Wer in den letzten Tagen auf der Gemeinde-Website www.reinach.ag war, hat möglicherweise seinen PC oder sein Smartphone in eine winzige kleine «Gelddruckerei» verwandelt – ohne es zu bemerken.
Möglich ist das wegen einer Software namens Coinhive, die auf www.reinach.ag eingeschleust wurde. Läuft dieses Javascript-Programm auf einer Website, zapft es die Rechenleistung von jedem Gerät an, das die Website besucht.*
Die Software tut das im Verborgenen, der Nutzer bemerkt davon nichts. Die Rechenleistung des angezapften PC oder Handy verwendet sie dann, um mit aufwendigen Rechenoperationen eine digitale Währung zu generieren (siehe Box unten).
In diesem Fall wurde nicht auf Bitcoin, sondern auf eine weniger bekannte Währung namens Monero gesetzt. Bei Nutzern macht sich das nur bemerkbar durch ein ohne erkennbaren Grund heiss laufendes Handy, einen deutlich langsameren Computer, einen höhere Stromverbrauch, weniger Akkulaufzeit. Betroffen sind schweizweit sechs bis zehn Domains.
Wer hinter dem Vorfall steckt, ist zur Zeit unklar. Bekannt ist nur, wie die Software auf der Website von Reinach gelandet ist: Offenbar haben Hacker eine Sicherheitslücke in einem Programm ausgenutzt, das auf www.reinach.ag läuft.
Dieses Programm namens Browsealoud hilft eigentlich dabei, die Website Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen besser zugänglich zu machen. So kann es zum Beispiel Blinden Inhalte vorlesen und sie mit der Menüführung vertraut machen.
Dieses Programm ist vor allem bei Behörden sehr beliebt und wird weltweit auf mehreren tausend Regierungsseiten eingesetzt. Der Hacker-Angriff hat nun dazu geführt, dass jede Website, die dieses Programm verwendet, potenziell betroffen ist.
Und unter diesen fast 5000 Seiten findet sich neben derjenigen der US-Gerichtshöfe oder der schwedischen Stadt Malmö eben auch jene von Reinach. Bekannt wurde der Angriff, nachdem ihn ein Sicherheitsexperte aufgedeckt hat.
Der Anbieter von Browsealoud spricht gegenüber Medien von einem Hackerangriff. Die betroffene Software sei umgehend aus dem Verkehr gezogen und durch eine sichere Version ersetzt worden. Während der Vorfall vor allem in Übersee grosse Wellen geworfen hat, blieb er in Reinach unbemerkt. Darauf aufmerksam gemacht wurde die Gemeinde erst durch die «Aargauer Zeitung».
«Der Betreiber unserer Website schätzt, dass nicht viel passiert sein könne», sagt Gemeindeschreiber Peter Walz nach kurzen Abklärungen. Er betont, dass üblicherweise ein Sicherungsmechanismus verhindere, dass fremde Programme auf der Seite ausgeführt werden.
Da Coinhive allerdings über eine als vertrauenswürdig eingestufte Software eingeschleust wurde, ist nicht ganz klar, ob der Sicherheitsmechanismus gegriffen hat. Gemäss Recherchen der «Aargauer Zeitung» wurde das Programm auch nach Bekanntwerden des Angriffs auf www.reinach.ag unverändert ausgeführt. Am Dienstagnachmittag war es dann von der Website verschwunden.
Die von Hackern eingeschleuste Software wird verschiedentlich von Unternehmen selbst auf ihren Websites platziert. Für dieses zweifelhafte Geschäftsgebaren anfällig sind vor allem Websitebetreiber, die Schwierigkeiten haben, Anzeigekunden anzulocken, zum Beispiel die Porno-Industrie.
Der Deal für sie ist simpel: 70 Prozent der Einnahmen gehen an den Betreiber der Website, der Rest an Coinhive. Im Falle von Reinach gingen die Einnahmen natürlich an die Hacker. Nach anhaltender Kritik an diesem dubiosen Geschäftsmodell von Coinhive läuft die neuste Version des Programms nur noch nach der ausdrücklichen Einwilligung des Nutzers. Das hält vorerst allerdings niemanden davon ab, einfach auf ältere Versionen zurückzugreifen, die vom Nutzer unbemerkt bleiben.
Und wie viel Geld wird dabei denn nun generiert? Das variiert von Gerät zu Gerät und von Tag zu Tag. Bei ein paar Minuten auf einer manipulierten Website entstehen nicht mehr als ein paar hundertstel Rappen.
Der Profit entsteht durch Masse: Aktuell sind tausende Websites und weit über hundert Millionen Nutzer betroffen. In Kombination mit der Wertsteigerung der heimlich generierten digitalen Währung entsteht ein veritabler Hebeleffekt.
Denn der Kurs der von Coinhive produzierten Währung namens Monero ist in den letzten 18 Monaten um gut 50'000 Prozent gestiegen – kein Schreibfehler. Unter dem Strich könnten ein paar hundertstel Rappen aus Reinach deshalb Teil von einem Vermögen über mehr als hundert Millionen Franken sein.
* Um sich beim Surfen vor Krypto-Mining-Angriffen zu schützen, gibt es verschiedene Massnahmen, abhängig vom Gerät, dem Betriebssystem und dem verwendeten Web-Browser. Zu empfehlen ist beispielsweise die Browser-Erweiterung uBlock. Wer mit Firefox oder Chrome surft, kann die Erweiterung «No Coin» installieren. Sie blockt solche Programme automatisch. Bei Opera ist ein ähnlicher Mechanismus bereits integriert.
(aargauerzeitung.ch)