Schweiz
Interview

Wermuth: «Flüchtlings-Kinder sollen bei der Geburt den Schweizerpass bekommen»

Cedric Wermuth (SP/AG) waehrend den Beratungen ueber den Voranschlag 2016 am Donnerstag, 3. Dezember 2015 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Lukas Lehmann)
SP-Nationalrat Cédric Wermuth will mehr Schweizer im Land.Bild: KEYSTONE
Interview

Cédric Wermuth: «Flüchtlings-Kinder sollen bei der Geburt den Schweizer Pass bekommen»

14.07.2017, 09:0515.07.2017, 09:57
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Vor einem Jahr forderte SP-Nationalrat Cédric Wermuth in einem emotionalen Appell Ausländer dazu auf, den Schweizer Pass zu beantragen. Und versprach: Er werde sie auf dem Weg zum Schweizer beraten. Nun will Wermuth noch viel mehr Menschen zur Schweizer Staatsbürgerschaft verhelfen. Seine neueste Forderung: Jeder, der in der Schweiz den Lebensmittelpunkt hat oder hier geboren wird, soll automatisch den Schweizer Pass erhalten. Der SP-Nationalrat im Interview mit watson.

Cédric Wermuth, gefallen Sie sich in ihrer Rolle als Schweizermacher?
Cédric Wermuth: Das bin ich leider nicht. Es sind immer noch die Behörden oder Gemeindeversammlungen, die entscheiden, wer den Schweizer Pass bekommt. Ich finde es aber wichtig, dass Personen, die das Privileg der Bürgerrechte besitzen, sich für jene einsetzen, die sie nicht haben.

Vor einem Jahr haben Sie die Ausländer in der Schweiz aufgefordert, sich einbürgern zu lassen und versprachen ihnen mit Rat zur Seite zu stehen. Wie viele Personen sind dank ihnen schon Schweizer?
Das kann ich nicht sagen. Insgesamt hat die SP seit dem Appell über 1000 Beratungen durchgeführt, ich selber dutzende. Noch immer erhalte ich pro Woche ein bis zwei E-Mails. Die Anfragen gehen aber mittlerweile zurück, weil die Kantone besser informieren. Viele Anfragen sind von Personen, die leider die überharten Kriterien nicht erfüllen. Maximal die Hälfte konnte ich im Rahmen eines eigentlichen Einbürgerungsverfahrens beraten.

Welche Fragen bekommen Sie am häufigsten zu hören?
Viele haben Fragen zu den Voraussetzungen. Zudem sind viele verunsichert, welche Fragen von Einbürgerungskommissionen sie wirklich beantworten müssen und welche nicht.

Sie sprechen von «überharten Kriterien» für die Einbürgerung. Warum?
Als erstes ist da die überlange Aufenthaltsdauer. Jetzt sind es noch zwölf Jahre, mit dem neuen Ausländergesetz sind es dann noch zehn Jahre, dafür muss man die Niederlassungsbewilligung haben. Zu oft müssen die Leute vor einer Kommission irgendwie beweisen, dass sie gute Schweizer wären. Und zu guter Letzt: Ich glaube auch nicht, dass das Einbürgerungsprozedere der richtige Ort ist, um Sprachkenntnisse zu verlangen. Es ist undemokratisch, die politischen Rechte an überbordende Kriterienkataloge zu knüpfen. Wir müssen die Logik umkehren: Das Bürgerrecht ist der Anfang der Integration, nicht das Ende. Wir müssen den Menschen zuerst die Chance geben, sich wirtschaftlich, kulturell und politisch beteiligen zu können. Danach lässt sich auch die Notwendigkeit, eine Landessprache zu erlernen, viel leichter erklären.

Cédric Wermuth
Der Aargauer Politiker sitzt seit Oktober 2011 im Nationalrat. Seit 2016 ist er zudem Mitglied in der Staatspolitischen Kommission. Der heutige Co-Präsident der SP-Aargau lancierte seine politische Karriere so richtig, als er von 2008 bis 2011 die Juso Schweiz präsidierte und sich mit seiner provokanten Politik einen Namen machte.

Die Sprache wird aber von vielen als wichtiges Kriterium für eine Einbürgerung genannt. Sehen Sie es nicht so, dass man seine Bemühungen, Schweizer zu werden, zeigen muss, indem man eine Landessprache lernt?
Ich glaube nicht, dass man sich um demokratische Rechte bemühen müssen sollte. Diese stehen allen Menschen in einer Demokratie zu, bedingungslos. Zweitens leben tausende Schweizer und Schweizerinnen ausserhalb der Schweiz, die zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr hier waren und kein Wort in einer Schweizer Landessprache verstehen. Sie haben ihren Pass alleine durch ihr Blut und sind besser gestellt, als jene, die seit Jahren in der Schweiz leben. Dies ist eine absurde Situation.

Bild
bild: Screenshot Twitter

Ein Tweet von Ihnen von letzter Woche dreht sich genau um diese Sprachdebatte. Darin schreiben Sie: «Ich habe Andy Glarner versprochen, dass ich das noch öffentlich sage: Albanisch und Serbokroatisch sollten zur Landessprache werden». Meinen Sie diese Forderung ernst?
Dem Tweet ging eine Diskussion mit Andy Glarner voraus, die sich um die Frage drehte, welche Sprachkenntnisse man für die Einbürgerung mitbringen muss. Der Punkt ist: Die Schweiz muss sich daran gewöhnen, dass es in diesem Land Menschen gibt, die Albanisch als Muttersprache haben, die einen albanischen Namen tragen, und dass die Geschichte Albaniens und anderer Länder zu ihrer Identität als Schweizer und Schweizerin gehört. Diese Identität ist genauso legitim schweizerisch, wie jene des Bauers aus dem Emmental. Keiner von den beiden ist ein besserer oder ein schlechterer Schweizer. Und darum finde ich, gibt es zwei Optionen: Entweder muss man den Begriff der Landessprache ändern, oder man muss das Kriterium der Sprache bei der Einbürgerung streichen. Und das zweite ist natürlich gemeint.

