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Vielleicht wäre jetzt alles anders, wenn das National Hurricane Center (NHC) den aufkommenden Sturm im Westatlantik sogleich als Hurrikan eingestuft hätte – und nicht erst die vorsichtige Prognose «Tropischer Sturm» herausgegeben hätte.
Vielleicht hätte der Frachter «El Faro» (spanisch für Leuchtturm) dann das Auslaufen verzögert oder der Kapitän hätte eine andere, sicherere Route gewählt. Vielleicht wäre die Fahrt von Jacksonville, Florida nach Puerto Rico nur eine weitere Routinefahrt gewesen, wie sie täglich von Dutzenden Frachtschiffen bestritten wird.
Jetzt schwindet die Hoffnung mit jeder Stunde, dass die 33 Crew-Mitglieder überlebt haben, etwas mehr.
Ein Überblick über die Ereignisse:
Als der Kapitän den Frachter El Faro am Dienstag aus dem Hafen von Jacksonville heraussteuert, sind die Wetterbedingungen noch gut. Sie hätten den aufkommenden Sturm auf dem Radar, schreibt Michael Davidson dem Hauptquartier seiner Reederei, seine Crew sei gut vorbereitet.
Die Crew ist tatsächlich gut vorbereitet: Die 33 Seeleute sind alle erfahrene Crew-Mitglieder. Viele von ihnen sind Abgänger renommierter Marine-Akademien.
Derweil werden auf den Bahamas-Inseln erste Vorbereitungen für die Ankunft des Unwetters getroffen. Die Inselgruppe in der Karibik ist sich Stürme gewohnt. In der Hurrikan-Saison von Oktober bis November ziehen mitunter dutzende tropische Wirbelstürme über das Gebiet der ehemaligen britischen Kronkolonie.
Am frühen Donnerstagmorgen schreibt Danielle Randolph, eine der 33 Seeleuten der «El Faro», ihrer Mutter eine Email. Es sollten wohl ihre letzten Worte sein.
Der Frachter ist jetzt mitten im Bermudadreieck, der mysteriösen Gegend zwischen dem südlichen Zipfel von Florida, Puerto Rico und den Bermudasinseln im Atlantik. Seit Jahrhunderten ranken sich Gerüchte um übersinnliche Phänomene in der Gegend, die verantwortlich sein sollen für das Verschwinden von zahlreichen Schiffen und Flugzeugen.
Die Gefahr für die 33 Crewmitglieder auf der «El Faro» ist aber ganz real: Das Frachtschiff, beladen mit insgesamt 685 Containern, die von Lebensmitteln bis hin zu Autoersatzteilen alle möglichen Güter für den täglichen Gebrauch auf Puerto Rico enthalten, befindet sich Auge in Auge mit dem Hurrikan Joaquin, dem stärksten Wirbelsturm in der Region seit Igor 2010.
Mit 150 Stundenkilometer peitscht der Sturm durch die Karibik, meterhohe Wellen bedrohen nicht nur die Küstenregionen, sondern alles menschliche Leben auf See.
Für die «El Faro» hat ein grausamer Wettlauf mit der Zeit begonnen.
Am 1. Oktober um 4.01 Uhr, 28 Stunden nachdem die SS Faro aus dem Hafen von Jacksonville ausgelaufen ist, notiert die Website Marine Traffic die letzte bekannte Position des Frachters: :24.2747° Nord / 74.94522° West, zwischen Cat Island und der Turk Island.
Mittlerweile ist bekannt, dass das Containerschiff kurz zuvor per Satellitentelefon mit der Reederei kommuniziert hat. Der genaue Inhalt des Gesprächs wurde der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht, aber was zur Presse durchgedrungen ist, tönt besorgniserregend. Die «El Faro» habe Leck geschlagen, die Maschinen seien ausgefallen und das Schiff habe eine Neigung von 15 Grad erreicht. Dennoch, Michael Davidson verbreitet Optimismus: Die Situation sei «kontrollierbar», so der erfahrene Kapitän.
Gleichzeitig geht bei der Küstenwache in Portsmouth, Virginia, ein Notfunksignal von der «El Faro» ein. Mittlerweile ist klar: Der 40 Jahre alte Frachter befindet sich in ernsthaften Schwierigkeiten. Und mit ihm 33 Menschen.
