Wirtschaft
Schweiz

«Die Verschwörungsszene wird grösser und aggressiver»

Roger Schawinski, Journalist und Medienunternehmer, anlaesslich einem Sessionsanlass ueber "Medienpolitik, wieviel Staat brauchen unabhaengige Medien?", am Dienstag, 6. Maerz 2018 in Bern. ( ...
Hat sich intensiv mit Verschwörungstheoretikern befasst: Roger Schawinski.Bild: KEYSTONE
Interview

«Die Verschwörungs-Szene wird grösser, aggressiver und beängstigender»

In der «Arena» ist Roger Schawinski auf Daniele Ganser gestossen und war schockiert: Er hat erkannt, dass sich auch in der Schweiz eine Verschwörungsszene gebildet hat, welche die Nato hasst, Putin verehrt und die Grenzen zwischen Alt-Stalinisten und Neo-Faschisten aufhebt. Seinen Schock hat Schawinski im Buch «Verschwörung!» verarbeitet. 
07.04.2018, 15:3709.04.2018, 12:18
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Das Buch heisst zwar «Verschwörung», aber eigentlich geht es um Daniele Ganser. Haben Sie ihn schon vor der legendären «Arena»-Sendung gekannt?
Ich hatte von ihm gehört, persönlich gekannt hatte ich ihn nicht.

Und hat er Sie beeindruckt?
Nein, aber die Folgen der Sendung haben mich aus den Socken gehauen. Ich wurde massiv attackiert, obwohl ich nur die zweite Geige neben Jonas Projer gespielt habe.  

Daniele Ganser in der legendären «Arena»-Sendung.
Daniele Ganser in der legendären «Arena»-Sendung.bild: watson

Eine ungewohnte Rolle für Sie.
Trotzdem wurde ich mit Protesten zugemüllt, wie andere Journalisten übrigens auch. Da habe ich mir gedacht: Es muss sehr viel mehr dahinter stecken, als ich bisher geglaubt habe. Deshalb begann ich zu recherchieren und bin auf eine eigentliche Subkultur gestossen, die weitgehend unbekannt, die aber beängstigend und riesig ist.  

Sie zählen Namen wie Ken Jebsen, Jürgen Elsässer und Rainer Mausfeld auf, die in dieser Subkultur auftauchen. Wie sind diese Leute politisch einzuordnen?
Es ist eine verschworene Gemeinschaft, die in ihrer eigenen Welt lebt. Sie haben das Gefühl, sie seien die einzigen, die im Besitz der Wahrheit seien. Alle anderen sind blind und manipuliert. Mit rationalen Argumenten ist ihnen nicht beizukommen. Sie werden im Gegenteil als Zeichen wahrgenommen, wie schlimm die Verschwörung gegen sie sei.    

Sind diese Leute dumm?
Viele von ihnen sind intelligent und sehr gebildet.

«Bei Ganser sind die Amerikaner und die Nato immer die Bösen, was immer auch auf der Welt geschehen mag.»

Handelt es sich also um Sekten?
Sie sind nicht im gleichen Masse sichtbar wie Sekten. Hier aber handelt es sich um Internet-Communities, die weitgehend anonym sind, aber heute viel mehr Anhänger haben als selbst die grössten Sekten.  

Gansers Hauptthese – abgesehen von der absurden Theorie, dass das 9/11 von den Amerikanern selbst inszeniert wurde – lautet: Alle Kriege drehen sich letztlich um Öl. Ganz falsch liegt er damit nicht.
Vieles, was Ganser sagt, kommt vernünftig daher. Doch inzwischen hat er sich in einen blinden Hass auf die USA verstiegen. Dabei greift er zu absurden Vergleichen. So vergleicht er sich mit den Geschwistern Hans und Sophie Scholl, die legendären deutschen Widerstandskämpfer gegen die Nazis, die ermordet wurden. Sein Verfolgungswahn, der hinter solchen Aussagen steckt, ist gleichzeitig realitätsfremd und beängstigend. Er stellt die Nato auf die gleiche Stufe wie das Dritte Reich.  

