester im Griff haben». Es sei höchste Zeit, dass die Linksliberalen eine Spitzkehre machen und sich wieder zu ihren Kernprinzipien bekennen: Solidarität und gleiche Chancen für alle. «Nie hat das Land dies mehr gebraucht», schreibt der Autor.
Mit seinem provokativen Text hat Lilla in ein Wespennest gestochen. Viele Linke reagierten empört. Die Rechtsprofessorin Katherine Franke, die ebenfalls an der Columbia lehrt, beschuldigte ihn, er wolle «die weisse Vorherrschaft wieder respektabel machen» und verglich Mark Lilla sogar mit David Duke, dem früheren Anführer des Ku Klux Klan.
Zahlreiche Progressive in den USA sind überzeugt, dass die Demokraten sich erst recht um die Anliegen von Minderheiten kümmern sollten, da diese einen wichtigen Teil der Wählerbasis bilden. Dennoch trifft Mark Lilla mit seiner Kritik an der Identitätspolitik einen wunden Punkt. Gerade in den drei erwähnten Staaten stimmten viele für Trump, die sich von den Demokraten vernachlässigt fühlen.
Häufig spielten tatsächlich rassistische Motive eine Rolle, die Angst vor dem Verlust der weissen Vormachtstellung. Dennoch tun die Demokraten gut daran, sich wieder vermehrt auf die «klassischen» Werte Solidarität und Chancengleichheit zu besinnen. Für eine nachhaltige Rückkehr an die Macht genügt es nicht, sich auf Donald Trumps Entgleisungen zu verlassen.