Der britische Brexit-Minister David Davis und der Brexit-Delegierte der EU, Michel Barnier, haben begonnen, die wichtigen Fragen zu verhandeln: Wie viel muss Grossbritannien für den Austritt bezahlen? Welche Rechte sollen EU-Bürger danach auf der Insel und umgekehrt haben? Und welche Grenzregelung zwischen Nordirland und Irland soll gelten?
Es geht also ums Eingemachte. Dabei hat die britische Delegation einen schweren Stand, denn sie ist zerstritten. Die führenden Vertreter der Konservativen Partei bekämpfen sich gegenseitig bis aufs Blut. Derweil hat Premierministerin Theresa May nicht nur keinen Plan, sie hat auch keine Autorität mehr.
Ob die Premierministerin den Tory-Parteitag im kommenden Herbst noch im Amt überleben wird, ist fraglich. Das Einzige, das sie retten kann, ist der erbitterte Kampf zwischen drei möglichen Nachfolgern: David Davis, Finanzminister Philip Hammond und Aussenminister Boris Johnson.
Der Nachfolgekampf ist mittlerweile zur üblen Schlammschlacht verkommen. Den Medien werden gezielt Indiskretionen zugespielt und genüsslich ausgeschlachtet. Die «Sunday Times» hat am vergangenen Wochenende eine Karikatur veröffentlicht, in der sich die drei gegenseitig erschiessen. Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary University in London, erklärt in der «Financial Times»: «Das letzte Mal haben sich die Torys vor 15 Jahren so bösartig bekämpft.»
Premierministerin Theresa May wird seit ihrer katastrophalen Wahlniederlage als «dead woman walking» bezeichnet. Sie wirkt ratlos und hat weder ihr Kabinett noch ihre Partei im Griff. «Wer in Grossbritannien lebt, fühlt sich derzeit wie verängstigte Kinder, deren Eltern sie verlassen haben, um sich in einem Kasino zu betrinken», beschreibt daher der «Guardian» die aktuelle Stimmung im Vereinigten Königreich.
Dabei war das Brexit-Referendum als Befreiungsschlag gedacht, mit dem die Briten ihre Souveränität wieder erreichen wollten. Das Resultat erweist sich nur als Desaster:
Eine knappe Mehrheit hat sich für etwas entschieden, dessen Konsequenzen sie nicht kannte. Eine neue Premierministerin hat ohne Detailkenntnisse die härteste Austrittsvariante gewählt und den Austrittsprozess eingeleitet, ohne eine vernünftige Ausgangsposition ausgearbeitet zu haben. 70 Tage später hat sie ihre komfortable Mehrheit mit einer unnötigen Neuwahl eingebüsst.
Um das Ganze noch komplizierter zu machen, hat in der Bevölkerung ein Stimmungswandel eingesetzt. Selbst die Hälfte der Brexit-Befürworter ist bereit, die Personenfreizügigkeit zu akzeptieren, wenn die EU im Gegenzug den Briten den Marktzugang gewährt. Das hat eine Umfrage von YouGov ergeben. «Landesweit sind doppelt so viele Wähler mit dieser Option bereit, obwohl das nicht mehr wäre als der Deal, den David Cameron ausgehandelt hat», schreibt dazu der «Guardian».
Die Briten bekommen nun den Fluch der bösen Brexit-Tat mit voller Wucht zu spüren. «Die Brexiters sind die Jakobiner der britischen Politik geworden», klagt Martin Wolf in der «Financial Times». «Ihr ideologischer Eifer hat die Konservative Partei zerstört und die britische Politik ins Elend getrieben. Das Resultat besteht darin, dass es keinen gängigen Rückzug vom Brexit gibt und auch keinen plausiblen Weg, ihn vernünftig zu gestalten.»