Für die Schweizer Hockey-Nati beginnt das olympischeTurnier am Donnerstag gegen Kanada. Eine Medaille ist das Ziel. Eine Medaille muss das Ziel sein.
Am Anfang steht der Glaube an die grosse Tat. Die Chinesen sagen, zuerst sei der Gedanke, dann das Wort und schliesslich die Tat. In Südkorea sind wir ja nicht so weit weg von den Chinesen.
Für dieses «Yes, we can!» steht der Olympiasieg der Amerikaner von 1980. Mit einem Studenten-Team wurden die scheinbar übermächtigen Sowjets gebodigt.
Eine helvetische Medaille wäre kein mit diesem «Miracle on Ice» auch nur annährend vergleichbares Wunder. Die Chancen der Schweizer sind ungleich grösser als damals jene der Amerikaner. Und so gross wie seit dem olympischen Turnier von 1952 nie mehr. 2018 gilt für die Schweizer: «Yes, we can!».
Die Medaillenchancen sind auch ungleich grösser als bei der WM. Einem Turnier mit NHL-Profis. In Paris spielten unsere NHL-Profis keine tragende Rolle. Wir verloren gegen Schweden den WM-Viertelfinal nur knapp (1:3). Von den 19 NHL-Profis dieser schwedischen Mannschaft ist nun keiner mehr dabei.
Aber Patrick Fischer muss hier in Südkorea in den nächsten Tagen die Zauberformel finden. Zauberformel? Ja. Alles muss passen wie bei einer Zauberformel. Zwei Drittel kann der Coach beeinflussen. Ein Drittel liegt bei einem Spiel auf glatter Unterlage in der Hand der Hockey-Götter.
Deutschlands Hockey-Wunder von 1976 zeigt, was damit gemeint ist: Die Deutschen holten vor dem punktgleichen Finnland Bronze, weil sie mit 1,167 den bessern Tor-Quotienten hatten als die Finnen (1,125). Deutschland hatte sich also mit 0,041 Toren Vorsprung die Bronzemedaille gesichert. Es war das «Wunder von Innsbruck». So viel Glück braucht Patrick Fischer vielleicht auch.
Kult-Nationaltrainer Ralph Krueger war ein Grossmeister der minutiösen Planung und Vorbereitung. Ein Hexenmeister der Detailarbeit. Seine Aufgebote waren das Resultat geradezu wissenschaftlicher Berechnungen. Er hat uns zwischen 1997 und dem olympischen Turnier 2010 in die Weltspitze zurückgeführt und die Nationalmannschaft bei den olympischen Turnieren von 2002 (11.), 2006 (6.) und 2010 (8.) gecoacht.
Aber selbst dieser grosse Bandengeneral hat nur einmal die olympische Zauberformel gefunden. Bei den Spielen von 2006 in Turin. Wir besiegten zum ersten Mal die kanadischen NHL-Profis (2:0). Bis heute der grösste, erstaunlichste Sieg der Schweiz im Rahmen eines Titelturniers. Am Ende reichte es in Turin zu Platz 6. Die beste olympische Klassierung seit Oslo 1952 (5.).
Aber 2002 scheiterte selbst Ralph Krueger beim olympischen Turnier in Salt Lake City kläglich und die Dinge liefen so aus dem Ruder, dass er Reto von Arx und Marcel Jenni vorzeitig nach Hause schicken musste. Nur der «ewige Vertrag» bis 2006 rettete ihn vor der Entlassung. Wir sollten also im Falle eines Debakels mit Patrick Fischer gnädig sein. Er ist mit vorzeitig bis 2020 verlängertem Vertrag sowieso unentlassbar.
Die Zauberformel für das olympische Turnier von 2018 ist die perfekte Balance zwischen Defensive und Offensive. Zwischen Systemtreue und Kreativität. Und dazu ein Weltklasse-Torhüter. Wie bei der Silber-WM 2013.
Seit 2013 suchen unsere Nationaltrainer vergeblich nach dieser Zauberformel. Auch Zauberlehrling Patrick Fischer hat sie bei seinen Aufgeboten für die WM 2016 und 2017 und bei der Vorbereitung auf das olympische Turnier noch nicht gefunden. Unser Zauberlehrling ist immer noch auf der Suche nach der Zauberformel.
Und doch ist eine Medaille ein realistisches Ziel. Schweizer Klubteams spielen in der Saisonvorbereitung gegen Mannschaften aus Finnland, Schweden, Tschechien oder Russland meistens auf Augenhöhe. In den europäischen Klubwettbewerben sind sie gegen skandinavische oder tschechische Teams nie chancenlos.
Die NHL-Profis sind nicht dabei. Finnland, Schweden, Tschechien und Russland stellen ihre Teams aus den europäischen Ligen zusammen. Die Kanadier und die Amerikaner zum grössten Teil auch. Die meisten Spieler dieses olympischen Turniers stehen in der gross-russischen KHL in Lohn und Brot. Mehr als 60.
Die ZSC Lions haben 2009 die damalige Champions League gegen Magnitogorsk aus der KHL gewonnen. Also haben wir in einem von KHL-Titanen dominierten Turnier im Quadrat bessere Aussichten als 2002, 2006, 2010 und 2014.
Wenn wir nicht bis ins Halbfinale kommen, dann ist es eine bittere Enttäuschung. Dann haben wir eine Jahrhundertchance vergeben. Denn bereits 2022 in Peking werden die NHL-Profis wieder dabei sein.
Wir stehen vor dem ausgeglichensten olympischen Turnier seit 1994, dem letzten ohne NHL Profis. Bei dieser Ausgeglichenheit werden Details die Differenz machen. Ein Pfostenschuss. Ein unglücklicher Abpraller. Zu diesen Details gehören aber auch das Coaching und die Torhüterleistung. Das Aufgebot von Leonardo Genoni, Jonas Hiller und Tobias Stephan ist logisch und richtig.
Es wird jetzt fast alles davon abhängen, ob Patrick Fischer für die einzelnen Partien den richtigen Torhüter nominiert. Leonardo Genoni, der Beste von allen, war im Januar nie in höchster Hochform. Jonas Hiller war bei den letzten Einsätzen (WM in Paris, Karjala Cup) ein Lottergoalie und Tobias Stephan hat noch nie etwas gewonnen.
Um die Zauberformel zu finden und für die richtige Torhüterwahl braucht unser nationaler Hockey-Bandengeneral ganz einfach auch ein wenig Glück.
Schon der grosse Napoléon pflegte zu sagen, er brauche nicht nur tüchtige Generäle. Er brauche vor allem Generäle mit Fortune. Und tüchtig ist Patrick Fischer ja schon.