Die Aussage von Big-Data-Guru Michal Kosinski ging nach Trumps Wahl 2016 um die Welt. In drastischen Worten hatte der Experte für Psychometrik in einem Artikel des Magazins dargelegt, wie Wähler mittels politischer Werbung auf Facebook manipuliert werden können.
Im Jahr darauf – und eine Enthüllung um russische Trollfabriken später – kroch Facebook-Chef Mark Zuckerberg öffentlich zu Kreuze: Seine Plattform sei im US-Wahlkampf für politische Propaganda aus dem Ausland missbraucht worden, räumte er ein. Und gelobte, mit den Wild-West-Verhältnissen aufzuräumen.
Inzwischen hat Facebook zahlreiche Massnahmen präsentiert, mit denen die Transparenz verbessert und Fake News bekämpft werden sollen. Der neueste Streich: Ein öffentliches Archiv, in dem seit Mai dieses Jahres Facebook- und Instragram-Werbungen mit politischen Inhalten abgelegt werden.
Forscher der New Yorker Tandon School of Engineering haben die Datenbank bereits durchforstet: In einer gross angelegten Untersuchung haben sie von Mai bis Juli mehr als 267’000 politische Werbungen analysiert und so die Organisationen mit der grössten Reichweite und den höchsten Ausgaben identifiziert.
Unter den Top-Werbekunden rangieren unter anderem das Komitee von Donald Trump, die US-Waffenlobby, ein Hersteller von patriotischen T-Shirts, das Komitee des demokratischen Politikers Beto O'Rourke und eine NGO, die sich um Fragen der Familienplanung kümmert.
Für die Schweiz ist eine solche Analyse noch nicht möglich. Einerseits speichert das Facebook-Archiv bislang nur politische Werbungen ab, die sich an US-Nutzer richten. Andererseits ist die Suchfunktion des Facebook-Tools aktuell noch wenig benutzerfreundlich: Es kann lediglich nach Stichwörtern gesucht werden, nicht aber nach bestimmten Seiten oder Ländern.
Selbst die New Yorker Cyber-Forscher fanden das Archiv «schwierig zu benutzen», wie sie in einer Medienmitteilung schreiben. Erst eine selbst entwickelte Data-Scraping-Technik brachte sie zum Ziel.
Fest steht jedoch: Auch in der Schweiz sind Facebook-Ads längst zu einem fixen Bestandteil in Wahl- und Abstimmungskämpfen geworden. «Ich rechne damit, dass die Parteien im Hinblick auf das Wahljahr 2019 nochmals mächtig aufrüsten, was Social-Media-Strategien und -Ausgaben betrifft», sagt Andrea Löpfe, Beraterin für Social Media-Strategien bei der Firma Hutter Consult.
Im Rahmen eines Blog-Beitrags hat sich Löpfe mit dem neuen Facebook-Archiv auseinandergesetzt. Für sie steht fest: «Die Transparenz-Offensive wird zu einer weiteren Professionalisierung des politischen Marketings in den sozialen Medien führen – auch in der Schweiz.»
Auf Facebook können Parteien mithilfe des sogenannten Microtargetings gezielt einzelne Wählergruppen adressieren: Beispielsweise junge Frauen, die in der Stadt Zürich leben und sich für Umweltthemen interessieren. Das Problem: Lange wusste niemand genau, wie gross der Kreis der Adressaten ist und nach welchen Kriterien die Empfänger ausgewählt wurden.
So soll die skandalumwitterte Firma Cambridge Analytica für Trumps Präsidentschafts-Wahlkampf 175’000 verschiedene Varianten von politischen Botschaften entworfen haben, die über Facebook passgenau an einzelne Wählergruppen ausgespielt wurden. «Wenn ich eine Hausratsversicherung verkaufen will, dann muss ich einen ängstlichen Familienvater anders ansprechen als einen risikofreudigen Manager», erklärte Daten-Guru Michal Kosinski die Idee dahinter im Interview mit watson.
«Das Gefährliche im US-Wahlkampf war, dass teilweise gezielt mit Falschinformationen gearbeitet wurde», so Andrea Löpfe. Indem nun Licht in die Blackbox gelange, könnten problematische Ads besser aufgespürt werden. «Dies dürfte gleichzeitig zu einer Legitimierung von sauberem Microtargeting führen.»
Einen Eindruck davon, wie häufig die Möglichkeit in der Schweiz bereits benutzt wird, vermittelte die Aktion #PolitikAds vergangenes Jahr. Unter dem Hashtag sammelte eine Gruppierung um die Journalistin Adrienne Fichter personalisierte Facebook-Werbung – und machte sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Es kamen Beispiele aus allen politischen Lagern zusammen, auch Organisationen wie Greenpeace oder die Operation Libero schalteten entsprechende Online-Inserate.
Vieles deutet daraufhin, dass die Parteien ihre Anstrengungen im Hinblick auf das kommende Wahljahr nochmals intensivieren werden. So sucht die SVP Schweiz derzeit auf ihrer Website via Stelleninserat per sofort einen «wissbegierigen» Social-Media-Manager.
Auch einen weiteren Nebeneffekt könnte die Archiv-Funktion von Facebook haben: Plötzlich wird es möglich, die Ausgaben von Parteien für politische Werbung im Netz zu berechnen. «Es wird interessant sein zu sehen, welche Zielgruppen die Parteien anvisieren – und was sie es sich kosten lassen», so Löpfe.
Naiv wäre es laut der Expertin, sich der Illusion hinzugeben,
dass Schmutzkampagnen dank der zusätzlichen Kontrolle komplett aus den sozialen Medien verschwinden. «Im Gegenteil: Mit der Rückverfolgbarkeit erhalten die Parteien ein neues Mittel, um Aufmerksamkeit zu generieren.» Wenn gezielt bestimmte Gruppen – zum Beispiel Secondos – angegangen werden, lasse das Medienecho erfahrungsgemäss nicht lange auf sich warten.