Beratungsstellen gibt es viele, doch diese ist schweizweit einzigartig. Seit acht Monaten betreibt die Menschenrechtsorganisation humanrights.ch eine Telefonhotline für Gefangene und deren Angehörige. Nach einem Crowdfunding läuft das Projekt vorerst in einer Pilotphase. Doch schon jetzt zeigt sich: das Angebot füllt eine Lücke. Zweimal in der Woche werden die Leitungen für die Probleme der Inhaftierten geöffnet. Dann klingelt das Telefon im Büro von Humanrights.ch durch.
Einer der vielen Anrufe kam von einer Mutter, deren Sohn Jakob* 27 Jahre alt ist und im Gefängnis sitzt. Vor eineinhalb Jahren wurde er wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Weil er als nicht zurechnungsfähig eingestuft wurde, ordnete der Richter statt dem Strafvollzug eine Massnahme an.
Doch seither werde Jakob von einer Institution zur nächsten geschoben, erzählte die Mutter am Telefon. Anstatt dass er einen Platz in einer geeigneten Massnahmeneinrichtung erhalte, wo er eine Psychotherapie erhalten würde, sei er bereits in drei verschiedenen Regionalgefängnissen untergebracht worden. Dort habe er in U-Haft ähnlichen Bedingungen einsitzen müssen, mit eingeschränktem Besuchsrecht, einer Einschliessung in der Zelle bis zu 23 Stunden am Tag und limitiertem Hofgang.
Als sich der psychische Zustand von Jakob verschlechterte, wurde er in die geschlossene Spezialstation einer psychiatrischen Klinik eingewiesen. Ohne dass eine Verfügung erlassen wurde, habe er dort unter Zwang Medikamente einnehmen müssen. Irgendwann habe sich die Mutter gefragt: Ist das alles eigentlich rechtlich zulässig?
«Ist es nicht», sagt David Mühlemann, Projektleiter der neuen Beratungsstelle. Der Fall sei in mehrerer Hinsicht ein typischer. Ein grosses Problem sei, dass Verurteilte in falschen Gefängnissen platziert würden. Dies, weil es an geeigneten Haftplätzen fehle. Personen, die wie Jakob zu einer Massnahme verurteilt wurden, müssten teilweise monate- bis sogar jahrelang in Regionalgefängnissen warten, bis ein Platz in einer Massnahmen-Einrichtung gefunden werde. Laut Mühlemann waren es Anfang dieses Jahres 270 Personen, die zu einer Massnahme verurteilt wurden und noch immer im Gefängnis warteten, bis ein Therapieplatz frei wird.
Ebenfalls schwierig sei, dass sich die Inhaftierten in einem solchen Fall kaum wehren können. Jakob sei bei seiner Verurteilung ein Pflichtverteidiger zur Seite gestanden, dessen Mandat nach der Schuldsprechung geendet habe. Fortan sei es es also am Betroffenen selber gelegen, bei den juristischen Fragen den Überblick zu behalten. Dafür habe ihm schlicht das Fachwissen gefehlt.
Während des laufenden Strafprozesses kann die angeklagte Personen auf die Unterstützung durch einen Anwalt zählen. Diese Unterstützung fällt nach ergangenem Urteil weg, die Betroffenen sind dann auf sich alleine gestellt. Mühlemann sagt: «Zwar besteht die theoretische Möglichkeit auch im Straf- und Massnahmenvollzug einen Anwalt beizuziehen. In der Praxis machen aber nur wenige Personen davon Gebrauch, weil sie hierzu nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen».
Eine erste Auswertung der Beratungsstelle zeigt: Seit Februar kümmerte sich Mühlemann und sein Team um 70 Fälle. Die meisten Anfragen erreichten ihn per Telefon, einige schickten auch Briefe. Die Gefangenen wollten wissen: Werde ich in eine offene oder eine geschlossene Einrichtung eingewiesen? Wird mein Urlaubsgesuch bewilligt? Muss ich arbeiten, obwohl ich 67 Jahre alt bin? Habe ich als Hepatitis-C-Kranker Anspruch auf eine medizinische Behandlung? Warum werde ich nicht bedingt entlassen, obwohl ich meine Strafe zu zwei Drittel abgesessen habe?
Mühlemann kann nicht alle Fragen beantworten. Aber manchmal kann er die Häftlinge an andere Strukturen weiterverweisen oder er kann helfen, einen Antrag für unentgeltliche Rechtshilfe zu beantragen. Denn nur schon dafür braucht es ein hohes Mass an juristischem Fachwissen.
Die Beratungsstelle läuft noch bis Ende 2019 in der Pilotphase weiter. Bisher fehlt dem Projekt jedoch ab dem letzten Jahr die Finanzierung. Dies obwohl es bei den Behörden gut ankommt. Im Kanton Bern, wo derzeit das einzige Büro der Beratungsstelle ist, hat das Amt für Justizvollzug dem Projekt seine ideelle und praktische Unterstützung zugesichert.
*Name geändert.