Die Küstenwache in Clearwater, Florida lässt am Freitag zwei Lockheed-130 aufsteigen. Die viermotorigen Propellermaschinen sind auf Suchaufträge aus der Luft spezialisiert. Gleichzeitig werden der Kutter Northland und ein MH60-Jayhawk-Helikopter von Great Inagua, Bahamas abkommandiert. Noch ist die Zuversicht der Retter gross, das Frachtschiff oder eines der Rettungsboote zu finden.
Nur: Wie findet man ein 241 Meter langes Schiff auf einer Fläche von 3000 Quadrat-Kilometern? Und wie verhindert man, dass die Retter selbst in Gefahr geraten, bei einem Hurrikan, der mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Stundenkilometer über die Karibik zieht?
Die grossangelegte Suche zeitigt ein erstes Resultat, aber es ist keines, das die Herzen der Angehörigen höher schlagen lässt: Ein Rettungsteam der US-Küstenwache findet 193 Kilometer nordöstlich der Crooked Island einen orangenen Rettungsring, der später eindeutig dem verschollenen Frachter zugeordnet werden kann.
First #ElFaro life ring found on-scene by @USCGSoutheast aircrews transported back to U.S. pic.twitter.com/lsiEllnpqp
— USCGSoutheast (@USCGSoutheast) 6. Oktober 2015
Am Tag des Herrn zieht der Hurrikan Joaquin nordwärts ins offene Meer. Die Region um die Bahamas-Inseln kann langsam aufatmen. Erst jetzt wird die Hinterlassenschaft des Tropensturms richtig sichtbar. Überschwemmungen und Sturmschäden lassen Hunderte Personen obdachlos zurück, gekappte Stromleitungen und zerstörte Infrastrukturen erschweren die Rettungsarbeiten.
Die Suche nach «El Faro» schreitet derweil voran. Wrackteile und ein Container, der von einem Schiff nahe der Bahamas gefunden werden, lassen darauf schliessen, dass der Frachter der stürmischen See kein Paroli bieten konnte. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf den vier grossen Rettungsbooten und den fünf kleinen, sogenannten «Life-Boats», die auf dem Containerschiff angebracht waren und die selbst stürmischem Seegang trotzen sollen. «Unsinkbar» seien sie, die Rettungsboote.
Die Wassertemperatur in der Karibik beträgt um die Herbst-Jahreszeit 26 Grad Celsius. Ein Mensch kann bei dieser Temperatur vier bis fünf Tage überleben.
Jetzt ist der fünfte Tag der Suche angebrochen.
Als Mark Fedor, Captain der US-Küstenwache, am Montag vor die Mikrofone der lokalen und internationalen Presse tritt, wird das Herz der Angehörigen schwer und schwerer. Er bestätigt, was viele von ihnen insgeheim schon lange befürchtet haben: Das Schiff ist gesunken.
Zuvor hatten Retter eines der zwei Rettungsboote lokalisiert. Schwer beschädigt trieb das 43 Personen fassende Fiberglas-Rettungsboot im Wasser, inmitten der Trümmer ein lebloser Körper. Der Überlebensanzug, in den der Körper gehüllt ist, und der eigentlich wärmeisolierend wirken sollte, hat versagt.
Mit den ersten Sonnenstrahlen steigen die Rettungshelikopter der Küstenwache erneut auf. Mehr als 120 Stunden sind seit dem letzten Funkkontakt mit dem Containerschiff vergangen.
Die Angehörigen der Opfer sind verzweifelt. Und sie stellen Fragen: Wieso wählte der Kapitän die Route, die direkt in den Hurrikan geführt hat? Wieso fiel mitten im Sturm der Antrieb aus? Und war die 40-Jährige «El Faro» – ein greisenhaftes Alter für ein Frachtschiff – überhaupt noch seetüchtig?
Fragen, die die Reederei TOTE Maritime wohl bald im Kongress beantworten muss. Eine Bundesabgeordnete aus Florida hat eine Untersuchung im amerikanischen Parlament angekündigt, die Küstenwache und das National Transportation Safety Board werden unabhängige Abklärungen zum Untergang von «El Faro» durchführen – die SS «El Faro» fuhr unter amerikanischer Flagge.
Ob der Rumpf des Schiffes jemals geborgen werden kann, ist fraglich. Noch immer haben die Retter keine genaue Kenntnis darüber, wo es untergegangen ist. Und selbst wenn: Die Bergung eines Schiffes von der Grösse der «El Faro» 4500 Meter unter der Meeresoberfläche bedarf einer logistischen Meisterleistung.
Klar ist nur eines: «El Faro», der Leuchtturm, hat seine Strahlkraft verloren. Und mit ihm 33 Menschen ihr Leben.