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Analyse

Nach 1000 Tagen Krieg gegen Russland ist die Ukraine in der Defensive

A Ukrainian soldier installs a small national flag on a grassed area at the Independence Square in Kyiv, Ukraine, Wednesday, May 1, 2024, to commemorate his fellow soldier killed in a battle with the  ...
Ein ukrainischer Soldat trauert auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew um gefallene Kameraden.Bild: keystone
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1000 Tage Krieg: Warum die Ukraine nicht verloren ist

Nach bald drei Jahren hat die Ukraine kaum noch Optionen, um den Krieg gegen Aggressor Russland militärisch zu gewinnen. Besiegt ist das geschundene Land deswegen aber nicht.
19.11.2024, 04:5819.11.2024, 14:02
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Am Dienstag ist es 1000 Tage her, seit der russische Autokrat Wladimir Putin den Befehl zur Invasion der Ukraine gab. Nun beginnt der dritte Kriegswinter. Er droht in der Ukraine «besonders kalt und dunkel zu werden», so der österreichische «Standard». Denn russische Luftschläge haben die Energieversorgung hart getroffen, zuletzt am Wochenende.

Die Euphorie über die ukrainischen Rückeroberungen im ersten Kriegsjahr ist längst verflogen. Das geschundene Land kämpft mit Problemen beim Nachschub an Menschen und Material. Häufig wird die Schuld dafür pauschal dem Westen zugeschoben, doch die ukrainische Regierung hat zu lange mit der Rekrutierung neuer Soldaten gezögert.

Video: watson/Hanna Dedial

Viele junge Männer versuchen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Korrespondenten berichten von einer zunehmenden Erschöpfung und Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung. Dies und der Wahlsieg von Donald Trump in den USA könnte den Druck auf die Ukrainer erhöhen, einem «Frieden» mit Russland zuzustimmen, auch zum Preis von Gebietsverlusten.

Gescheiterter «Blitzkrieg»

Wahr ist aber auch, dass der Krieg für Russland bislang ein Fehlschlag war. Putin und seine Schergen glaubten in ihrer Verblendung, das Nachbarland in einem dreitägigen «Blitzkrieg» besiegen, sich einen beträchtlichen Teil des Territoriums im Osten und Süden einverleiben und in Kiew ein Marionettenregime installieren zu können.

Das ging schief. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zu einem Symbol des Widerstands geworden, auch wenn sein Image gelitten hat. Seine Hoffnung, die Schweiz könne eine globale Allianz gegen Russland zusammentrommeln, war ein Fehlschlag. Die «Friedenskonferenz» auf dem Bürgenstock lieferte schöne Bilder, blieb inhaltlich aber dürftig.

Verloren ist die Ukraine nicht, aber sie ist in jeder Beziehung in die Defensive geraten:

Die militärische Front

A Ukrainian tank of the 110th brigade moves through a field as it returns from a position at the frontline on Pokrovsk direction, Donetsk region, Ukraine, Wednesday, Sept. 18, 2024. (AP Photo/Evgeniy  ...
Ein ukrainischer Panzer an der Front bei Pokrowsk.Bild: keystone

Im August gelang es der ukrainischen Armee, mit dem Vorstoss in die russische Region Kursk Freund und Feind zu überraschen. Die Hoffnung, Russland werde einen Teil seiner Truppen aus dem Donbas abziehen, erfüllte sich jedoch nicht. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un unterstützte seinen Verbündeten Putin vielmehr mit mehreren Tausend Soldaten.

Die Ukrainer sollen je nach Schätzung rund die Hälfte des eroberten Territoriums wieder verloren haben. Gleichzeitig hat das russische Militär in den letzten Wochen und Monaten den Druck an der Ukraine-Front erhöht. Im Visier sind Kupjansk in der Region Charkiw und Pokrowsk, eine strategisch bedeutende Stadt in der Region Donezk.

Mehrfach wurde in westlichen Medien ihr drohender Fall heraufbeschworen. Dabei habe sich die Front «in den letzten Wochen kaum bewegt», berichtet «CH Media»-Kriegsreporter Kurt Pelda, der sich gerade in Pokrowsk aufhielt. Die Ukrainer hätten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, und sie seien «motiviert, die Verteidigung fortzusetzen».

Seine Einschätzung wird von renommierten Militäranalysten bestätigt. «Die Lage ist noch nicht katastrophal, weil sich die Ukrainer zäh verteidigen, aber prekär», sagte Franz-Stefan Gady vom Institute for International Strategic Studies (IISS) in London dem «Standard». Er sehe jedoch «keine unmittelbare Gefahr, dass die Front zusammenbricht».

Laut dem US-Analysten Michael Kofman, einem gebürtigen Ukrainer, hat Russland die strategische Initiative entlang der Frontlinie und «einen erheblichen materiellen Vorteil», wie er der «Kleinen Zeitung» sagte. Dieser habe sich jedoch «nicht als entscheidend» erwiesen und dem russischen Militär nicht ermöglicht, operative Durchbrüche zu erzielen.

Kofman bezweifelt, dass die russische Armee diese Intensität der offensiven Operationen bis 2025 aufrechterhalten kann. Jeden Tag soll Russland bis zu 2000 Soldaten verlieren, durch Tod, Verwundung, Gefangenschaft oder Desertion. Und ein grosser Teil der Ausrüstung besteht gemäss Kofman trotz Kriegswirtschaft aus Sowjetmaterial.

