Die Methode ist nur bei schweren Straftaten erlaubt: Um Verbrechern auf die Spur zu kommen, bedienen sich Ermittler der Massenauswertung von Handydaten. Mittels Antennensuchläufen finden die Behörden heraus, welche Handys zu einer bestimmten Zeit an bestimmten Antennen eingewählt waren.
Jeder kann bei einem Antennensuchlauf ins Visier geraten. Von einer einzelnen Aktion sind hunderte Menschen tangiert – oder bisweilen gar tausende. Das zeigt der Fall Rupperswil. Am 21. Dezember 2015 wurden vier Menschen in dem Aargauer Dorf heimtückisch ermordet. Es ist eine der brutalsten Straftaten der jüngeren Kriminalgeschichte. Im Zuge der Ermittlungen setzten die Strafverfolger auch auf Antennensuchläufe.
Nun werden dazu Details publik: Insgesamt gab es 48 Antennensuchläufe im Fall Rupperswil. Betroffen waren rund 30'000 Handynutzer, wie die Aargauer Staatsanwaltschaft auf Anfrage erstmals konkretisiert. Zu den genauen Auswertungen mache man keine Angaben, sagt Sprecherin Fiona Strebel.
Am 12. Mai 2016, 146 Tage nach der Tat, wurde der Vierfachmörder gefasst. Ein damals 33 Jahre alter, nicht vorbestrafter Schweizer aus dem Dorf. Die Antennensuchläufe waren ein Puzzleteil, das zur Aufklärung seiner Tat führten. Welche Rolle diese genau spielten, geben die Behörden mit Verweis auf ermittlungstaktische Gründe jedoch nicht bekannt.
Klar ist: Der Tatort liegt zwischen der Autobahn 1 — der A1 — und der Bahnlinie Aarau–Zürich, entsprechend gross war der Beifang an eingewählten Handys. Klar ist auch: Noch nie wandten sich Strafverfolger hierzulande so oft an Netzbetreiber wie im Fall Rupperswil. Das belegen neuste Zahlen für das Jahr 2016. Auf das Konto der Aargauer Ermittler geht gut jeder dritte der 147 in der Schweiz registrierten Antennensuchläufe. Die entsprechenden Aktionen werden erst jetzt ausgewiesen, weil die Staatsanwaltschaft die gewünschten Daten im Januar 2016 bei den Netzbetreibern angefordert hat.
Wie viele Handynummern bei einem Antennensuchlauf abgefischt werden, verschweigen offizielle Statistiken in der Regel. Wer unschuldig ins Visier geraten ist, erfährt selbst nach Abschluss eines Verfahrens nichts. Betroffene müssen nur informiert werden, wenn die Behörden noch weitere Angaben wie Wohnadressen anfordern. In Ländern wie Deutschland gilt indessen eine strikte Benachrichtigungspflicht.
Ebenso umstritten ist die schwammige Rechtsgrundlage. Gesetzlich sind Antennensuchläufe nicht explizit geregelt, auch nicht im kürzlich revidierten Überwachungsgesetz Büpf. Die digitale Rasterfahndung wird lediglich in einer Verordnung erwähnt, gestützt auf ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahr 2011. Demnach ist die Methode selbst bei schweren Delikten nur dann erlaubt, wenn die Zahl der erhobenen Verdächtigen «voraussichtlich klein ist». Ein Antennensuchlauf ritzt am Grundsatz, wonach die Überwachung einer Person nur angeordnet werden darf, wenn ein konkreter Tatverdacht gegen sie besteht. Der Zürcher Rechtsanwalt Viktor Györffy spricht deshalb von einem «rechtspolitischen Sündenfall».
Die Methode müsse zumindest im Gesetz präzise geregelt werden. «Nur so kann sichergestellt werden, dass sich die Behörden an klare Vorgaben halten», sagt der Präsident des Vereins «Grundrechte.ch». Für ihn stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit. Ein Antennensuchlauf betreffe unzählige Menschen, die unter Umständen wegen ihrer Anwesenheit an einem bestimmten Ort in Erklärungsnot geraten.
Schweizer Strafverfolger setzten im vergangenen Jahr bei vier Tötungsdelikten und beim Fall einer Vergewaltigung auf Antennensuchläufe. Gleichzeitig wurde die Methode aber in 14 weiteren Verfahren eingesetzt: Sie betrafen unter anderem Delikte wie Sachbeschädigungen und Diebstähle. Sogar Strafverfolger sind zunehmend skeptisch, was Antennensuchläufe angeht. 17 Kantone verzichteten 2016 komplett darauf. Derweil agierten die Behörden in Zürich, dem grössten Kanton, mit 15 Antennensuchläufen verhältnismässig defensiv. Das ist kein Zufall: Die Methode werde sehr zurückhaltend eingesetzt, sagt Christian Philipp von der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft. «Durchgeführte Antennensuchläufe brachten oftmals nicht die erhofften Ergebnisse.»
Die Abdeckung einer Antenne reicht von mehreren Kilometern auf dem Land bis zu hundert Metern in dicht besiedelten Gebieten. Gerade bei Antennen in der Nähe von Autobahnen sei man rasch einmal mit einer «riesigen Anzahl an Verbindungsdaten» von unbeteiligten Personen konfrontiert, weiss Staatsanwalt Philipp.
Auch das Zürcher Zwangsmassnahmengericht reagiert vergleichsweise kritisch auf Antennensuchläufe. Das berichtet ein mit den lokalen Gegebenheiten vertrauter Strafverteidiger der «Nordwestschweiz». Bei der Oberstaatsanwaltschaft heisst es dazu, ein Anfangsverdacht müsse vor Gericht jeweils «gut begründet» werden. Tatsächlich verzeichnete Zürich schon Fälle, in denen Antennensuchläufe von den Richtern nur unter Auflagen genehmigt wurden. Oder gar nicht. Es sind Entscheide mit Seltenheitswert. (aargauerzeitung.ch)