Ken Jebsen interviewt Daniele Ganser auf KenFM.
Ken Jebsen interviewt Daniele Ganser auf KenFM.bild.screenshot youtube

Ein Kronzeuge Gansers ist Noam Chomsky, der wichtigste Linguist der Nachkriegszeit und der am meisten gelesene Politautor der Gegenwart.
Die traditionelle Unterscheidung von links und rechts ist heute weitgehend wertlos geworden. Bei Ganser sind die Amerikaner und die Nato immer die Bösen, was immer auch auf der Welt geschehen mag. Im Umkehrschluss muss Putin immer der Gute sein und wird von ihm durch alle Böden hindurch verteidigt, beispielsweise, selbst wenn es um die Giftgas-Angriffe in Syrien geht. Als sogenannter Friedensforscher hat sich Ganser damit demaskiert. Er ist letztlich ein Propagandist des Kriegsherrn Putin.

Was zeichnet die Subkulturen weiter aus?
Die meisten ihrer Vertreter sind sehr mediengewandt. Ken Jebsen war Journalist beim öffentlichen Berliner Rundfunk RBB. Ganser gibt den Akademiker, er ist eher eine Ausnahme.  

Sind es Überzeugungstäter oder clevere Geschäftsleute?
Schwierig zu sagen. Jebsen hat gemerkt, dass er mit seinem Kanal KenFM ein Riesenbusiness machen kann, ähnlich wie in den USA Alex Jones mit Infowars.

FILE- In this April 19, 2017, file photo, Alex Jones, a well-known Austin-based broadcaster and provocateur, arrives for a child custody trial at the Heman Marion Sweatt Travis County Courthouse in Au ...
Vorbild und durchgeknallt: US-Talkmaster Alex Jones.Bild: AP/Austin American-Statesman

Wie weit glauben diese Leute den Unsinn, den sie verbreiten?
Das wissen wir nicht. Vielleicht sind einige von ihnen ganz einfach durchgeknallt.

Gansers Bücher werden oft vom rechtsradikalen Magazin Compact angepriesen. Zufall?
Umweltpolitisch gibt sich Ganser grün. Gleichzeitig hat er keine Berührungsängste zu rechtsradikalen Kreisen, etwa dem berüchtigten Kopp-Verlag.

«Mit Weltwoche-Daily und  Vorträgen nähert sich Köppel in seinem Vorgehen ebenfalls dieser Szene an.»

Verbünden sich im Anti-Amerikanismus Alt-Stalinisten und Neo-Faschisten?
Es gibt viele ehemals extreme Linke, die heute extrem rechts sind. Extremisten haben keine Mühe, das Lager zu wechseln. Ganser ist jedoch politisch nicht so leicht einzuordnen. Er gefällt sich in der Rolle des Akademikers und betont seinen Doktortitel. Allerdings sind seine akademischen Meriten äusserst fragwürdig, wie ich in meinem Buch detailliert aufzeige.

Wie finanziert er sich?
Durch seine Bücher und seine Vorträge.

Sie haben das deutsche Umfeld von Daniele Ganser beleuchtet. Wie sieht es in der Schweiz aus?
In der Schweiz gibt es weniger Figuren dieser Art.

Was ist mit Roger Köppel?
Er stimmt auch in den Fakenews-Chor ein, er übernimmt – zumindest was die Medien betrifft – diese Methoden der Verschwörungstheoretiker, ähnlich wie das auch Donald Trump macht. Mit Weltwoche-Daily und  Vorträgen nähert sich Köppel in seinem Vorgehen ebenfalls dieser Szene an.

Roger Koeppel, SVP-ZH, filmt sich mit dem Smartphone in der Wandelhalle, waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 15. Maerz 2018 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Hat ebenfalls den Reiz der Kamera entdeckt: Roger Köppel. Bild: KEYSTONE

Das Internet spielt eine entscheidende Rolle. Weshalb?
Zwei Ereignisse haben die neue Verschwörungsszene entscheidend geprägt: 9/11 und das Internet.

Verschwörungstheorien sind doch so alt wie die Menschheit.
Dank dem Internet können sie heute weltweit verbreitet werden. Das Internet ist einfach, billig und überall auf der Welt erreichbar. Das hat die Verschwörungsszene explodieren lassen.