Die diplomatische Front

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat am letzten Freitag mit Wladimir Putin telefoniert. Einen Durchbruch brachte das Gespräch nicht. Beobachter sehen darin ein Wahlkampfmanöver. Scholz wolle die SPD bei der Bundestagswahl im Februar als «Friedenspartei» positionieren, was schon bei der Europawahl im Juni nicht funktioniert hat.

Wolodymyr Selenskyj reagierte verärgert. In einem Radiointerview jedoch hat der ukrainische Staatschef ebenfalls am Freitag erklärt, man wolle «alles tun, damit dieser Krieg nächstes Jahr endet», und zwar «mit diplomatischen Mitteln». Es müsse aber ein «Frieden durch Stärke» sein, hatte Selenskyj schon in seinem «Siegesplan» betont.

epa11629049 A handout picture made available by the Ukraine Presidential Press Service shows Ukrainian President Volodymyr Zelensky (L) and Republican presidential candidate Donald J. Trump (R), durin ...
Ende September traf sich Wolodymyr Selenskyj in New York mit Donald Trump.Bild: keystone

Es war wohl ein Fingerzeig an Donald Trump, der im Wahlkampf erklärt hatte, den Krieg «in 24 Stunden» beenden zu wollen. Er hat bereits mit Selenskyj und Putin telefoniert. Wie der designierte US-Präsident dies hinbekommen will, ist unklar. Marco Rubio und Mike Waltz, die für die Aussenpolitik zuständig sein sollen, sind nicht als «Friedenstauben» bekannt.

Für den Friedensforscher Alexander Graef von der Universität Hamburg ist es nicht sicher, dass der neue US-Präsident Kiew tatsächlich fallen lässt, wie er dem «Standard» sagte: «Gelingt es ihm nicht, den Krieg schnell zu beenden, ist Trump auch eine 180-Grad-Wende zuzutrauen. Die USA könnten dann ihre bisherige Unterstützung ausbauen.»

Der abtretende Präsident Joe Biden will darauf nicht warten. Er ist nach langem Zögern bereit, den Ukrainern den Einsatz von ATACMS-Raketen auf russischem Gebiet zu erlauben, wenn auch vorerst nur in Kursk. Und die Deutschen wollen zwar weiterhin keine Taurus-Marschflugkörper liefern, dafür aber ähnlich konstruierte Kamikazedrohnen.

Trotz Spekulationen über Verhandlungen: Derzeit stehen die Zeichen auf Eskalation. Wladimir Putin will vor Donald Trumps Vereidigung am 20. Januar 2025 offenbar auf dem Schlachtfeld vollendete Tatsachen schaffen, trotz der enormen Verluste. Eine weitere Teilmobilmachung wie 2022 aber wolle er «eindeutig nicht», sagte Michael Kofman.

In den 1000 Tagen seit Kriegsbeginn haben rund 1,3 Millionen Menschen Russland verlassen, schätzt das britische Verteidigungsministerium. Der grösste Teil will sich dem Kriegsdienst entziehen. Putin muss deshalb neue Soldaten mit immer mehr Geld «ködern». Gleichzeitig wird dadurch der Arbeitskräftemangel in der russischen Wirtschaft verstärkt.

Nach bald drei Jahren Krieg wirkt die Lage verfahren. Keine Seite hat einen klaren Vorteil, doch die Ukraine befand sich zuletzt in der Defensive. Moskau glaube noch immer, «seine politischen Ziele militärisch erreichen zu können», meint Alexander Graef. Für die Ukraine könne es deshalb auch ein Sieg sein, «wenn sie als Staat handlungsfähig bleibt».

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115 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MartinZH
19.11.2024 05:52registriert Mai 2019
Die Ukraine wurde viele Jahrzehnte lang von den Moskovitern kolonialisiert und unterdrückt. Doch das stolze Volk hielt der Russifizierung stand: Die Kultur, die Sprache sowie den Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit konnte Moskau nie vollends vernichten. 1991 ist die UA erwacht: Zwei Revolutionen waren nötig, um die Herrschaft Moskaus abzuwehren und zu besiegen. Und ein langer Krieg ist nötig, um die Freiheit und Unabhängigkeit erneut zu verteidigen. Die UA wird sich NIE MEHR vom Kreml unterjochen lassen. Die freie, demokrat. UA wird FÜR IMMER ein Teil von Europa sein. Slawa Ukrajini! 🇺🇦✌️
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Nixnutz
19.11.2024 06:14registriert Mai 2017
Sofern die Ukraine den Krieg ganz oder teilweise veriert, so dürfte der Flüchtlingsstrom nach Westeuropa diese Länder etwa gleich viel kosten wie die Militärausgaben, sprich zwei bis drei Prozent des BIP. Stellt euch schon mal da drauf ein.
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KLERUS
19.11.2024 05:58registriert Oktober 2021
Es war noch nie die Option, Russland direkt militärisch zu schlagen; dieses Narrativ habt ihr Medienschaffenden vor allem geschaffen. Es war immer das Ziel, durch die Form des 'Rückzugsgefechts' den Feind ausbluten zu lassen und ihn so zur Niederlage zu führen. Die schwächere Militärmacht/Verteidiger muss den Krieg nie gewinnen; sie darf ihn einfach nicht verlieren, und so zwingt man den Gegner letztlich zur Verhandlung oder zur kompletten Aufgabe seiner Ziele, indem er sich letztlich zurückzieht. Basisliteratur: 'Vom Kriege' von Carl von Clausewitz."
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