Wir schliefen unter dem Tisch, während auf diesem unsere Eltern, Grosseltern, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen, Nachbarn und Fremde tanzten, tranken und johlten. Dass Mitternacht schon lange vorbei war und die Kleinen, die nicht unter dem Tisch lagen, noch munter rumrannten, störte keinen.
Ich war sechs Jahre alt, als ich unter besagtem Tisch schlief. Wir zelebrierten die dreitägige Hochzeit meiner 18-jährigen Cousine in einem winzigen Kaff in der Nähe von Belgrad. Gefeiert wurde in einem eigens dafür aufgestellten Zelt im riesigen Vorgarten der riesigen Hütte des Bräutigams.
Ich erinnere mich, dass sich die Frauen mindestens zehn Mal umzogen, die Männer sich irgendwann nur noch von Konterbier ernährten und die Teenager heimlich hinter dem Zelt beim Plumpsklo rauchten. Es war heiss, laut und stank nach Zigaretten, Alkohol, Spanferkel. Trotzdem: es war ein berauschendes wunderbares Fest, das sich in meinen Kindheitserinnerungen fest verankert hat.
Die letzte Jugo-Hochzeit stieg vor zwei Jahren im gleichen Kaff. In den Augen meines Erwachsenen-Ichs ist so eine Fete noch geiler und abgefahrener, als ich es als Kind erlebt habe.
Mein Cousin (ich habe deren 10 und 13 Cousinen) ist der Bräutigam. Die Braut muss er in Begleitung eines riesigen Konvois in ihrem Elternhaus abholen. So ziehen wir mit Traktoren, Töffli ohne Nummernschildern, abgefuckten und auch sehr teueren Autos durch die Strassen.
Begleitet werden wir von Zigeunern, die Trompete, Harmonika und andere Instrumente spielen. Es ist 10 Uhr. Die ersten Schnapsflaschen sind schon geleert, die ersten Männer haben die Krawatten schon gelockert. Sie singen und tanzen und wirbeln den Cousin durch die Luft.
Der Konvoi wird vom Brautvater angeführt. Er trägt die Nationalfahne. Eine grosse Ehre. Ist mir biz zu theatralisch. Da bin ich zu schweizerisch dafür.
Da amüsiert mich die alte Frau, die auch ganz vorne mitläuft, viel mehr: Sie hat eine Waffe, mit der sie in die Luft schiesst. Wer sie ist, weiss ich nicht. Warum sie das macht, weiss ich auch nicht: «Alter Brauch», erklärt mein Dad. Meine Schwester und ich können und das Lachen nicht verkneifen.
Beim Elternhaus der Braut angekommen, wartet ein riesiges Buffet auf uns. Und eine riesige Sau, die am Spiess über dem Feuer brät. Mir wird etwas schlecht. Die Brautmutter weint theatralisch, während der Brautvater seine Tochter meinem Cousin übergibt. Nun weinen fast alle Frauen. Als Mitläuferin kommen nun auch mir die Tränen.
Nun bewegt sich der Konvoi Richtung Kirche. Nach der Zeremonie kehren wir in ein Hotel ein, das die Familien des Brautpaares gemietet und somit wahrscheinlich die ganze Altersvorsorge ausgegeben hat.
Hier beginnt mein Lieblingsteil: die Live-Band fährt ein. Mit ihr Sängerin Jelena: lange, sehr gebleichte Haare, riesige Silikon-Brüste, ein viel zu kurzer Rock, pinker Lippenstift und Tigermuster-High-Heels. Jelena schmettert Songs, die alle kennen. Wir singen, tanzen den Nationaltanz «Kolo», flippen theatralisch dramatisch aus.
Nun packen die ersten Besoffenen die Geldnoten aus, die sie den Musikern aufs Gesicht kleben. Je mehr diese schwitzen, desto besser hält die Kohle. Auch Jelena darf sich über den Geldsegen freuen: Ihr stecken wir die Noten in den Bund ihres Rockes und in ihren Ausschnitt. Dieses Schmeissen mit Geld darf an keiner Hochzeit fehlen.
Nach knapp 20 Stunden bin ich am Ende. Meine Füsse schmerzen, meine Stimme ist weg, mein Kleid zur Sau. So muss es sein. So ähnlich stelle ich mir auch meine eigene Hochzeit vor.
Erschöpft lasse ich mich aufs Bett fallen und frage mich, wer denn jemals die Muse haben wird, sich auf so Fest mit meiner riesigen Familie und mir einzulassen. Anyone da draussen?
Eure Ludmila!