«Israel ist das eine, Antisemitismus etwas anderes. Wer dies gleichsetzt, macht einen Denkfehler.»

Über den Kennedy-Mord gibt es unzählige Verschwörungstheorien. Sie haben sich auch ohne Internet verbreitet.
Es gibt Weltverschwörungstheorien wie die Macht der Juden oder der Illuminati und singuläre Verschwörungstheorien wie den Kennedy-Mord. Dass dieser Mord nach wie vor nicht vollständig aufgeklärt ist, stimmt. Doch erst wenn man die ungelösten Rätsel in Verbindung mit einer Weltverschwörung bringt, erhalten sie richtig Power.  

Die schlimmste Weltverschwörungstheorie, die «Protokolle der Weisen von Zion», stammt aus dem 19. Jahrhundert in Russland.
Es handelt sich um eine klare Fälschung. Trotzdem dient sie vielen immer noch als Vorlage für ihre Verschwörungstheorien. So fliesst sie auch in die aktuell beliebteste Verschwörungstheorie zu 9/11 ein.    

Mutter aller modernen Verschwörungstheorien: 9/11.
Mutter aller modernen Verschwörungstheorien: 9/11.

Was haben die Juden mit 9/11 zu tun?
Es wird von vielen dieser Leute betont, dass die Amerikaner zusammen mit dem israelischen Geheimdienst Mossad und den Juden gehandelt haben. Damit bedient man sich alter antisemitischer Muster: Die Juden stecken hinter allem.  

Gerade die amerikanischen Rechtsradikalen um Steve Bannon geben sich betont Israel freundlich.
Israel ist das eine, Antisemitismus etwas anderes. Wer dies gleichsetzt, macht einen Denkfehler. Bannon ist auch der Führer der Alt-Right-Bewegung, die äusserst rassistisch ist, wie die Demonstration in Charlottesville gezeigt hat. Dort fielen Sprüche wie «Jews don’t replace us» (Juden werden uns nicht ersetzen).

Welche Rolle spielt Putin?
Er ist eine Lichtgestalt dieser Bewegung. Man darf vermuten, dass er ihnen nicht nur ideelle, sondern auch finanzielle Unterstützung zukommen lässt. Dass Putin jede nur mögliche Verleumdungsmethode benutzt, um den Westen zu unterminieren, hat er zur Genüge bewiesen. Er war schliesslich ein hochrangiger Offizier des russischen Geheimdienstes KGB. Da kommen ihm die Verschwörungstheoretiker zupass.  

«Man sollte Verschwörungstheoretikern keine Plattform am TV und im Radio geben.»

Was für ein Ziel haben die Verschwörungstheoretiker?
Sie liefern eine Erklärung für alle Menschen, die das Gefühl haben, sie hätten im Leben nicht das erreicht, was sie eigentlich wollten. Denen bieten sie einen Sündenbock an, der für ihr eigenes Unglück verantwortlich ist.  

Ein positives Ziel hingegen formulieren die Verschwörungstheoretiker nicht.
Viele dieser Leute mit Weltverschwörungstheorien wollen die bestehende westliche Gesellschaft zerstören. Wohin das führt, ist eine andere Frage. Daneben gibt es Spinner mit einer Vielzahl von irren Theorien. Ich führe die im Buch ebenfalls auf.  

Ganser plädiert für ein Bündnis von Russland und Deutschland im Sinne von: Die Deutschen sind exzellente Ingenieure und die Russen haben die Rohstoffe. Gemeinsam schlagen sie die verhassten Angelsachsen.
Auf ein solches Zitat bin ich nicht gestossen. So gesehen leuchtet auch seine Bewunderung für Putin ein.

epa06631500 Russian President Vladimir Putin attends a meeting dedicated to the fire in the Zimnyaya Vishnya shopping center and its aftermath in the West Siberian city of Kemerovo, Russia, 27 March 2 ...
Lichtgestalt der Verschwörungsszene: Wladimir Putin.Bild: EPA/SPUTNIK POOL

Wie soll man als Journalist mit den Verschwörungstheoretikern umgehen?
Schwierig. Sie beschimpfen uns als Lügenpresse und werfen uns Meinungsmonopol vor. Gleichzeitig nehmen sie jede Gelegenheit wahr, die sogenannten Mainstream-Medien zu ihren Gunsten zu manipulieren.  

