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Migros

Einst waren die Kunden Könige, heute sind sie Mitarbeiter

Self checkout at Coop Sihlcity in Zurich, pictured on January 29, 2015. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Self Checkout im Coop Sihlcity am 29. Januar 2015 in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)
4000 Self-Scanning-Kassen betreiben Coop und Migros.Bild: KEYSTONE

Einst waren die Kunden Könige, heute sind sie Mitarbeiter

Die Hälfte aller Migros-Kunden benutzt zu Stosszeiten bereits Self-Scanning-Kassen – zum Nachteil der Angestellten?
20.01.2018, 21:2521.01.2018, 08:41
Philipp Felber / schweiz am wochenende
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Die Kassen in der kleinen Coop-Filiale am Oltner Bahnhof sind verwaist. Ein Mitarbeiter mustert kurz den Kunden, der sich den Kassen nähert. Der Kunde winkt ab. «Ist schon in Ordnung. Füllen Sie nur weiter die Regale auf. Ich schaff's auch selber», sagt der Kunde und bezahlt sein Morgenessen an der Self-Scanning-Kasse. Selbst ist der Kunde.

Das Beispiel zeigt eines deutlich: Die Kunden haben die Self-Scanning-Kassen akzeptiert. Und machen mit Freuden den Job der Angestellten. In der Hoffnung, dass es schneller geht, man nicht anstehen oder zumindest am Morgen mit niemandem reden muss.

Jetzt auf

Die beiden Grossverteiler Coop und Migros trieben in den letzten Jahren das Selfscanning voran. Mittlerweile sind bei der Migros 337 Filialen mit dem «Subito»-System, wie der Detailhändler sein Self-Scanning-System nennt, ausgerüstet. Von den über 10000 Kassen, die Migros in Betrieb hat, sind mittlerweile 2200 «Subito»-Kassen. Bei Coop können Kunden an rund 15 Prozent aller Kassen ihre Einkäufe selber scannen.

Die Kassen scheinen sich zu lohnen für die Grossverteiler. Denn: Über das Subito-System würden bei der Migros zwischen 20 und 40 Prozent des Umsatzes generiert – während der Stosszeiten bis zu 50 Prozent. Vor allem in Filialen, wo vermehrt jüngere Kundschaft einkaufe, werde Selfscanning bevorzugt. An Standorten, wo ältere Kundschaft einkaufe, würden eher die traditionellen Kassen bevorzugt, sagt Migros-Sprecherin Monika Weibel. In Coop-Supermärkten, welche mit SelfScanning-Kassen ausgerüstet sind, bezahlen rund die Hälfte der Kunden dort.

1800 Kassen in 5 Jahren

Die Entwicklung hin zum Self Scanning geht rasant voran. Coop führte 2013 die ersten Self-Scanning-Kassen ein. Fünf Jahre später sind es schweizweit 1800. Tendenz weiter steigend. Das hat einen Vorteil. Grundsätzlich stünden mehr Kassen zur Verfügung als vorher, heisst es bei Coop. Das lässt sich in vielen Filialen beobachten: Müssen bediente Kassen Self-Scanning weichen, entstehen doppelt, wenn nicht dreimal so viele neue Bezahlstellen.

«Self-Checkout-Terminals wurden als Dienstleistung für die Kunden eingeführt, die beim Einkauf Zeit sparen und den Einkaufsprozess beschleunigen und verbessern möchten.»
Migros

Doch geht diese Entwicklung auf Kosten des Verkaufspersonals? Die Befürchtung, dass wegen der neuen Kassen Jobs gestrichen werden, schwebt seit den Anfangszeiten von Selfscanning wie ein Damoklesschwert über den Angestellten. Migros und Coop werden nicht müde zu betonen, dass die Kassen nicht dazu da seien, um Personal abzubauen.

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«Self-Checkout-Terminals wurden als Dienstleistung für die Kunden eingeführt, die beim Einkauf Zeit sparen und den Einkaufsprozess beschleunigen und verbessern möchten», heisst es dazu etwa von der Pressestelle der Migros. Der Einsatz von Self Scanning habe kaum Auswirkungen auf den Personalbestand. Und auch bei Coop weist man den Vorwurf des Abbaus von sich. Man beschäftige in den Läden mit Self-Checkout-Kassen nicht weniger Personal als vor der Einführung.

Die Mitarbeiter hätte andere Aufgaben übernommen. So etwa in der Beratung an Self-Scanning-Kassen, bei technischen Hilfeleistungen oder bei Alterskontrollen beim Alkoholkauf, heisst es von Coop. Bei der Migros setzt man das Verkaufspersonal auch mal an anderen Orten ein. Und: «Mit ‹Subito› entsteht ein neues Aufgabengebiet, denn dieser Bezahlprozess ist ohne Mitarbeitende nicht denkbar», sagt Monika Weibel.

Unia ist skeptisch

Beobachtet man die Abläufe an den Kassen der Grossverteiler, lässt sich teilweise ein anderes Bild zeichnen. Vielfach wird der Bereich der Self-Scanning-Kassen nicht von eigens abgestelltem Personal betreut. Zu Stosszeiten wird etwa die Alterskontrolle von Mitarbeitern durchgeführt, die an der Kasse gleichzeitig Kunden bedienen.

Und auch bei technischen Problemen müssen Angestellte ihre Kassen verlassen, um dem Kunden zu helfen. Zudem gibt es in einigen Coop-Pronto Filialen Kassen, an welchen die Kunden ihre Identitätskarte zur Altersprüfung selber scannen müssen. Auch hier gilt: Selbst ist der Kunde. Derweil kommen für das Verkaufspersonal zusätzliche Aufgaben hinzu, die sie zum Teil parallel ausführen.

Die Gewerkschaft Unia begleitet den Siegeszug der Self-Scanning-Kassen mit Sorge. Beispiele für Kündigungen gebe es zwar nicht, aber man beobachte, dass Pensionierte nicht ersetzt würden wegen der neuen Kassen, sagt Gewerkschaftssekräter Arnaud Bouverat. Damit das Verkaufspersonal nicht von der Digitalisierung überrollt wird, fordert die Unia von Coop und Migros, dass sie ihr Personal umschulen.

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92 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Scaros_2
20.01.2018 21:34registriert Juni 2015
Es ist wie bei jeder Industriellen Revolution. Manche Jobs gehen und neue kommen dazu. Redet dies nicht immer schlecht.
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TanookiStormtrooper
20.01.2018 22:22registriert August 2015
Was heisst denn "Heute sind sie Mitarbeiter"? Den Trend gibt es schon lange! Früher musste man sein Obst nicht selber wiegen und die Sachen wurden einem aus dem Regal geholt.
1997
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Graviton
20.01.2018 21:39registriert Januar 2018
Es lässt sich eh nicht mehr aufhalten. Und das ist auch gut so. Roboter übernehmen sogar schon bei Operationen in Spitälern die Arbeit des Chirurgen und machen Operation nach Operation ohne Ermüdungserscheinungen. Die Zeiten, in denen jeder einem Job nachgehen muss nur um seine Brötchen zu verdienen, sind bald vorbei. Genauso wie wir heute nicht mehr Jäger und Sammler sind werden wir morgen nicht mehr Angestellte und Arbeiter sein. Wir brauchen neue Gesellschaftsmodelle.
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