Mit einem kleinen Ruderboot über den Atlantik. Wie kommt man bloss auf so eine Idee? Auf ihrer Homepage schreiben die vier Schweizer vor dem wohl grössten Abenteuer ihres Lebens folgendes:
Im Ruderboot – fernab jeglicher Zivilisation – 35 bis 60 Tage auf dem Atlantik paddeln. Dieses Abenteuer beginnt am 12. Dezember auf La Gomera (Kanarische Inseln) und endet dann – hoffentlich – irgendwann anfangs 2018 auf Antigua (Karibik). Sie werden dabei täglich bis zu 8000 Kalorien verbrennen und das Körpergewicht könnte sich während der Wettfahrt um 20 Prozent reduzieren.
Ich treffe die vier Ruderer im Seeclub Zürich an der Farewell Party. Sie sind zwischen 26 und 28 Jahre alt. Alles Muskelberge. Einer ist breiter als der andere. Auch mit 20 Prozent weniger Körpergewicht würden sie noch eine stattliche Figur abgeben.
Ich: Wie läuft der Endspurt. Alles bereit?
(lachen). Also gepackt haben wir noch nicht. Aber wir haben seit dem 26. September das Boot.
Erst so spät?
Ja, wir haben gehofft, dass das wir es ein Jahr früher haben würden. Und damit auch mal ein Trainingslager auf dem Meer machen könnten. Das ging in die Hose.
Ist das schlimm?
(sie schauen sich an). Nun ja, es ist jetzt so.
«Mrs. Nelson» ist ein Occasions-Boot. Getauft haben es vier Britinnen, die damit 2016 den Weltrekord bei den Frauen aufstellten. Sie brauchten 40 Tage für die Überfahrt über den Atlantik. Gekostet hat das Boot mit allem drum herum rund 75'000 Franken. Die Kosten belaufen sich auf rund 140'000 Franken. Ein ziemlicher Batzen. Crowdfunding half ein wenig und natürlich Sponsoren. Vereinfacht gesagt: Die ganze Organisation verschlang mehr Energie als das Training.
Sie zeigen mir das Boot. Am Ufer des Zürichsees steht «Mrs. Nelson». 8,64 Meter lang, 1,84 Meter breit. Vorne und hinten kleine, wasserdichte Kabinen. «Da würde ich es keine zwei Tage auf dem Zürichsee drauf aushalten», schiesst es mir durch den Kopf. Die Jungs werden länger unterwegs sein: «Wir haben Essen für 60 Tage dabei. Der Weltrekord bei den Männern liegt bei 35 Tagen. Das wäre schon auch ein Ziel. Aber vor allem wollen wir heil ankommen», erklärt Luca.
Die vier Freunde lernten sich in der Grenadier-Schule in Isone kennen. Alle loten gerne ihre Grenzen aus. Irgendwann Ende 2014 sah Luca die Ausschreibung der «Talisker Whisky Atlantic Challenge», gründete eine WhatsApp-Gruppe und die vier waren an Bord.
Doch klar. Seit zwei Jahren sind die Jungs im Training. Was man ihnen auch ansieht. Aber eine wirkliche «Rudervergangenheit» hat nur Yves, der von 15 bis 21 den Sport ziemlich intensiv betrieb. Auf dem Meer gerudert ist das Quartett bisher einzig im Trainingslager in Swanage. Im Süden Englands. Auf «herkömmlichen» Ruderbooten.
Luca: «Der ganze administrative Aufwand ist enorm. Das haben wir so nicht erwartet. Gut zeigt diese Situation unser Rettungsboot. Wir konnten zwar so ein Liferaft auftreiben, aber eigentlich ist es schon zu alt. Würden wir es warten, müssten wir es nach Italien schicken. Es wäre einfacher, wenn wir einfach ein neues kaufen. Das kostet dann halt auch wieder, ist aber immer noch billiger als andersrum. Solche kleine Problemchen haben wir unzählige.»
«S'Mami», tönt es fast im Chor. Und dann kommen die Antworten: Ausschlafen, mein eigenes Bett, frisches Essen und frisches Wasser.
Für Marlin ist klar: «Ein Nagelknipser.» Er erntet dafür nur Lacher, bleibt aber gelassen: «Sie lachen jetzt, aber dann müssen sie ihn ausleihen. Überlegt doch mal.» Laurenz will sicher Kaffee mitnehmen, Yves ein wasserfestes Zeichnungsheft. Bescheidene Jungs.
Finisher des Ruderwettkampfs haben herausgefunden, dass es am meisten Sinn macht, wenn man Zweierteams bildet und diese zwei Stunden rudern und sich dann zwei Stunden erholen.
