Die Schweizer Behörden müssten genau hinsehen, dass Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) nicht in nationale Propaganda für den türkischen Staat übergehe. Dies forderte ein langjähriger Integrationsexperte. Der Dialog mit den Veranstaltern sei aber wichtiger als Vorschriften.
Anlass der Sorge ist die theatralische Darstellung der Schlacht von Gallipoli durch schweizerisch-türkische Primarschüler in Uttwil TG, die Ende März im Rahmen eines HSK-Kurses über die Bühne ging.
Der Integrationsexperte Markus Truniger zeigt in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» und dem «Bund» vom Samstag Verständnis für die öffentliche Empörung über die «fragwürdige Aufführung». Aufklärung zu verlangen, sei berechtigt, sagt Truniger, der wesentlich an der Schaffung des Rahmenlehrplans für den Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur beteiligt war.
Deswegen das «gut funktionierende Modell des Ergänzungsunterrichts in heimatlicher Sprache und Kultur infrage zu stellen», ginge jedoch zu weit.
Vielmehr müssten die Schweizer Behörden genau hinschauen, wo Geschichtsunterricht in nationalistische Propaganda übergehe, fordert er. Die Darstellung einer Schlacht sei an sich noch kein Problem; problematisch werde es aber dann, wenn der Unterricht «zur Indoktrination ohne kritische Auseinandersetzung mit historischen Mythen» verkomme.
Dies würde den Grundsätzen der Volksschule widersprechen und wäre ein Verstoss gegen die Bedingungen für eine Bewilligung dieser HSK-Kurse. «Wo die Grenze liegt, muss nun mit den türkischen Veranstaltern der Kurse besprochen und geklärt werden.» Deren Interesse, solche Kurse im Rahmen der Volksschule durchzuführen, sei nämlich gross.
Bei der erwähnten Theateraufführung in einer Thurgauer Mehrzweckhalle stellten die Primarschüler mit türkischen Wurzeln in Militäruniformen und mit Spielzeugwaffen die Schlacht von Gallipoli nach - eine Schlacht aus dem Ersten Weltkrieg, bei der die Soldaten des Osmanischen Reiches britische, australische und französische Einheiten zurückschlugen.
Treibende Kraft hinter der Darbietung war laut dem «SonntagsBlick» die türkische Botschaft in Bern, im Publikum sassen Ehrengäste aus Ankara. Die Schüleraufführung fand im Rahmen des Unterrichts in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) statt, den die Volksschule Kindern mit ausländischen Wurzeln anbietet.
Eingeführt wurde er in den 1960er-Jahren für die Kinder der Arbeitsmigranten aus Italien. Im Schuljahr 2014/2015 gab es allein im Kanton Zürich HSK-Angebote in 27 Sprachen, die von rund 10'200 Schülern besucht wurden.
Finanziert und organisiert werden die Kurse von den Herkunftsstaaten oder von Elternvereinen. Genehmigt würden die Kurse allerdings «erst nach der Sichtung der Lehrmittel und unter der Voraussetzung, dass die Rahmenbedingungen eingehalten werden».
Als während des Bürgerkriegs in Sri Lanka in HSK-Kursen die Tamil Tigers verherrlicht wurden, habe der Kanton Zürich interveniert und auf eine Anpassung der Kurse gepocht. Sehr wichtig sei auch der stete Dialog mit den HSK-Lehrpersonen, hält Truniger fest - «sogar wichtiger als formale Vorschriften».
Für Schlagzeilen sorgten nebst der Schüleraufführung jüngst auch die Pläne der türkischen Regierung, im Rahmen eines gross angelegten Bildungsprogramms in 15 westlichen Staaten Wochenendschulen zu gründen. Auch in der Schweiz sind solche Angebote geplant. Medien sprechen von einer Bildungsoffensive des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Hinter dem staatlichen Projekt steht das Ministerium für Auslandstürken (YTB), eine 2010 von der AKP-Regierung gegründete Behörde. Die neuen Schulen in der Schweiz sollen von türkischen Organisationen geführt werden und sind als freiwillige Ergänzung zur Volksschule gedacht - in Konkurrenz zum HSK-Unterricht.
Auf diese Pläne angesprochen, räumte Truniger ein, dass die Volksschule auf solche Angebote im Unterschied zu HSK-Kursen keinen Einfluss nehmen könnte. (sda)