Die Nachricht platzte vergangene Woche mitten in das Sommerloch: Microsoft entlässt weitere 9000 Angestellte. Damit hat das nach Nvidia wertvollste Unternehmen der Welt allein in diesem Jahr über 15'000 Stellen gestrichen. Bereits 2023 fielen rund 10'000 Jobs weg.
Erneut hart getroffen wird die Gaming-Sparte, die seit langem als Sorgenkind gilt. Die Xbox-Verkaufszahlen befinden sich beinahe im freien Fall. Erhoffte Blockbuster-Games kamen oft verspätet und blieben teils hinter den Erwartungen zurück. Zudem hat sich Microsofts milliardenschwere Wette auf den Gaming-Abo-Dienst Xbox Game Pass bisher nicht ausgezahlt. Der Tech-Gigant übernahm in den vergangenen Jahren für über 70 Milliarden US-Dollar Dutzende Game-Studios von Activision Blizzard («Call of Duty») und Bethesda («Doom», «The Elder Scrolls»), um sein Gaming-Abo attraktiver zu machen. Trotzdem bleiben die Abonnentenzahlen hinter den Erwartungen zurück.
Dass die Konzernführung in der Gaming-Sparte die Sparaxt weiter anlegt, war deshalb absehbar. Wachstum und Profitabilität hinken anderen Unternehmensbereichen seit Jahren hinterher. Das Ausmass des jüngsten Abbaus überrascht dennoch viele.
Angestellte, die über ein Jahrzehnt in der Xbox-Abteilung gearbeitet haben, wurden laut Medienberichten geschasst. Legendäre Führungskräfte wurden freigestellt, diverse Projekte eingestellt, ein ganzes Game-Studio geschlossen und andere Teams so stark ausgedünnt, dass sie wohl nur noch bisherige Games aktuell halten können, aber keine neuen Spiele mehr entwickeln werden.
Berichte über angeblich chaotische Entlassungen bei den Zenimax Online Studios, die für «The Elder Scrolls Online» bekannt sind, werfen ein schlechtes Licht auf Microsoft: «Ein Beispiel dafür, wie schlampig und chaotisch die heutige Massenentlassung bei Xbox verlaufen ist, ist die plötzliche Sperrung der Slack-Konten einiger Mitarbeiter der Zenimax Online Studios», schrieb der Bloomberg-Journalist Jason Schreier. «Keine Nachricht von der Personalabteilung, kein Wort darüber, ob sie noch einen Job haben, nur eine ominöse Slack-Deaktivierung.» Die Angestellten hätten zunächst aus den Medien von den Entlassungen erfahren.
Phil Spencer, der Chef von Microsoft Gaming, erklärte in einer internen E-Mail an die Belegschaft: «Um Gaming für dauerhaften Erfolg zu positionieren und uns auf strategische Wachstumsbereiche zu konzentrieren, werden wir die Arbeit in bestimmten Geschäftsbereichen einstellen oder reduzieren.»
Es handelt sich um die vierte Kündigungswelle in der Xbox-Sparte seit dem vergangenen Jahr: «Anfang 2024 wurden von rund 22'000 Xbox-Mitarbeitern 1900 entlassen. Im Mai des Jahres schloss Microsoft mehrere Spielestudios, bevor im September bei der Xbox-Abteilung weitere 650 Arbeitsplätze wegfielen», rechnet das Tech-Portal Heise vor.
Die wiederholten Entlassungswellen hätten «die Arbeitsmoral stark beeinträchtigt», berichtet Microsoft-Experte Tom Warren, der sich auf Aussagen mehrerer Angestellter beruft. Gegenüber dem Tech-Portal Engadget sagte ein Xbox-Spieleentwickler, er sei «super sauer», dass Xbox-Chef Spencer «in seiner E-Mail an uns damit geprahlt hat, dass dies für Xbox das profitabelste Jahr aller Zeiten war, und gleichzeitig die Entlassungen angekündigt hat».
Angesichts der Rekordgewinne – allerdings aus anderen Unternehmensbereichen –, die Microsoft regelmässig verzeichnet, stösst die neue Entlassungswelle bei Xbox-Fans auf wenig Verständnis. Auf die Palme bringt viele, dass Microsoft den milliardenschweren Ausbau der KI-Infrastruktur mit Kostensenkungen im Gaming-Bereich finanziere.
Gamer rufen daher zum Boykott von Microsoft-Produkten auf. Man solle von Windows auf Linux umsteigen und insbesondere Microsofts Gaming-Abo Xbox Game Pass kündigen. Dies soll den Tech-Konzern dort treffen, wo es schmerzt: bei den Einnahmen aus dem Abo-Geschäft.
Auf Online-Plattformen wie Reddit schreiben Spielerinnen und Spieler, sie wollten kein Unternehmen unterstützen, das talentierte Entwickler entlässt, obwohl es aberwitzige Gewinne erziele. Sie werfen dem Konzern vor, die Gaming-Abteilung auszubluten, während Dutzende Milliarden in KI-Luftschlösser investiert würden.