Würden weitere Landessprachen nicht massive Kosten nach sich ziehen?
Sprache ist für eine funktionierende Gesellschaft nur ein Element. Es gibt Staaten wie Südafrika, die haben elf Landessprachen und es funktioniert auch. Was aber richtig ist: Wir haben viele Migranten und Migrantinnen, die seit Jahren in der Schweiz leben und nur schlecht eine der vier Landessprachen können. Und da müssen wir uns wirklich fragen, was ist in der Politik schief gelaufen? Warum erreichen wir es nicht, dass diese Personen schneller die Sprache lernen?

Was müsste man dagegen tun?
Migranten müssen mehr Möglichkeiten erhalten, unsere Sprachen zu lernen. Wir halten heute viele Menschen bewusst abseits, zum Beispiel vorläufig Aufgenommene. Diese Leute sind hier, sie werden es zum grössten Teil auch bleiben, sie haben ein Recht auf Integration und Chancen. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe des Staates. Und wenn er dies nicht schafft, dann bliebe ihm eigentlich nichts anderes übrig, als das Konzept der Landessprachen zu überdenken. Ein liberaler Staat spricht die Sprache seiner Bürger, nicht umgekehrt. Aber wie schon gesagt. Der Tweet war ein eher humorvoller Hinweis auf die Diskussion mit Glarner.

Die SP konnte dieses Jahr mit der erleichterten Einbürgerung einen Abstimmungserfolg feiern. Was ist das nächste Ziel?
Mit dem Inkrafttreten des neuen Bürgerrechts im Januar endet eine Etappe in der Debatte um das Schweizer Bürgerrecht. Ich glaube, wir sind jetzt am Ende der kleinen Reformen. Jetzt muss man die Idee vom Schweizer Bürgerrecht fundamental in Frage stellen. Wir brauchen ein Schweizerisches Bürgerrecht und wir müssen hin zu einem intelligenten Ius soli.

Sie wollen also, dass Kinder, die hier geboren werden, automatisch die Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten. Wie in den USA.
Ähnlich, ja. Alle, die hier seit ein paar Jahren leben und hier ihren Lebensmittelpunkt haben, sollen das Recht haben SchweizerIn zu sein – ohne, dass es dazu noch irgendeine Abstimmung oder Tests gibt. Es kann in einer Demokratie eben gerade nicht sein, dass eine Mehrheit aus welchen Gründen auch immer einzelnen Personen das Recht verweigert, mitzubestimmen.

Ist der Schweizer Pass nicht ein Privileg, das man sich verdienen muss?
Nein, ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals etwas dafür getan hätte, um den Pass zu bekommen. Ausser geboren zu werden. Und bis nicht der Tag kommt, wo mir jemand beweist, dass man sich freiwillig dazu entscheidet, in Burkina Faso oder der Schweiz geboren zu werden, verstehe ich nicht, warum es ein Privileg sein soll, von Schweizer Eltern gezeugt worden zu sein.

Was hätte es für Vorteile, wenn möglichst viele, die in der Schweiz leben, auch den Schweizer Pass hätten?
Ich glaube, wir bekommen zunehmend ein Problem mit der Legitimation der Demokratie. Schon heute nimmt nur die Minderheit der Stimmberechtigten an Wahlen und Abstimmungen teil. Wenn man dann noch jene hinzu zählt, die gar nicht das Recht haben, zu wählen und abzustimmen, dann ist die Demokratie Angelegenheit von einer Minderheit und nicht der Mehrheit. Dies stellt fundamental die Idee der Demokratie in Frage. Demokratie ist Herrschaft von und im Interesse der Mehrheit. Und das ist heute nicht gewährleistet. Zudem ist es ganz wichtig, dass Menschen, die hier leben, sich schnell als Teil von dieser Gesellschaft fühlen. Und da ist das Recht, mitbestimmen zu dürfen, nicht das einzige, aber ein wichtiges Element.

Viele Kritiker des Ius soli befürchten, dass es zum Schwangerschaftstourismus kommt.
Das halte ich für ein Scheinargument. Wie gesagt, zentral ist die Frage des Lebensmittelpunktes. Wer als Tourist in die Schweiz reist und dann ein Kind bekommt, deren Kinder sind natürlich nicht gemeint. Aber wer in der Schweiz lebt oder hier geboren wird, soll das Recht haben, den Pass zu bekommen. Selbstverständlich muss das dann auch für die Kinder von Flüchtlingen oder vorläufig Aufgenommenen gelten. Sie werden hier geboren und werden mindestens ihre ersten Jahre hier verbringen. Wir müssen sie als Kinder dieses Landes, als unsere Kinder anerkennen.

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267 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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atomschlaf
14.07.2017 09:38registriert Juli 2015
Warum die Leute die Sprache nicht können?
Weil wir viel zu wenig von ihnen fordern!

Würde man von allen Zuwanderern 5 Jahren nach erster Wohnsitznahme ein B2 einer Landessprache verlangen und bei Nichterfüllung die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängern, dann würden die Leute die Sprache lernen wie die Weltmeister.
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Dickes Brötchen
14.07.2017 09:39registriert März 2016
Nein Cédi, einfach nein.
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Scott
14.07.2017 09:37registriert Februar 2016
Die grooosse Schweiz hat ja soooo viel Platz für all die Menschen.

Und wer soll das alles bezahlen?
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