Wie gehen Sie persönlich damit um?
Ich bin weiss Gott jemand, der andere Meinungen respektiert und zu Wort kommen lässt. Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft ich Christoph Blocher interviewt habe, und ich duelliere mich wöchentlich bei Radio 1 mit Markus Somm. Wenn es jedoch um reine Provokation geht, dann gibt es für mich Grenzen.

Würden Sie Ganser in eine Ihrer Sendungen einladen?
Nein. Er würde gar nicht kommen, denn er spricht fast ausschliesslich mit Journalisten, die ihm genehm sind. Die legendäre Arena hat zudem gezeigt, dass Ganser sich nicht an die Abmachungen hält. Er wollte nicht über Trump diskutieren, sondern über 9/11 und hat das durchgedrückt. Deshalb laden ARD und ZDF diese Leute auch nicht ein.

Sollte man auch nicht mehr über diese Szene berichten?
Man sollte ihnen keine Plattform am TV und im Radio geben, weil sie sich dort nicht an die Themenvorgaben halten. Doch man sollte aufklären. Ich habe ja mein Buch geschrieben, um aufzuzeigen, was da abgeht. Die Hintergründe muss man aufdecken, weil diese Szene immer grösser, aggressiver und unheimlicher wird.  

Soeben erschienen: Das neue Buch von Roger Schawinski.
Soeben erschienen: Das neue Buch von Roger Schawinski.

Keine Angst vor möglichen Repressionen?
Man hat mich gewarnt, dass ich mit unangenehmen Folgen rechnen muss. Aber wer mich kennt, weiss, dass mich so etwas nicht abschreckt, sondern eher anspornt. Zudem glaube ich, dass man mit echter Aufklärung Menschen davon abhalten kann, in diese Verschwörungsszene einzutauchen.  

In den USA haben Leute wie Alex Jones oder Sean Hannity so etwas wie einen zivilen Bürgerkrieg angezettelt. Besteht diese Gefahr auch hierzulande?
Ich weiss nicht. In den USA hat es kürzlich den von Teenagern organisierten «March For Our Lives» gegeben, bei dem eine Million Menschen auf die Strasse gegangen sind. Die Zivilgesellschaft beginnt sich zu wehren, auch in der Schweiz. Das ist gut so.

Putin stellt sein neues Atomwaffen-Arsenal vor

Video: srf
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485 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Charivari
07.04.2018 17:16registriert August 2017
Schon interessant. Kaum fällt in irgendeinem Artikel der Name Ganser, schon wird die Kommentarsektion von seinen Anhängern und Verteidigern überflutet. Kritische Kommentare werden weggeblitzt, so dass sich niemand mehr wirklich getraut, argumentativ etwas dagegen zu schreiben. Es wird einem eine Art Übergewicht suggestiert, dass faktisch gar nicht existiert.
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Denk nach
07.04.2018 16:23registriert Juli 2016
Von Ganser kann man halten, was man will. Grundsätzlich darf doch eine Meinung in einer Demokratie Platz haben, sofern sie nicht anderen Menschen oder Völker diskreditiert oder das Ziel verfolgt diese auszulöschen. Von ganz links bis ganz rechts hat es ja dieses Spektrum in der Schweiz bereits, man muss nicht mit allem einverstanden sein.

Ich würde mir wünschen, man wäre schon früher so kritisch mit Amerika gewesen, wie man jetzt ist. Trump ist einfach dumm und sagt die Wahrheit... Frühere Präsident haben aber bezüglich kriegerischem Verhalten viel schlimmer gehandelt als Trump.
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mfur
08.04.2018 17:43registriert Januar 2016
"Er [Putin] ist eine Lichtgestalt dieser Bewegung. Man darf vermuten, dass er ihnen nicht nur ideelle, sondern auch finanzielle Unterstützung zukommen lässt."

-- Verschwörungstheoretiker Schawinski
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