Wenig hilfreich war auch die Kommunikation eines Xbox-Managers, der seinen entlassenen Kollegen auf Linkedin riet, künstliche Intelligenz wie Microsofts KI-Tool Copilot zu nutzen, um die «emotionale und kognitive Belastung durch den Jobverlust zu reduzieren».
Die Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten. Ein entlassener Kollege antwortete: «Um Himmels willen, merkst du denn nicht, was hier los ist.» Der Linkedin-Post mit dem missglückten Ratschlag wurde nachträglich gelöscht, ist im Netz aber weiter auffindbar.
Die jüngste Entlassungswelle bedeutet nicht das Ende der Xbox. Microsoft hat eben erst eine neue Xbox-Konsole angekündigt und ist dafür eine «strategische, mehrjährige Partnerschaft» mit Chip-Entwickler AMD eingegangen. Die Entlassungen betreffen einige Game-Studios, aber nur am Rande die Hardware-Abteilung, welche die neue Konsole entwickelt.
Matt Booty, Leiter der Xbox Game Studios, bestätigte zudem, dass sich weiterhin mehr als 40 Spiele in der Entwicklung befinden. Die Xbox ist nicht tot, aber bei Microsoft muss sich mehr denn je alles der Cloud- und KI-First-Strategie unterordnen.
Microsoft-Chef Satya Nadella baut den Windows-Konzern seit vielen Jahren zum Cloud- und KI-Konzern um. Abteilungen, die nicht in diese Vision passen oder die internen Ziele nicht erreichen, werden eingestampft (Windows Phone, VR-Brillen) oder zurückgestutzt (Xbox, Surface).
Microsoft spricht nach der jüngsten Entlassungsrunde von «organisatorischen Veränderungen», die notwendig seien, um das Unternehmen und seine Teams «in einem sich wandelnden Marktumfeld gut zu positionieren». Die Kürzungen sollen weniger als vier Prozent der Belegschaft treffen und man passe regelmässig die Mitarbeiterzahl an strategische Prioritäten an.
Im Klartext heisst dies, dass alle Bereiche bei Microsoft – auch die Gaming-Sparte – sparen müssen und finanzielle Mittel vorrangig in KI-Projekte fliessen. Microsoft investiert in grossem Stil in Rechenzentren für künstliche Intelligenz. Im letzten Geschäftsjahr waren dafür Ausgaben von rund 80 Milliarden Dollar geplant.
Nadellas Wette auf KI kann aufgehen. Microsoft als Gaming-Unternehmen hat nach den wiederholten Entlassungen aber ein Glaubwürdigkeitsproblem, da Xbox-Spieler zunehmend zweifeln, ob angekündigte Spiele wirklich je erscheinen werden.
Relativierend sei erwähnt: Microsoft hat zuvor sein Personal jahrelang massiv aufgestockt. 2024 arbeiteten bei Microsoft insgesamt 228'000 Menschen, 63 Prozent mehr als 2019. Allein die Xbox-Abteilung beschäftigt selbst nach den Entlassungen noch immer mehr als doppelt so viele Menschen wie Nintendo.
Nicht nur Microsofts Gaming-Abteilung muss Federn lassen. Seit dem Ende der Corona-Pandemie stagniert die Game-Industrie als Ganzes. In den vergangenen Jahren mussten branchenweit zahlreiche Game-Studios ihre Pforten schliessen, etwa 40'000 Menschen verloren ihre Stelle.
Das Problem: Die Spieler verbringen weniger Zeit mit Games und immer mehr Spieler spielen über Jahre ausschliesslich einige wenige Titel wie «Fortnite» oder «GTA Online», die laufend neue Inhalte erhalten. Andere beschränken ihr Zeitbudget auf eine Spiele-Plattform wie Roblox.
Als Konsequenz ist die Nachfrage nach neuen, eigenständigen Veröffentlichungen zurückgegangen, und weniger Spieler sind bereit, regelmässig neue Spiele zu kaufen. Dieser Trend steht im Gegensatz zu früheren Jahren, als Spieler fast automatisch von einem grösseren Game zum nächsten wechselten. Einige wenige Anbieter profitieren von dieser Konzentration auf wenige Titel, während viele andere verlieren.
Parallel sind die Entwicklungskosten in den vergangenen 15 Jahren explodiert, während die realen Spielpreise sanken, wenn die Inflation berücksichtigt wird.
Die Game-Industrie stecke «in einem Teufelskreis fest», bilanziert Digital-Redaktor Guido Berger vom SRF.
Wie die Abwärtsspirale gestoppt werden kann, ist ungewiss. Microsoft versucht es auf dem klassischen Weg: Personal entlassen, Kosten senken. Gleichzeitig sollen KI-Tools die Spieleentwicklung beschleunigen.
Als ca Mitte 360-Ära der ganze Kinect-Schrott angefangen hat, begann der Abstieg.