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Dieser Strategiewechsel soll VW in China retten

ID. EVO, ID. AURA and ID. ERA
Trio für China: Diese drei E-Autos sollen auf dem Markt bestehen.Bild: Volkswagen AG

Dieser Strategiewechsel soll VW in China retten

Über 30 neue Modelle und ein ganzes Entwicklungszentrum nur für China: So will Volkswagen die Wende auf dem schwächelnden Markt schaffen.
29.09.2025, 09:3429.09.2025, 09:34
Christopher Clausen / t-online
Ein Artikel von
t-online

Lange war China für Volkswagen der Selbstläufer unter den Weltmärkten. Doch der Glanz vergangener Jahre ist verblasst. Die Auslieferungen der Kernmarke VW sanken zuletzt um mehr als acht Prozent, Audi liess zweistellig nach, Porsche verzeichnete sogar ein Minus von 28 Prozent. Währenddessen fährt die einheimische Konkurrenz vorneweg – mit niedrigeren Preisen, kürzeren Entwicklungszyklen und Fahrzeugen, die exakt auf die Bedürfnisse chinesischer Kunden abgestimmt sind.

Volkswagen will den Anschluss wiederherstellen: mit einem Strategiewechsel, der nicht weniger als eine Neuaufstellung bedeutet. Unter dem Leitmotiv «In China, für China» entwickelt der Konzern nicht mehr nur Autos für die spezifische Zielgruppe, sondern auch direkt vor Ort: günstiger, schneller, digitaler.

Ein neuer Kurs – nicht nur optisch

Im Zentrum der Neuausrichtung steht ein Technologie-Hub in Hefei. Rund 3000 Ingenieure entwickeln dort nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Plattformen und Software mit dem Ziel, Entwicklungszeiten um ein Drittel zu senken und die Kosten deutlich zu reduzieren.

Eine dieser Plattformen ist die Compact Main Platform (CMP), die speziell für den chinesischen Markt konzipiert wurde: stark lokalisiert und ausgelegt auf das preissensible Kompaktsegment, das in China das grösste Volumen verspricht.

Auftakt: Mit dem ID. Aura will VW preissensible Kunden ansprechen.
Auftakt: Mit dem ID. Aura will VW preissensible Kunden ansprechen. bild: vw

Ein erstes greifbares Ergebnis dieser Arbeit ist der ID. Aura. Das Konzeptfahrzeug wurde gemeinsam mit FAW-Volkswagen entwickelt. Es basiert auf der neuen Plattform und richtet sich an Kunden im A-Segment (kleinere Stadtautos). Das elektrische Stufenheckmodell setzt auf einen digitalen Assistenten mit KI-Unterstützung, Sprachsteuerung und nahtlos integrierter Infotainment-Steuerung.

ID. EVO
VW ID. Evo: Der Elektro-SUV lädt schnell und richtet sich an junge chinesische Kunden. Bild: Volkswagen AG

Neben dem ID. Aura präsentierte Volkswagen in Shanghai zwei weitere Showcars: den ID. Evo, einen vollelektrischen Full-Size-SUV auf 800-Volt-Basis von Volkswagen Anhui, der auf junge, urbane Käufer abzielt, und den ID. Era, einen geräumigen SUV mit Range-Extender von SAIC Volkswagen. Letzterer nutzt einen kleinen Benzinmotor als Generator, um die Batterie aufzuladen und so über 1000 Kilometer Reichweite zu ermöglichen. Dieses Konzept hat vor allem ländliche Regionen ohne flächendeckendes Ladenetz im Blick.

ID. ERA
Der ID. Era mit Range-Extender für über 1000 km Reichweite soll in ländlichen Gebieten ohne flächendeckendes Ladenetz punkten.Bild: Volkswagen AG

Die Neuausrichtung umfasst mehr als Technik und Preise. Sie betrifft auch das Produktverständnis. Der durchschnittliche Autokäufer in China ist 35 Jahre alt, lebt in der Stadt und erwartet, dass sein Fahrzeug ein digitaler Lebensraum ist. Anders als in Europa, wo sich viele Käufer weiterhin eine haptische Bedienung mit Tasten wünschen, setzen chinesische Kunden auf volldigitale Interfaces.

«In China muss sich das Fahrzeug in allen Funktionen ohne Knöpfe bedienen lassen. Zum Beispiel durch die Sprachsteuerung oder über einen digitalen Avatar», so Volkswagen-China-Chef Ralf Brandstätter. Funktionen wie Entertainment, Kommunikation oder assistiertes Fahren haben für viele Nutzer einen höheren Stellenwert als klassische Leistungsdaten.

Bis 2027 will Volkswagen in China mehr als 30 neue elektrifizierte Modelle auf den Markt bringen, viele davon auf CMP-Basis, zunehmend aber auch mit neuer regionaler Elektronikarchitektur, Over-the-Air-Updates und Fahrerassistenzsystemen mit teilautomatischen Funktionen.

