Westliche Staaten haben zurückhaltend auf neue Vorwürfe Israels gegen den Iran reagiert. In den von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu präsentierten angeblichen Beweisen sahen Vertreter der USA, Deutschlands, Frankreichs und Grossbritanniens am Dienstag keinen Bruch des Atomabkommens mit dem Iran von 2015.
Während die europäischen Unterzeichnerstaaten keinen Grund für einen Kurswechsel sahen, bekräftigte US-Präsident Donald Trump seine grundsätzlichen Bedenken am Abkommen. Er will bis zum 12. Mai entscheiden, ob er neue Sanktionen gegen den Iran verhängt und das Abkommen damit faktisch aufkündigt.
Am Montagabend hatte Netanjahu Videos, Fotos und Grafiken vorgestellt, die zeigen sollen, dass der Iran entgegen seinen Beteuerungen ein Atomwaffenprogramm unterhalten habe. Der Iran wies die Vorwürfe umgehend zurück.
US-Aussenminister Mike Pompeo erklärte, die Unterlagen belegten frühere Lügen der iranischen Regierung, nie an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet zu haben. Übereinstimmend mit Vertretern anderer westlicher Regierungen urteilte der ehemalige CIA-Chef aber auch, ein Beleg für eine Verletzung des Atomvertrages von 2015 gehe daraus nicht hervor.
Trump bekräftigte seine Kritik, der Vertrag sei ein «furchtbares Abkommen für die USA». Der Iran werde nach sieben Jahren - dann läuft der Atomvertrag aus - wieder Atomwaffen entwickeln können. Dann würden sich Netanjahus Enthüllungen bewahrheiten.
Deutschland und Frankreich erklärten übereinstimmend, die von Netanjahu vorgestellten Unterlagen müssten zwar noch untersucht werden, aber schon jetzt stehe fest, dass sie die Notwendigkeit des Atomabkommens von 2015 bestätigten.
«Klar ist, dass die internationale Gemeinschaft Zweifel daran hatte, dass der Iran ein ausschliesslich friedliches Atomprogramm verfolgte», sagte ein deutscher Regierungssprecher. Aus diesem Grund sei das Atomabkommen geschlossen worden mit einem «präzedenzlos tiefgreifenden und robusten Überwachungssystem» der IAEA.
Es sei essenziell, dass die Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) das Einhalten überprüfen könne. Nach Angaben IAEA gibt es «keine glaubwürdigen Hinweise» auf ein iranisches Atomwaffenprogramm nach 2009. Dies teilte ein IAEA-Sprecher am Dienstag in Wien mit.
Der iranische Aussenminister Dschawad Sarif sprach auf Twitter von «alten Vorwürfen», mit denen sich die IAEA bereits befasst habe.
Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini erklärte, aus den Unterlagen von Netanjahu ergebe sich bislang keine Verletzung des Abkommens von 2015. Auch der britische Aussenminister Boris Johnson plädierte dafür, nicht am Atomvertrag mit dem Iran zu rütteln. Allerdings müssten auch die Bedenken der USA und anderer Verbündeter berücksichtigt werden.
Das französische Aussenministerium erklärte, die israelischen Informationen könnten ein Beleg für die Notwendigkeit sein, vom Iran Zusicherungen zu erhalten, sich längerfristig an seine 2015 für zehn Jahre gemachten Zusagen zu halten.
In seiner im Fernsehen übertragenen Präsentation hatte Netanjahu Materialen vorgestellt, die nach seinen Angaben aus einem iranischen Geheimarchiv stammten. «100'000 geheime Unterlagen» bewiesen, dass die iranische Führung mit ihrer Beteuerung gelogen habe, nicht nach Atomwaffen zu streben.
Bis 2003 habe der Iran an einem Projekt mit dem Codenamen «Amad» zum Bau von Atombomben gearbeitet. Selbst nach dem internationalen Atomabkommen habe der Iran sein Wissen über Kernwaffen zu erhalten und zu mehren versucht. Zudem hätte der Iran nach dem Abkommen von 2015 alle bisherigen Aktivitäten auf den Tisch legen müssen.
Netanjahu zufolge versteckte die iranische Führung die Dokumente zu seinem Atomwaffenprogramm an einem geheimen Ort in Teheran. Israel verfüge über Kopien dieser Unterlagen und werde sie anderen Staaten und der IAEA zur Verfügung stellen.
Israel sieht im Iran einen seiner gefährlichsten Gegner in der Region. Dessen früherer Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte mit der Auslöschung Israels gedroht. Durch den syrischen Bürgerkrieg hat der Iran seinen Einfluss an den Grenzen Israels ausbauen können, da es mit von ihm gesteuerten schiitischen Milizen zu den wichtigsten Unterstützern des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zählt.
2015 hatte die so genannte Sechsergruppe - USA, Russland, China, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland - nach jahrelangen Verhandlungen ein Abkommen mit dem Iran erreicht, in dem sich die iranische Republik zu IAEA-Kontrollen seiner Atomanlagen sowie den Verzicht auf eine Atombomben-fähige Urananreicherung verpflichtete.
Im Gegenzug stellte die Staatengruppe ihre Sanktionen gegen das unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten leidende Land ein. Der Vertrag hat eine zehnjährige Laufzeit. Trump sieht in ihm einen grossen Fehler, weil er das iranische Raketenprogramm ausser Acht lasse und die Bedingungen für Kontrollbesuche von Waffeninspektoren nicht genau definiere. (sda/reu/afp/dpa/vom)