Er war ein hartgesottener Bigboss von Scientology, bis er die Nase voll hatte von der amerikanischen Sekte. Nachdem er ausgestiegen war, packte er aus und kämpfte mit dem gleichen Biss gegen das Sektenimperium an. Nun ist Mike Rinder im Alter von 69 Jahren an Speiseröhrenkrebs gestorben.
Er verabschiedete sich mit dem Bekenntnis: «Mein einziges wirkliches Bedauern ist, dass ich nicht erreicht habe, was ich mir vorgenommen hatte – die Missbräuche von Scientology zu beenden.»
Dank seiner steilen Karriere und seiner anschliessenden Aufklärungskampagne konnte er ein Sittenbild der Sekte zeichnen, das einen tiefen Einblick in die menschenverachtenden Praktiken von Scientology erlaubt. Zum Vorschein kam ein System von Macht, Intrigen, Demütigungen und Misshandlungen.
Der Australier Mike Rinder kam 1982 über seine Eltern zur amerikanischen Bewegung. Damals lebte der Gründer L. Ron Hubbard noch. Rinder stieg in der Hierarchie rasch auf und war bald die Nummer zwei der Sekte. Gefördert wurde er auch vom Hubbard-Nachfolger David Miscavige, der den Eifer und das Organisationstalent des Australiers rasch erkannte.
So war Rinder schliesslich Chef der Eliteeinheit «Sea Organisation», Vorstandsmitglied der «Church of Scientology International», Executive Director des Office of Special Affairs, eine Art Geheimdienst der Sekte. In dieser Funktion war er auch für die Öffentlichkeitsarbeit und die Rechtsfragen zuständig.
Keiner hatte einen so tiefen Einblick in die Sektenzentrale wie er. Und er leistete ganze Arbeit. Eigentlich hätte Miscavige dankbar sein müssen, einen Mann fürs Grobe an seiner Seite zu haben. Doch der Sektenboss hat offenbar einen auffälligen Charakterzug, wie Mike Rinder später enthüllte. Er scheint jähzornig und unbeherrscht zu sein.
Er sei mehrere Dutzend Male von Miscavige geschlagen oder mit den Füssen getreten worden, erklärte Rinder nach seinem Ausstieg. Ausserdem habe ihn der Sektenchef manchmal blutig geschlagen. Dabei sei er sich als Boxsack vorgekommen.
Wie andere Kaderleute habe er die Wutausbrüche von Miscavige ebenfalls widerstandslos über sich ergehen lassen, weil er sonst noch härtere Bestrafungen hätte erdulden müssen, sagte Rinder. Das Szenario reicht bei der Sekte vom Putzdienst bis zur Einweisung ins eigene Straflager RPF. Auch für ranghohe Scientologen.
Nach 25 Jahren – also 2007 – hatte Rinder genug. Es war nicht eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen, sondern eine Flucht im Streit. Das Schlüsselerlebnis hatte er nach einer «Mission Impossible» – frei nach dem bekanntesten Sektenmitglied Tom Cruise: Miscavige befahl Rinder, den englischen Autor und Dokumentarfilmer John Sweeneys, der einen Film über Scientology drehte, zu «neutralisieren».
Rinder flog nach London und hätte die Premiere verhindern sollen. Bei der Konfrontation behauptete der Filmemacher, Rinder werde von Miscavige missbraucht, müsse dies aber leugnen. Der Scientologe stritt es zwar ab, aber er erkannte, dass Sweeneys die Wahrheit sagte. Als Rinder nach seiner erfolglosen Mission von Miscavige gerüffelt wurde, weil er den Film nicht stoppen konnte, ergriff er die Flucht.
Danach sagte der hochrangige Aussteiger: «Wenn die Kirche entschied, dass jemand ein Feind war und zum Schweigen gebracht oder zerstört werden musste, war es meine Aufgabe, und ich tat es.»
Er hatte von dieser Drecksarbeit genug und wollte in Ruhe ein gutbürgerliches Leben führen. Als er 2009 von der St. Peterburg Times eine Anfrage für ein Interview erhielt, lehnte er ab. Kurz darauf bekam er Besuch von zwei Scientology-Anwälten, die wissen wollten, was die Journalisten gefragt und was er im Interview geantwortet habe.
Nun war Rinder klar, dass er überwacht wurde. Bei dieser unschönen Begegnung spürte er, was die Spitzelmethoden für Opfer bedeuten. Er ging in sich und rief danach die Zeitung an. Er sei nun bereit, auszupacken, sagte er der Redaktion.
Damit hatte er die Büchse der Pandora geöffnet und wurde zur Zielscheibe des Scientology-Geheimdienstes. Von da an widmete er sein Leben dem Kampf gegen die Sekte. Dabei bekam er breite Unterstützung von anderen hochrangigen Sektenmitgliedern, die ebenfalls den Ausstieg gewagt hatten. Unter ihnen manche Prominente.
Seine wichtigste Kampfgefährtin wurde die bekannte Schauspielerin und Aussteigerin Leah Remini. Rinder wurde nun für viele Medien die wichtigste Quelle für Enthüllungsstories. Er trat auch oft bei TV-Sendern auf und unterstützte Dokumentationen über Scientology.
Zusammen mit Leah Remini moderierte er von 2016 bis 2019 die A&E-Dokumentarserie: «Scientology and the Aftermath», die den Emmy Award erhielt und ein grosses Publikum erreichte. Die beiden zeigten die Missbräuche und unmenschlichen Praktiken der Sekte auf. Anschliessend unterhielten sie einen Podcast und einen Blog über Scientology. Ausserdem schrieb Rinder das Buch «A Billion Years: My Escape From a Life in the Highest Ranks of Scientology».
Die Sekte versuchte vergeblich, Rinder mit ihren Einschüchterungsmethoden auszubremsen. Sie stritt seine Informationen und Anschuldigungen kategorisch ab und erklärte: «Mike Rinder ist ein eingefleischter Lügner, der von seiner Unehrlichkeit profitieren will.» Er belästige seine ehemalige Kirche und ihre Führer mit falschen Polizeiberichten, aufrührerischer Propaganda und betrügerischen Mediengeschichten.
Mike Rinder kann für sich in Anspruch nehmen, dass seine Aktionen der Sekte massiv geschadet haben: Er hat die Austrittswelle bei Scientology befeuert.