Technologisch zurück – strategisch voraus?

Dass dieser Strategiewechsel notwendig ist, zeigt ein Blick auf die vergangenen Jahre. Mit dem Aufbau der Software-Tochter Cariad sollte VW technologisch unabhängiger werden, doch die selbst entwickelte Plattform kam zu spät und war zu fehleranfällig. Fahrzeuge wie der e-tron GT oder der Audi Q6 e-tron blieben in China hinter den Erwartungen zurück. Auch Modelle wie der separat für China gebaute ID.6 konnten keine grossen Erfolge erzielen.

Doppeltes Lottchen: In China bietet VW den ID.6 in den Varianten X und Crozz an.
Doppeltes Lottchen: In China bietet VW den ID.6 in den Varianten X und Crozz an. bild: vw

Jetzt sollen neue Allianzen helfen. Mit dem chinesischen Hersteller Xpeng baut Volkswagen eine strategische Partnerschaft aus. Geplant sind vier neue Elektromodelle auf CMP-Basis samt gemeinsamer E/E-Architektur. Ziel: geringere Entwicklungskosten und kürzere Zyklen. Überraschend: Die Kooperation soll künftig auch Plug-in-Hybride und sogar Verbrenner umfassen, obwohl Xpeng bislang als reiner E-Autohersteller auftrat. Für Volkswagen ist es ein Schritt, um das gesamte Produktportfolio effizienter zu gestalten.

Denn auch wenn der Fokus auf der Elektrifizierung liegt, bleibt der Verbrenner Teil der Strategie. «Zum einen verdienen wir dort die Mittel, um in neue Technologien zu investieren», erklärt Brandstätter. «Zum anderen werden im Jahr 2030 voraussichtlich immer noch rund 16 Millionen Fahrzeuge in China mit einem Verbrenner-Motor ausgestattet sein.» Denn: Während in den Städten E-Autos bald zur Mehrheit gehören, werden in ländlichen Regionen Verbrenner noch lange zum Alltag zählen.

Lokalisierung bis ins Einstiegssegment

Was Volkswagen in China künftig anders macht, zeigt sich besonders deutlich an der Marke Jetta. Seit 2019 eigenständig positioniert, war sie bislang im Verbrennerbereich aktiv. Nun folgt die Elektrifizierung. Bis 2026 sollen vier vollelektrische Jetta-Modelle auf den Markt kommen, zu Preisen um 12'000 Franken. Möglich wird das durch die CMP, deren Architektur auf niedrige Kosten und einfache Integration neuer Technologien ausgelegt ist.

Jetta VS5: Das Modell spricht eine klare Konzern-Designsprache und erinnert stark an Modelle von Seat oder Skoda.
Jetta VS5: Das Modell spricht eine klare Konzern-Designsprache und erinnert stark an Modelle von Seat oder Skoda. bild: vw-faw

Perspektivisch sind bis zu elf neue Modelle unter der Submarke geplant, darunter auch Plug-in-Hybride und Fahrzeuge mit Range-Extender. Mit der Gründung einer neuen Jetta-Gesellschaft wollen VW und FAW die Marke in der Provinz Sichuan verankern und langfristig auch für Exportmärkte fit machen.

Ein weitverzweigtes Netzwerk

Volkswagen ist in China über mehrere Gemeinschaftsunternehmen aktiv: FAW-Volkswagen im Norden, SAIC Volkswagen im Süden und Volkswagen Anhui als jüngstes Projekt mit Fokus auf Elektromobilität. Für die Premiummarke Audi wurde zudem ein separates Joint Venture gegründet: die Audi FAW NEV Company. Insgesamt betreibt der Konzern mehr als 30 Produktionsstätten im Land und beschäftigt rund 90'000 Menschen.

Diese Struktur ermöglicht eine breite Marktabdeckung, ist aber auch komplex. Unterschiedliche Beteiligungsverhältnisse, Plattformstrategien und Partnerinteressen machen die Koordination anspruchsvoll. Dass Volkswagen nun stärker auf lokale Entwicklung und lokale Lieferketten setzt, ist auch eine Reaktion auf diese Ausgangslage: mehr Kontrolle, mehr Geschwindigkeit, weniger Abhängigkeit von zentralen Konzernstrukturen in Deutschland.

Elektroauto

Ob die neue Strategie aufgeht, bleibt abzuwarten. Klar ist: Volkswagen setzt mehr als je zuvor auf den chinesischen Markt und auf dessen Tempo, Technologieverständnis und Preisniveau. Die drei Konzeptfahrzeuge geben einen ersten Eindruck davon, wie sich das Unternehmen positionieren will. Und sie machen deutlich: Es geht nicht nur um neue Autos, sondern um ein neues Selbstverständnis.

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