Das Problem bei dieser Aufteilung: Der Schlafrhythmus ist eigentlich nicht trainierbar – und würde während der Trainingsphase jetzt sowieso nur schaden. Irgendwann ist man einfach müde. Wie die Jungs das verkraften werden? «Wir wissen es nicht», sagen sie.
«Nach dem Musikgeschmack», sagt Yves. «Laurenz und ich stehen eher auf Elektro, die anderen zwei sind eher die Softies.» Sie lachen. Das Musikhören hat noch einen kleinen Haken. Die Musikanlage ist am Solarpanel angeschlossen, welches auch das Meerwasser filtert. Überspitzt gesagt: Hören die Jungs zu viel Musik, gibt's nichts zu trinken.
«Für Langeweile haben wir kaum Zeit», sagt Yves. «Entweder du ruderst oder du schläfst, kochst, isst, schaust auf deine Hygiene.» Der «Alltagstrott» kann aber durchaus einkehren. Dagegen nehmen die Jungs Hörbücher oder einen E-Reader mit.
Essensrationen haben die Jungs für 60 Tage mit dabei. Faustregel ist täglich rund 600 Kalorien pro 10 Kilogramm Körpergewicht. Bestehen tut dieses Essen aus Trockenfutter, das sieht dann so aus:
Gekocht wird an dieser Station, weil diese Vorrichtung dann mit einem Gimbal die Schwankungen ausbalanciert. Ziel ist, dass pro Tag nur einmal gekocht werden muss. Dazu kommen einige Riegel, Nüsse, vielleicht etwas Schokolade. Und ein Spezialmenü für Weihnachten? «Haben wir uns noch nicht überlegt. Vielleicht. Aber der Platz ist knapp.»
Wer «klein» muss, hat wenig Probleme. Wer «gross» muss macht's so: Kessel nehmen, zwischen die beiden Ruderstationen kauern und los geht's. Der Inhalt kann dann ins Meer gekippt werden.
Eines der grössten Probleme auf hoher See ist, dass das Salzwasser eine gute Wundheilung verhindert. Das Salz fördert Reibungen von Kleidern auf der Haut, die zu offenen Wunden führen. Darum ist Nacktrudern zu empfehlen.
Die Hygiene ist daher zentral. Nach dem Rudereinsatz hat die Körperpflege (meist mit Feuchttüchern) grösste Priorität.
Das Boot kann nicht sinken. Zumindest im Normalfall nicht. Schliessen die vier Schweizer die beiden Luken richtig ab, geht das Boot nicht unter. Im Gegenteil: Es ist so konzipiert, dass es sich immer wieder auf die richtige Seite dreht.
«Natürlich habe ich Angst vor Haien. Wer denn nicht?», fragt Marlin. Aber er weiss auch, was dagegen zu tun ist. «Wir müssen einfach schauen, dass unser Boot immer von Algen befreit wird. Weil die locken kleine Fische an, dann kommen die grösseren und am Ende die Haie.»
Natürlich nicht. Aber natürlich gilt es, wichtige Regeln zu beachten. Die häufigste Todesursache bei solchen Vorhaben ist, dass einer vom Boot fällt und aufgrund von Wind und Strömungen nicht mehr zum Gefährt zurückfindet. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Wichtig darum: Kaum befinden sich die vier an Deck, müssen sie sich immer mit Sicherheitsleinen sichern.
Eigentlich sind die vier dann in den beiden Kabinen sicher. Yves hat gar noch eine etwas verrückte Einstellung. «Ich weiss, das hört sich jetzt komisch an. Aber wenn ich an einen Sturm denke, kommt mir eher die Szene aus Forrest Gump in den Sinn, wo Lieutenant Dan dem Wetter auf dem Schiff trotzt. Also eigentlich würde ich das gerne erleben. Aber vermutlich ist's dann in der Situation ganz anders.»
«Seekrankheit», ist es für Laurenz. Luca sagt: «Lange war es Seekrankheit, mittlerweile ist es mehr das Gefühl nicht zu wissen, wie wir nach einigen Tagen mit der ganzen Situation umgehen werden.» Yves sagt: «Ich weiss nicht, wie wir dann reagieren werden. Wir waren alle noch nie an so einem Punkt.» Marlin schliesslich offenbart: «Dunkles Wasser ist mir unheimlich. Und wir sitzen da mittendrin.»
Die Jungs wirken kurz vor dem Start entspannt, aber auch gut vorbereitet. Sie haben gut trainiert und sind fit. Ihnen ist aber auch bewusst, dass sie die Reise nicht ganz durchplanen können und unterwegs jetzt noch nicht bekannte Probleme auftauchen können. Darum hilft auch eine Portion Optimismus und Vertrauen.
«Burger und Bier», tönt es fast einhellig. Und Luca verspricht: «Ich drücke der ersten Frau, die mir begegnet, einen Kuss auf den Mund. Hoffentlich ist es nicht mein Mami.»