Ein Tag, an dem Gott in ihren Augen eines der grössten Wunder vollbracht hat. Ein Tag, an dem er einem begnadeten Sünder und Lügner ein zweites Leben schenkte und ihn vor den Augen seiner Fans zum Helden machte.
Ein Tag, an dem der himmlische Vater ein Zeichen setzte und in den Wahlkampf eingriff. Eine Szene, wie aus einem Heldenepos mit Trump als Gladiator und Gott als Regisseur. Ein Tag, an dem Gott sein Füllhorn über dem Präsidentschaftskandidaten ausschüttete und ihn angeblich beauftragte, Amerika wieder gross zu machen.
Auch der Zeitpunkt des himmlischen Zeichens ist für die frommen Christen Teil der göttlichen Regie: Wenige Tage vor dem republikanischen Konvent in Milwaukee liess Gott Trump im Bruchteil einer Sekunde den Kopf drehen, so dass die Kugel des 20-jährigen Schützen nicht seinen Schädel zertrümmerte, sondern nur das Ohr streifte. Muss keiner kommen und behaupten, das sei eine Verkettung glücklicher Zufälle! Nein, da war die Hand Gottes im Spiel, glauben die amerikanischen Freikirchler felsenfest.
Der schwarze Senator Tim Scott aus South Carolina und glühender Trump-Anhänger interpretierte den Mordanschlag am Convent religiös und untermauerte den Heldenstatus von Trump:
Weiter sagt er:
Mit seinem Auftritt löste Scott in den sozialen Medien Begeisterungsstürme aus. Hier ein paar Stimmen:
Marjorie Taylor Greene, Mitglied des Repräsentatenhauses, stiess am Konvent ins gleiche Horn: «Vor zwei Tagen kam das Böse für den Mann, den wir so sehr bewundern und lieben. Ich danke Gott, dass er seine Hand über Präsident Trump gehalten hat.»
Nach dem Anschlag auf Trump quoll das Netz über mit ähnlichen Lobeshymnen auf Gott und seinen «treuen Diener» Donald Trump.
Man kann davon ausgehen, dass für viele fromme Amerikaner Gott auch Regie führte, als Joe Biden Anzeichen für Demenz oder Parkinson zeigte. Sie haben deshalb nicht die geringsten Zweifel, dass Trump definitiv in der Gnade Gottes steht und die Wahlen grandios gewinnen wird. So klar, dass selbst Wahlfälschungen den Sieg ihres Helden nicht verhindern können. «God save America, Amen.»
Senator Scott träumt von einem Gottesstaat: «Wir müssen die Geschichte unserer Verfassung erzählen, dass der Erste Zusatzartikel geschrieben wurde, um die Kirche vor dem Staat zu schützen, nicht den Staat vor der Kirche», sagte er kürzlich.
Die Zeitschrift «Wired» formulierte es so: «Scott, ein Mann, der einst die Zehn Gebote buchstäblich an die Wand eines Regierungsgebäudes gehämmert hat, ist einer von Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Gesetzgebern, religiösen Führern und Influencern, die den ehemaligen Präsidenten Donald Trump als eine Art göttliche Figur dargestellt haben.»
Tatsächlich streben viele Pastoren und Freikirchen einen Gottesstaat an und hoffen auf die Unterstützung von Trump. Ein Ansinnen, das durchaus auf der Linie des Präsidentschaftskandidaten liegt. Dann wäre Trump ein Präsident von Gottes Gnaden und würde möglicherweise auf Lebzeiten gewählt.
Allerdings müsste dann die Verfassung gründlich umgekrempelt werden. Zum Stolperstein würde dabei exakt jener Verfassungsartikel, den die Freikirchen einst mit aller Kraft durchgepeitscht hatten: Die Religionsfreiheit.
Das hat folgenden Zusammenhang: Die Täufer und Menoniten wurden im 18. und 19. Jahrhundert in weiten Teilen Westeuropas und der Schweiz verfolgt, weil sie sich separiert und in Freikirchen organisiert hatten. Sie flohen in die USA und befürchteten, dort ebenfalls nicht willkommen zu sein. Um sich rechtlich abzusichern, waren die erzkonservativen und gläubigen Einwanderer politische Vorreiter und kämpften erfolgreich für die Glaubensfreiheit.
In ihrem Machtrausch ist heute ausgerechnet den freikirchlichen Pastoren und Ältesten dieser fortschrittliche Verfassungsartikel ein Dorn im Auge, den sie umformulieren oder abschaffen möchten. Dann könnten sie Abtreibungen überall verbieten, die Schulen christlich gestalten, die Evolutionslehre kippen, gegen Homosexuelle vorgehen, Pornographie verbieten, die Waffenpolitik noch mehr liberalisieren, Gerichte und Gesetze umbauen und bei allen politischen Entscheiden biblische Grundsätze und die zehn Gebote Gottes berücksichtigen.
Viele amerikanische Christen sind nach dem Attentat auf Trump in eine Hysterie verfallen. Der Personenkult erinnert an Teenies, die zu kreischen beginnen, wenn ihr Musikstar auftritt. Oder Sektenanhänger, die ihren Führer verehren. Erklären lässt sich das verstörende Phänomen vermutlich damit, dass viele Freikirchler in Trump den neuen Heiland erkennen oder zumindest als Gesandten Gottes vergöttern. Deshalb ist ihnen die Trennung von Kirche und Staat in der aktuellen politischen Situation ein Graus, streben sie doch die politische Macht an.