Er sei jetzt irgendwo in Arizona*, heisst es, in einer Rehab für Sexsüchtige. Harvey Weinstein muss jetzt ja dringend seine «Dämonen» in den Griff kriegen. Auf das Laster folgt die Läuterung, und alles ist gut, so will es die amerikanische Legende. Die Entzugsklinik als Kirche der Gegenwart. Aber wie es so ist in der Kirche: Wunder sind längst keine mehr zu erwarten. Harvey Weinstein, bis eben noch mächtigster Mann von Hollywood, ist am Ende und möge nie mehr auferstehen.
George Clooney sagt, Harvey Weinsteins Verhalten sei «unhaltbar, nicht zu verteidigen». Harvey Weinsteins Ehefrau Georgina Chapman nennt es «unverzeihlich», was ihr Mann getan hat und verlässt ihn. Clooney und Chapman verdanken Weinstein ihre Karrieren, Clooney als Schauspieler und Regisseur, Chapman als Chefin des Modelabels Marchesa, das zufälligerweise in jenem Jahr ganz viele Schauspielerinnen für allerlei rote Teppiche einkleidete, als sie Weinstein heiratete.
Beide sind entsetzt, wollen aber nichts von der Schneise der Demütigung gewusst haben, die Weinstein fast dreissig Jahre lang durch die Riege junger Hollywood-Schauspielerinnen zog. Nichts von den Belästigungen, den Vergewaltigungen. Den sorgfältig mit einer Beruhigungstablette in Gestalt einer weiblichen Assistentin (die dann plötzlich verschwinden musste) eingefädelten Hotelzimmertreffen, die in Massagen, Masturbation oder auch einfach Sex endeten.
Weinstein war so präzise in seinen Vivisektionen wie ein guter Filmbösewicht. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versahen in Frage kommende junge Frauen mit dem Kürzel «F.O.H.». Friend of Harvey. Seine Produktionsfirma Miramax funktionierte als Weinsteins Bordell. Wer gegen ihn war, hatte in Hollywood keine Freunde mehr, fand sich plötzlich in der Klatschpresse breitgetreten, kriegte keine Aufträge mehr.
Er gab gerne damit an, dass er nicht wie Bill Cosby zu Beruhigungsmitteln habe greifen müssen, um die Frauen gefügig zu machen. Er hielt es ganz mit Donald Trump: «Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun ... grab 'em by the pussy.» Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten Verschwiegenheitsklauseln in ihren Arbeitsverträgen unterzeichnen. Das Aufgebot an Anwälten, mit denen er journalistische und polizeiliche Recherchen gegen ihn in den letzten Jahren zum Erliegen brachte, war bedrohlich.
Clooney sagt, natürlich habe man über Weinstein geredet im Sinn von «alter Sack macht schöne junge Frauen an», aber das sei ja nun mal einfach normal im Business. Wieso? Wieso können Arbeitsverhältnisse, die auf einem eklatanten Machtverhältnis beruhen, nicht allgemein mit Respekt und professioneller Souveränität angegangen werden? Fuck you, George Clooney!
Matt Damon, dem nachgesagt wird (er bestreitet es), 2004 zusammen mit Russell Crowe eine Enthüllungsstory über Weinstein verhindert zu haben, sagt, er hätte von nichts eine Ahnung gehabt. Aber jetzt, «als Vater von vier Töchtern», sei er angewidert und würde sich so seine Gedanken machen.
Fuck you, Matt Damon! Wie oft haben wir dieses «Jetzt, wo ich Töchter habe»-Argument schon gehört, wenn es um Fragen von sexueller Belästigung oder Missbrauch ging! Können sich Männer sowas erst richtig vorstellen, wenn ein weibliches Wesen so vollkommen unschuldig, schutzbedürftig und in allem von ihnen abhängig ist, wie das nur die eigene Tochter sein kann?
Vorher schweigt man darüber. Oder sagt: Schon schlimm, aber ... Eigentlich müsste man ihn jetzt entlassen, aber ... Ihr fühlt euch unwohl mit ihm? Hm, er ist halt einfach ein ganz armer Kerl, er kann nicht anders, er meint das nicht böse, nehmt ihn einfach nicht so ernst ... Und dann wird so lange geschwiegen, bis sich die lästige Verstörtheit heikler Frauen verzogen hat. Fuck you, silence!
Der 29-jährige Jurist und Journalist Ronan Farrow (der Sohn von Mia Farrow und Woody Allen oder Frank Sinatra, so genau weiss man das nicht) hat zehn Monate lang im Fall Weinstein recherchiert, das Resultat ist jetzt ein riesiger Artikel im «New Yorker». Die italienische Schauspielerin Asia Argento beschreibt darin detailliert, wie sie von Weinstein vergewaltigt und gefügig gehalten wurde. Es ist zum Heulen.
Im Fall von Argento dauerte der Alptraum fünf Jahre lang. Abwechslungsweise gab er ihr zu verstehen, dass er sie wirklich schätze, und forderte Sex, etwa für die Promotion ihres neuen Films. Als sie plötzlich als überforderte, alleinerziehende Mutter dastand, besorgte er eine Nanny für ihr Kind. Wohin auch immer sie sich drehte: Weinstein versperrte ihr den Weg, mit Drohungen oder perverser Güte.
Heute ist Asia Argento mit dem Koch Anthony Bourdain zusammen. «Ich bin stolz und geehrt, dich zu kennen. Du hast gerade das härteste Ding der Welt getan», twitterte dieser nach Erscheinen ihres Geständnisses im «New Yorker». «Können wir jetzt das Wort ‹Vergewaltiger› brauchen? #Weinstein», doppelte Bourdain nach und von Matt Damon erwartet er «The Bourne Apology». Argentos Bild auf Instagram versah er mit dem Kommentar «Proud as Hell».
.@AsiaArgento I am proud and honored to know you. You just did the hardest thing in the world. https://t.co/i2Lsb6h5vU
— Anthony Bourdain (@Bourdain) 10. Oktober 2017
Can we use the word “rapist” now? #Weinstein
— Anthony Bourdain (@Bourdain) 10. Oktober 2017
Der einzige Mann in Hollywood, der es in all den Jahren wagte, Harvey Weinstein an die Gurgel zu gehen und dies erst noch in der Öffentlichkeit einer Branchenparty, war Brad Pitt. Gwyneth Paltrow war damals 24, Weinstein bedrängte sie, sie lief davon, erzählte alles ihrem Boyfriend Brad und der stauchte Weinstein zusammen. Worauf dieser wiederum Paltrow bedrohte. Worauf dann auch Brad Pitt lieber schwieg.
Alle wussten es, sagen die Frauen, die einander vor Weinstein warnten und sich jetzt nach lähmenden Jahren im Schatten der Macht gemeinsam an die Öffentlichkeit wagen, zuerst in der «New York Times», jetzt im «New Yorker» und anderswo. Alle, auch die Männer. Wir wussten von nichts, sagen die Männer.
Die einzigen Frauen, die Weinstein zur Seite eilen, sind übrigens die gründlich enthirnte Lindsay Lohan und die Designerin Donna Karan, die vorschlägt, die Frauen hätten ja geradezu danach gebettelt, gewiss seien sie alle viel zu aufreizend angezogen gewesen. Sie muss es ja wissen, sie zieht Frauen schliesslich an. Fuck you!
*In einer früheren Fassung dieses Textes war von Europa die Rede. Dies ist inzwischen von den amerikanischen Medien korrigiert worden.