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3 Aspekte, die du vom EU-Gipfel mitnehmen kannst

3 Aspekte, die du vom EU-Gipfel mitnehmen kannst

29.06.2018, 10:2929.06.2018, 10:46
peter riesbeck, brüssel / watson.ch
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Es ist weit nach Mitternacht in Brüssel, als sich im Ratsgebäude eine dieser bekannten Gipfeltrauben bildet. In der Mitte steht dann meist ein Diplomat eines Mitgliedslandes und berichtet aus den Beratungen der Staats- und Regierungschefs. Dieses Mal deutet sich eine mögliche Lösung im Asylstreit an. Nicht zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, sondern zwischen den EU-Staaten und Italien.

Der neue italienische Regierungschef Giuseppe Conte will neue Regelungen für Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gerettet werden. Die Schiffe mit den Bootsflüchtlingen sollen nicht mehr nur allein in Italien anlanden, sondern auch in anderen Staaten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schlägt geschlossene Auffangzentren auf freiwilliger Basis auch in anderen EU-Staaten vor. Aber lange ist nichts entschieden. Noch blockiert Italien sämtliche Beschlüsse des Gipfels, auch zur gemeinsamen Verteidigungspolitik, dem Zollstreit mit den USA und zur Reform der Eurozone. 

Dann, gegen 4.30 Uhr am Freitagmorgen, diesmal keine Traube, sondern ein Tweet. Ratspräsident Donald Tusk verkündet eine Einigung.

Doch auf was eigentlich? Drei Aspekte aus einer langen Gipfelnacht in Brüssel.

Angela Merkels Suche nach eigenen Lösungen

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äussert sich nur knapp zum Ergebnis des Gipfels. Was sie aber sagt, hat es in sich:

  • In den Transitländern in Afrika soll es sogenannte Anlandezentren für Flüchtlinge geben. In Zusammenarbeit mit dem UNHCR sollen dort Asylanträge geprüft werden. Welche Länder kooperieren könnten, blieb unklar.
  • Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll schon bis 2020 massiv aufgestockt werden.

Die ganze Nacht haben die Politiker verhandelt. Italien stellt sich quer. Auch Merkels eigenes Ziel gerät in Gefahr: Mit anderen EU-Staaten über die Rückführung von Flüchtlingen zu verhandeln.

Die Bundeskanzlerin verhandelt in Brüssel deshalb über gegenseitige Verträge. Frankreich sagt seine Bereitschaft zur gemeinsamen Rückführung zu, ebenso Spanien und Griechenland, ja selbst die in der Flüchtlingspolitik so renitenten Ungarn. Es müsse bei der sogenannten Sekundärmigration «für Steuerung gesorgt werden», sagte Merkel am Freitagmorgen nach den nächtlichen Beratungen.

Die Kanzlerin hatte auf dem Gipfel eine Kehrtwende vollzogen und sogenannten Ausschiffungszentren in Afrika zugestimmt. Und Merkel erntete Kritik, etwa von der Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament.

Ska Keller sagte:

«Es ist das eine, morgens im Bundestag die europäischen Werte zu beschwören und abends auf dem EU-Gipfel diese Werte zu opfern.»

Für Merkel zählt nach dieser Gipfelnacht allein die Frage: Wird sich die CSU in den Beratungen am kommenden Sonntag damit zufrieden geben, oder nicht?

Giuseppe Conte treibt Merkel vor sich her

Italiens neue Regierung der fremdenfeindlichen Lega Nord setzt auf Abschreckung. «Es kommt nicht in Frage, dass wir nur wegen Merkel über Sekundärmigration sprechen», sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte und drohte, die Gipfelbeschlüsse komplett zu blockieren.

epa06849059 Italian Prime Minister Giseppe Conte speaks at the end of a night of negotiation on migration during an European Council summit in Brussels, Belgium, 29 June 2018. EU countries' leade ...
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte.Bild: EPA/EPA

Conte wünscht, dass im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nicht mehr ausschliesslich nach Italien gebracht werden. Um kurz vor Mitternacht wird die Sitzung der Staats- und Regierungschefs unterbrochen, in kleinen Runden wird auf dem Flur unterhandelt. Emmanuel Macron vermittelt.

Schliesslich steht ein Vorschlag zur Debatte, der von elf Staaten unterstützt wird: EU-Staaten sollen freiwillig auf ihrem Gebiet Auffanglager für die Schiffsflüchtlinge einrichten, diese Auffanglager könnten gegebenenfalls auch ausserhalb der EU liegen.

Schon vor dem Gipfel hatte Ratspräsident Donald Tusk solche Ausschiffungszentren in Nordafrika angeregt. Die Debatte geht bis tief in den Morgen.

Fest aber steht: Die Verwerfungslinie in der Flüchtlingspolitik verläuft nicht mehr nur zwischen Ost und West, auch im Süden macht Italiens neue Regierung mit den Populisten von der fremdenfeindlichen Lega Nord gegen Europas Asylpolitik mobil.

Sebastian Kurz übt eine Politik der Nadelstiche

Unten in der Pressebar flimmerte noch das WM-Spiel Belgien gegen England über die Bildschirme, oben auf Ebene 20 des Ratsgebäudes hatte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zur Zwischenbilanz geladen. Und die hatte es in sich.

Er gehe «davon aus, dass es bilaterale Abkommen gibt», sagte Kurz mit Blick auf die Bemühungen von Kanzlerin Angela Merkel bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten über die Rückführung von Flüchtlingen zu schliessen. Das ist mal ein unfeiner Zug, wenn der Regierungschef Österreichs verkündet, woran andere Länder so arbeiten.

Mit Österreich hatte Merkel gesprochen, ebenso mit Italien und Ungarn. Merkel braucht diese Abkommen, andernfalls will Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer die Grenzen schliessen. Und auch da legte Kurz gleich nach. «Wenn Deutschland solche Massnahmen trifft, wird auch Österreich handeln», sagte Kurz. Im Klartext: Österreich schiebt dann auch Flüchtlinge zurück nach Italien.

Charmant parlierte Kurz und watschte in diesem schönen Wiener Ton auch gleich noch Angela Merkel ab. «Dublin gilt», sagte Kurz mit Blick auf den EU-Asylgrundsatz, wonach ein Flüchtling in dem EU-Staat seinen Asylantrag einzureichen hat, indem er in die EU einreist. Und er legte nach: «Auch wenn manche das 2015 anders gesehen haben.»

Unter «manche» ist Merkel und ihre Politik der Willkommenskultur zu verstehen. Und so mochte es Kurz bei dieser einen Stichelei auch nicht belassen. Er registrierte bei Merkel «eine andere Haltung als 2015».

Kurz fühlt sich bestätigt. Er sei heftig für seine rigiden Positionen in der Flüchtlingspolitik angegangen worden, sagte Kurz und stellte mit Genugtuung fest, das seine Meinung «nun mehr als nur mehrheitsfähig ist». Auch die CSU in Deutschland wird das freudig vernehmen.

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