Der Präsident gab sich staatsmännisch. In seiner kurzen Ansprache aus dem Oval Office am Sonntagabend appellierte Joe Biden an die Einheit der Nation. Und für eine weniger aufgeheizte politische Debatte: «Wir sind keine Feinde.» Es war die adäquate Reaktion auf das Attentat vom Samstag, das die Vereinigten Staaten in ihren Grundfesten erschüttert hat.
Wirklich überrascht über die Schüsse auf Donald Trump in Pennsylvania war kaum jemand. Dennoch waren sie ein Schock. Hätte Trump den Kopf nicht im richtigen Moment gedreht, wäre er wohl tot. Nun gibt auch er sich versöhnlich. «Ich will versuchen, das Land zu einen», sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat im ersten Interview nach dem Anschlag.
Trump wäre aber nicht Trump, wenn er dieses Bekenntnis nicht sogleich relativiert hätte: «Aber ich weiss nicht, ob es möglich ist. Die Menschen sind sehr gespalten.» Daran trägt niemand mehr Verantwortung als der Ex-Präsident mit seinen Dauerlügen, hetzerischen Reden und seiner anhaltenden Weigerung, die Wahlniederlage von 2020 anzuerkennen.
Ob sich das jetzt ändern wird? Schwer vorstellbar, eigentlich unvorstellbar. Sicher ist nur: Der Parteikonvent der Republikaner diese Woche in Milwaukee (Wisconsin) wird nach dem Attentat nicht bloss zu einer Krönungsmesse für Donald Trump, sondern zur eigentlichen Heiligsprechung für den offensichtlich von Gott auserkorenen Erlöser der Nation.
Die Demokraten werden es schwer haben, dieses Narrativ zu kontern. Sie haben ihre Attacken auf Trump vorerst gestoppt. Auch die Frage, ob Joe Biden weitermachen soll, dürfte zumindest für die Dauer des republikanischen Parteitags in den Hintergrund rücken. Sie hat seit Bidens verheerender Debatten-Performance die USA in Atem gehalten.
Dabei drängt die Zeit. Vom 19. bis 22. August werden die Demokraten in Chicago ihre Nominationsversammlung durchführen. Bis dann muss geklärt sein, ob sie mit dem Amtsinhaber in die Wahl am 5. November ziehen werden. Oder ob sie mit einem neuen, frischeren Gesicht antreten wollen. Diese Frage stellt sich nach dem Attentat mehr denn je.
Vorerst werden alle Augen auf die Umfragen gerichtet sein. Es ist möglich, dass sich der Auftrieb für Donald Trump in Grenzen halten wird. Auch Biden erlebte nach dem Debatten-Desaster nicht den befürchteten Absturz. Daran klammern sich der US-Präsident und seine Entourage. Letztlich zeigt sich daran aber nur die tiefe Spaltung des Landes.
Die Republikaner jedenfalls wünschen sich keinen anderen Gegner als den körperlich und mental angeschlagenen Joe Biden. Sie hielten sich in der Frage, ob der 81-Jährige als Kandidat noch tragbar ist, auffällig zurück, auch Donald Trump. In Milwaukee dürften sie Biden politisch hart angehen, auf der persönlichen Ebene aber schonend behandeln.
Das verstärkt das Dilemma der Demokraten, denn diese Problematik wird sich in den knapp vier Monaten bis zur Präsidentschaftswahl weiter verschärfen, aus zwei Gründen. Da ist einmal die Ikonografie. Das Foto, das Trump nach dem Anschlag mit erhobener Faust zeigt, im Hintergrund die amerikanische Flagge, ist an Symbolkraft kaum zu überbieten.
Der Kontrast zum tattrigen Joe Biden ist augenfällig. Der Präsident bewegt sich zunehmend roboterhaft (kein Wunder, gibt es Gerüchte über eine Parkinson-Erkrankung). Er verliert öfter mal die Orientierung und muss offenbar mit Fotos auf den richtigen Weg gewiesen werden. Hinzu kommen seine Aussetzer, die an seiner geistigen Fitness zweifeln lassen.
Dabei steht der eigentliche Härtetest noch bevor. Nach dem Labor Day Anfang September beginnt in der Regel die heisse Phase des Wahlkampfs. Sie ist ein Stressprogramm, wie ich 2012 vor Ort erlebt hatte, als Barack Obama gegen Mitt Romney um seine Wiederwahl kämpfte. Während seiner Siegesrede in Chicago wirkte Obama müde und abgekämpft.
Er war damals 51-Jährig, körperlich und geistig topfit. Wie soll das ein 81-Jähriger aushalten, der in den letzten Monaten offensichtlich abgebaut hat und «nebenbei» wie damals Obama noch das Land regieren müsste? Der Kontrast zum vermeintlich unzerstörbaren Donald Trump könnte in den Köpfen der Leute durchaus etwas auslösen.
Ein Wahlsieg von Trump ist nicht so sicher, wie es in einigen Kommentaren nun heisst. Aber dafür müssten die Demokraten Joe Biden ersetzen, durch Kamala Harris oder wen auch immer. Die Frage ist, ob sie dazu die Kraft haben. Die Vergangenheit stimmt nicht sehr zuversichtlich. Zu oft haben die Demokraten Idealismus über Pragmatismus gestellt.
Die grossen Parteispender könnten hier ein entscheidendes Wort mitreden. Und vielleicht sieht Biden selbst ein, dass sich das Momentum nach dem Attentat auf Trump in einer Weise verschoben hat, bei der er fast nur verlieren kann. Die nächsten Wochen werden für die Wahl – und das Schicksal der amerikanischen Demokratie – entscheidend sein.
Er tut jedoch alles, um im Amt zu sterben und halst dem Land lieber Trump auf, als einzusehen, dass er mit seinen 286 Jahren keinen attraktiven Kandidaten darstellt. Ziemlich egoistisch.