Der Fall einer tschetschenischen Familie in Kilchberg macht Schlagzeilen: Zwei Mal versuchte das Zürcher Migrationsamt bereits, die Familie – vier Kinder, Ehefrau und Ehemann – zwangsmässig nach Tschetschenien zurückzuschaffen – zweimal scheiterten die Behörden. Der erste Versuch fand im Februar des vergangenen Jahres statt, als die Polizei um 4 Uhr morgens ins Haus der Familie eindrang, das zweite Mal vor wenigen Wochen.
Mittlerweile haben die vier Kinder und die Mutter in der reformierten Kirche Kilchberg Unterschlupf gefunden. Die Kirchenpflege der Zürichseegemeinde gewährte ihnen das sogenannte Kirchenasyl. «Wir reagieren damit auf die grosse Angst und Not der Familie im Hinblick auf eine drohende Ausschaffungsaktion seitens der Behörden», schreibt die Kirchenpflege.
Schutz vor einer Ausschaffung bieten die Kirchenpforten allerdings nicht, auch wenn dieser Glaube in der Bevölkerung verbreitet ist. «Die Kirche – ob katholisch oder reformiert – ist kein rechtsfreier Raum», betont der Theologe Wolfang Bürgstein. Es sei ein Missverständnis, dass Asylsuchende unter dem Kirchendach vor dem Zugriff der Staatsgewalt geschützt seien.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM), das die Wegweisung von abgewiesenen Asylsuchenden verfügt, bestätigt diese Sicht: «Der Begriff ‹Kirchenasyl› ist kein rechtlicher Begriff.» Juristisch bestehe kein Unterschied, ob jemand in einer Kirche, bei einer anderen Institution oder in einem Privathaushalt Zuflucht sucht. Sonderrechte für die Kirchen gebe es in diesem Zusammenhang nicht.
Das Kirchenasyl hat aber durchaus eine Funktion. «Die Unterbringung von abgewiesenen Asylbewerbern in einer Kirche kann eine verfahrene Situation entschärfen», sagt Stefan Frey von der Schweizer Flüchtlingshilfe. In einer Notfallsituation könne die Gewährleistung von Schutz in einem Gotteshaus dazu führen, dass alle Beteiligten noch einmal über die Bücher gehen. «Auf Seiten der Behörden könnte das einen Härtefallentscheid bedeuten, umgekehrt könnten auch die betroffenen Asylsuchenden zur Einsicht gelangen, dass eine Ausreise vorzuziehen ist.»
Im Fall Kilchberg ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Familie freiwillig ausreist. Laut dem Komitee «Hier Zuhause», das sich für einen Verbleib der sechsköpfigen Familie einsetzt, drohe der Familie bei einer Rückkehr nach Tschetschenien erneute Verfolgung. Das Komitee verweist dabei auf einen Bericht von Amnesty International.
Wie lange die Familie in der reformierten Kirche Kilchberg bleibt, ist ungewiss. Auch wenn das Kirchenasyl im juristischen Sinn keine Geltung habe, so sei es doch Usus, dass es so etwas wie eine politische Zurückhaltung und Respekt seitens der Behörden gebe, sagt Bürgstein. Dass die Polizei die Schwelle eines Kirchenhauses übertritt, kommt vor: Im März dieses Jahres etwa räumte die Basler Polizei die von Asylrechtsaktivisten besetzte Matthäuskirche.
Ob die Kirchenpflege für die Unterbringung der tschetschenischen Familie zur Rechenschaft gezogen wird, ist unklar. Die Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthaltes ist laut Ausländergesetz strafbar, wie das SEM schreibt. Hinsichtlich des konkreten Falles wolle man sich aber nicht äussern.
Auch das Migrationsamt Zürich schweigt sich zum Fall Kilchberg aus: «Zu laufenden Vollzugsfahren geben wir keine Auskunft», sagt ein Sprecher des Amts auf Anfrage.
Markus Vogel, Vizepräsident der Kirchenpflege Kilchberg, hofft, dass mit der Aktion zumindest die Hürden für eine weitere polizeiliche Ausschaffungsaktion höher geworden sei, wie er im Interview mit dem «Tagesanzeiger» sagt. Gegen den Rechtsstaat stelle man sich aber nicht: Wenn die Polizei mit den entsprechenden Dokumenten komme, dann sei die Kirchenpflege machtlos.