Tropische Wälder spielen für das weltweite Klima eine wichtige Rolle. Sie gelten als Puffer des Klimawandels, weil sie grosse Mengen des Treibhausgases CO₂ speichern. Allerdings nur dann, wenn sie mehr Treibhausgas speichern, als sie abgeben. Ausgerechnet beim grössten Regenwald im Amazonasgebiet ist dies nicht mehr der Fall. Im Mai 2021 berichteten Forscher um Yuanwei Qin von der University of Oklahoma in einer Studie, die in der Zeitschrift «Nature Climate Change» veröffentlicht wurde, dass in den letzten zehn Jahren rund 20 Prozent mehr CO₂ in die Atmosphäre freigesetzt worden sei, als absorbiert werden konnte.
Ursache ist gemäss den Forschern die fortschreitende Abholzung des grössten Regenwaldes. Eine entscheidende Rolle kommt dabei Brasilien zu, wo der grösste Teil des Amazonas-Regenwaldes steht.
Nachdem ab 2004 die Regenwald-Zerstörung durch diverse Gesetze zurückgefahren wurde, hat sie unter der rechtsnationalistischen Regierung um Jair Bolsonaro wieder stark an Fahrt aufgenommen.
Im September 2022 hat die Abholzung im Regenwald von Brasilien einen neuen Höchstwert erreicht. Allein in diesen 30 Tagen wurden rund 1455 Quadratkilometer Urwald vernichtet. Im Jahr 2022 steuert Brasilien zudem auf die höchste Rodungsfläche seit über 15 Jahren zu.
Seit Sommer 2015 wird die Abholzung mit den Deter-Satelliten zusätzlich auf Monatsbasis gemessen (siehe Infobox). Hier zeigt sich, was sich unter Bolsonaro änderte:
Weil 1455 Quadratkilometer schwer zu fassen sind, schauen wir uns das mal im Detail an und rechnen dann in Fussballfeldern.
Gemäss dem WWF ist der Regenwald Südamerikas 5,4 Millionen Quadratkilometer gross. Rund 60 Prozent davon befinden sich in Brasilien:
Die brasilianische Weltraumbehörde INPE hat zwei Satelliten-Methoden, um die Rodung des Regenwaldes zu messen: Deter und Prodes (siehe Infobox). Alle schwarzen Punkte auf der Karte zeigen, wo es seit 2018 zu Rodungen kam:
Gehen wir zurück zum September 2022. 1455 Quadratkilometer Regenwald-Fläche wurden bekanntlich gerodet. Nehmen wir ein Fussballfeld (FIFA-Standardgrösse 68x105 Meter) und rechnen diese Fläche in Quadratkilometern, kommen wir auf 0,007.
Das bedeutet, dass allein im September alle 13 Sekunden ein gesamtes Fussballfeld gerodet wurde. Und dies rund um die Uhr.
Rechnen wir das ganze auf eine Stunde, kommen wir auf 283 Fussballfelder, die innerhalb von 60 Minuten entwaldet wurden.
Allein an einem einzigen Tag verschwanden im Amazonas-Regenwald demnach 6792 Fussballplätze:
Da auch diese Grösse kaum mehr fassbar ist, nehmen wir die Champs Elysées in Paris zur Hilfe. Diese berühmte Pariser Strasse ist von Hauswand zu Hauswand ziemlich genau so breit wie ein Fussballfeld:
Wir nehmen die 6792 Fussballfelder, die im September täglich zerstört wurden und reihen sie aneinander. Das Ergebnis ist eine 713 Kilometer lange Schneise – so breit wie die Champs-Elysées – von Bern bis Berlin. An einem einzigen Tag wohlgemerkt.
Allein im ganzen September 2022 wurde also eine Champs-Elysées abgeholzt, welche ein halbes Mal um den Planeten führt (rund 21'400 Kilometer)
Während der Amtszeit von Jair Bolsonaro (seit Januar 2019) wurden bisher gemäss der Deter-Messmethode 35'000 Quadratkilometer Regenwald in Brasilien vernichtet. Würde man diese Fläche ebenfalls in Fussballfeldern aneinanderreihen, die Strecke würde 22-mal um den Erdball führen.
Oder anders ausgedrückt: In der fast vierjährigen Amtszeit von Bolsonaro wurde ungefähr die Schweiz ohne den Kanton Wallis abgeholzt.
Wie oben schon erwähnt, wurde viele Jahre deutlich mehr abgeholzt, als dies während der Amtszeit von Bolsonaro geschah. Doch dass Bolsonaro den Regenwald nicht schonte, zeigen die Zahlen. Im Jahr 2022 wurde so viel Wald zerstört wie seit 2007 nicht mehr. Für Klimaschützer ist deshalb die Wahl Lula da Silvas ein Segen. Ob und wie stark die Abholzung eingedämmt wird, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Hier nochmals die jährliche Abholzung seit 1988:
Grund für den Rückgang waren Moratorien und enge Überwachungen der Gesetze. So schränkte das brasilianische Waldgesetz (FC) die Rodung auf privaten Grundstücken ein. Seit 1996 dürfen Besitzer nur noch einen Fünftel ihres Landes roden. Das Problem dabei ist, dass nicht immer ganz klar ist, wem welches Land gehört. Eine andere Herausforderung ist die Überwachung der Vorschrift.
Immerhin sorgte das Umweltkataster Cadastro Ambiental Rural (CAR), welches die Besitztümer auflistet, dafür, dass zwischen 2014 bis 2018 eine Fläche von 8751 Quadratkilometer Wald geschützt wurden.
Auch weitere Massnahmen wie das Soja-Moratorium, welches 2006 verabschiedet wurde, trug zum Rückgang bei. Genauso wie die 2009 eingeführte Selbstverpflichtung von Rinderhaltern, Metzgern und der Regierung. Sie verbot den Handel mit Rindfleisch, das auf geschützten Flächen gehalten wird.
Unter Bolsonaro wurden die Gesetze gelockert und kaum mehr durchgesetzt. Die staatliche Universität Amapa schätzt, dass maximal fünf Prozent der Strafgelder bezahlt werden. Der Wahlsieg von Lula da Silva ist ein gutes Zeichen für den Regenwald Brasiliens. Er versprach eine Trendwende.
Der neue Präsident will den Umwelt- und Klimaschutz wieder stärken. «Lasst uns für eine Null-Abholzung kämpfen», sagte er in seiner Siegesrede und weiter: «Brasilien ist bereit, seine führende Rolle im Kampf gegen die Klimakrise wieder aufzunehmen und alle unsere Biome, insbesondere den Amazonas-Regenwald, zu schützen.» Schon während seiner Amtszeit von 2004 bis 2013 wurde die Entwaldung um 84 Prozent reduziert.
Ganz so einfach dürfte dies nicht werden. Im Senat wie auch im Kongress sieht er sich einer rechts-konservativen Mehrheit gegenüber. Und er selbst sorgte in seinen ersten beiden Amtszeiten für Entscheide, welche Umweltschützer stark kritisierten, wie etwa der Staudamm «Belo Monte».
Overton Window
stormcloud
Was für eine Enttäuschung. Die Menschheit lernt es einfach nicht. Jeder könnte einen kleinen Teil zum Schutz beitragen, ohne große Komforteinbußen. Aber nein, da läuft man lieber irgendwelchen "Trends" nach, egal wie Umweltschädlich die sind...
Martinus72