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Hillary Clinton für ihre Garderobe, Frisuren und Stimme zu kritisieren, ist sexistisch und verstellt den Blick auf wirklich problematische Aspekte in ihrer Persönlichkeit. So stand es an dieser Stelle kürzlich. Einige Leser waren mit dieser Darstellung nicht ganz einverstanden: Clintons Äusserlichkeiten seien schon lange kein Thema mehr. Ihre Tendenz, die Unwahrheit zu sagen und opportunistisch ihre Positionen zu wechseln hingegen schon. Und eine Kriegstreiberin sei sie auch noch.
Bei näherem Hinsehen unterscheidet sie sich in diesen Punkten kaum von ihren (amerikanischen) Berufskollegen. Wer es nicht glaubt, dem sei politifact.com ans Herz gelegt. Die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Faktencheck-Website überprüft Aussagen prominenter US-Politiker auf ihren Wahrheitsgehalt. Ein Vergleich der Profile von Hillary Clinton, Bernie Sanders und Barack Obama legt den Schluss nah, dass sich alle von Zeit zu Zeit die Fakten zurecht biegen.
Dasselbe gilt für wechselnde Positionen: Eine Google-Suche mit dem Namen eines beliebigen US-Politikers und dem Stichwort «flip flops» spuckt zuverlässig entsprechende Listen und Videobeweise aus. Möglich, dass einige ihre Ansichten öfter und opportunistischer ändern als andere. Möglich, dass die Bernie Sanders und Jeremy Corbyns dieser Welt ihren Idealen in der Regel treuer bleiben. Sie bezahlen dafür aber auch einen Preis: Sie werden nie in ein Exekutiv-Spitzenamt gewählt.
Zum Vorwurf der Kriegstreiberin: Tatsächlich stimmte Hillary Clinton 2002 als Senatorin für die Irakkriegs-Resolution. Doch sie bewegte sich damit im Mainstream der US-Politik, zumal eine Mehrheit der demokratischen Senatoren dafür stimmte, darunter der heutige Aussenminister John Kerry sowie Vizepräsident Joe Biden.
Wesentlich weiter aus dem Fenster wagte sie sich 2011 mit ihrem Lobbying für ein militärisches Eingreifen in Libyen. Das Land versinkt seither im Chaos und ist zum Aussenposten des «IS» geworden. Nachher ist man immer klüger und hätte die Euphorie des Arabischen Frühlings nüchtern-zynisch als Schnellzug vom Regen in die Traufe erkennen müssen. Obama hätte besser auf seinen Verteidigungsminister, nationalen Sicherheitsberater und Vizepräsidenten gehört. Alle drei waren gegen eine Intervention.
All dies disqualifiziert Hillary Clinton nicht, Präsidentin der USA zu werden. Viel schwerer wiegt ihre Intransparenz und bisweilen paranoid anmutende Geheimniskrämerei. Die Affäre um ihren privaten E-Mail-Server, über den sie als Aussenministerin auch vertrauliche E-Mails verschickte, ist das neueste und wahrscheinlich schwerwiegendste Beispiel für diese Charaktereigenschaft. Doch es gibt weitere:
Clinton weigert sich, den Inhalt ihrer grosszügig dotierten Vorträge vor der Investmentbank Goldman Sachs zu veröffentlichen. Ihre Gegner, darunter während den Vorwahlen ihr innerparteilicher Widersacher Bernie Sanders, spekulieren, sie habe etwas zu verbergen. Gleichzeitig muss man ihr attestieren, dass sie ihre Steuererklärungen der letzten Jahre ohne Murren offenlegt – im Unterschied zu Bernie Sanders.
Hillary Clinton gibt kaum Pressekonferenzen. Die letzte fand vergangenen Freitag statt, die vorletzte im Dezember 2015. Mit ein Grund für diese Zurückhaltung dürfte ihr Unbehagen sein, in einer relativ unkontrollierten Umgebung auf die E-Mail-Affäre angesprochen zu werden. Dies wurde an besagtem Freitag sehr deutlich. Doch selbst eine Gefälligkeitsfrage wie «Was ist die bedeutendste Unterhaltung, die Sie je mit einem afro-amerikanischen Freund geführt haben?» beantwortete sie lieber ausweichend, statt mit einer knackigen Anekdote zu punkten.
Neu ist dieses Verhalten keineswegs. Als First Lady der USA liess sie als erstes den Zugang zu ihrer Diplomarbeit von 1969 sperren. Darin hatte sie die Methoden des Bürgerrechtlers Saul Alinsky analysiert, der als Begründer des Community Organizing gilt. Konservative Kritiker hofften, dort Anhaltspunkte für radikale Ansichten Hillary Clintons zu finden – und wurden durch die Sperrung erst recht motiviert. Nach dem Ende der zweiten Amtszeit ihres Mannes 2001 wurde das Dokument wieder freigegeben. «Belastendes» Material konnte darin niemand finden. «Die Arbeit war gut, ihre Sperrung aber eine dumme politische Entscheidung», sagte ihr damaliger Betreuer später in den Medien.
Ganz grundlos ist die Geheimniskrämerei natürlich nicht. Jahrelang wurde das politische und private Leben der Clintons durch den berüchtigten Sonderermittler Ken Starr durchwühlt. Jahrzehntelang wurde sie persönlich und sexistisch angefeindet, und das nicht nur von politischen Gegnern, sondern auch von Teilen der Medien. Vor diesem Hintergrund entstand 1998 eines der bis heute berühmtesten Zitate Hillary Clintons:
Auf das Zitat angesprochen, sagte Clinton im Februar 2016, die Verschwörung existiere noch immer und sei finanziell noch besser aufgestellt als damals. Darauf präzisierte sie, dass der Begriff «Verschwörung» vermutlich nicht mehr korrekt sei, da sich alles in der Öffentlichkeit abspiele.
Aber aus dieser Aussage wird klar, dass sich Hillary Clinton in einem Krieg mit den Republikanern und konservativen Kräften fühlt, und das wohl nicht zu Unrecht. Das ist das eigentlich traurige an ihrer Geheimniskrämerei: Sie gründet zumindest teilweise im Hass der Rechten auf ihre Person. Sollte sie im November zur Präsidentin gewählt werden, müssen sich die Amerikaner auf mindestens weitere vier Jahre Grabenkämpfe gefasst machen. Vielleicht sogar noch schlimmer und lähmender als in den beiden Amtszeiten Barack Obamas.