In seinem russischen Exil hat der aus seinem Land geflohene ukrainische Ex-Präsident Viktor Janukowitsch ganz andere Sorgen als die grosse Politik. Bei einem Tennismatch habe er sich am Knie verletzt, sagt der 68-Jährige bei einem Auftritt in Moskau Anfang des Monats.
Weit weg sind die dramatischen Ereignisse vor exakt fünf Jahren, als er am 21. Februar 2014 fliehen musste. Grund dafür waren die blutigen Proteste proeuropäischer Ukrainer auf dem Maidan, die weg wollten von Janukowitschs Russland-Hörigkeit in eine Zukunft in der EU.
Mehr als 100 Menschen starben damals auf dem Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, in Kiew. An den Bäumen der Allee der «Helden der Himmlischen Hundertschaft», die zum Maidan führt, hängen noch immer mit Klebeband befestigte Fotos von toten Demonstranten.
Provisorische Gedenksteine mit stilisierten Kosaken-Säbeln, Stapel mit Pflastersteinen und Windlichtern erinnern an die dreimonatigen Proteste, die mit blutigen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften endeten. Der Bau eines Gedenkkomplexes lässt weiter auf sich warten. Eine provisorische Ausstellung zum Jahrestag soll Besuchern der Hauptstadt die Ereignisse näher bringen.
Indessen sieht sich Janukowitsch in Sicherheit – eine Auslieferung wegen Hochverrats in seine frühere Heimat muss er nicht fürchten. Der russische Präsident Wladimir Putin garantiert seinen Schutz.
Janukowitsch lebt nach russischen Medienberichten in Luxus, trifft sich mit Geschäftsleuten, wird bei Pressekonferenzen hofiert. Dabei ist sein Land, die Ukraine, zerrissen. Krieg, Armut und Vertreibung bestimmen für viele Menschen in der Ostukraine den Alltag.
Dass Janukowitschs Nachfolger Petro Poroschenko, ein auch mit einem Schokoladenimperium zu Reichtum gekommener Oligarch, um seine Wiederwahl fürchtet, kommentiert der gefallene Politiker beinahe genüsslich. «Das ist alles wie in einem schrecklichen Traum für alle Beteiligten», sagte Janukowitsch unlängst vor Journalisten.
Eine Zukunft mit ihm wäre die bessere Option für das Land gewesen, ist er sich sicher. Die Halbinsel Krim wäre nicht an Russland gefallen in einem vom Grossteil der Welt nicht anerkannten Referendum; in der damals recht gut aufgestellten Ostukraine, woher Janukowitsch stammt, wäre Frieden, glaubt er.
Fünf Jahre später hat das Land zwar die von der EU versprochene Visafreiheit und das Assoziierungsabkommen, das Janukowitsch zu Gefallen Russlands nicht unterzeichnen wollte. Aber sonst gibt es wenig Lichtblicke.
In Kiew gibt es zum Jahrestag des Blutbades auf dem Maidan Glockengeläut, Kerzen, Nelken und Rosenblätter. Das Trauma ist nicht aufgearbeitet. Ob Janukowitsch damals Scharfschützen den Schiessbefehl gab, ist noch immer nicht geklärt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der tödlichen Schüsse, noch wurde jedoch niemand verurteilt.
Auslöser der Proteste war eine Abkehr von Russland zugunsten eines proeuropäischen Kurses. Vor der Präsidentenwahl am 31. März erinnert Amtsinhaber Petro Poroschenko immer wieder daran, worum es damals ging, wofür es so viele Opfer gab. Er schwört die Ex-Sowjetrepublik auf einen Kurs in die EU und die Nato ein. Ein Zurück gibt es nicht.
Und Janukowitschs Erbe in der Heimat? Die einst regierende Partei der Regionen hat sich aufgelöst. Einige Gefolgsleute gründeten sich als Oppositionsblock neu, zerstritten sich aber bald wieder, sie spielen kaum eine Rolle in der Kiewer Politik.
Bei der Präsidentenwahl könnte vielmehr jemand das Rennen machen, der auch in Russland beliebt ist: der Komiker Wladimir Selenski, der zuletzt schon in einer Satire Präsident spielte und auch Poroschenko parodierte.
Zu lachen haben die Menschen in der Ukraine sonst nicht viel. Wirtschaftlich hat sich ihre Lage kaum verbessert: Aktuellen Umfragen zufolge sind die Menschen dort so unzufrieden wie noch nie zuvor.
Mehr als 70 Prozent der Einwohner sind unglücklich über die Entwicklung des Landes. Doch sehnen sich nur wenige nach einem Leben unter Janukowitsch zurück. Viele Ukrainer wollen im EU-Ausland Arbeit finden, vor allem im benachbarten Polen.
Das Land, das nach einer Statistik des Internationalen Währungsfonds das ärmste in Europa ist, geht zudem bald in das sechste Kriegsjahr. Im Osten sind seither mehr als 13'000 Menschen in den Kämpfen der prorussischen Separatisten mit den Regierungssoldaten gestorben. Hunderttausende sind vor dem Krieg ins benachbarte Russland geflüchtet – und wollen auch nie wieder zurückkehren.
Dass Janukowitsch jemals wieder nach Kiew zurückkehren wird, ist unwahrscheinlich. Sein einstiges prunkvolles Anwesen Meschyhirja im Norden von Kiew steht leer, ist aber ein Besuchermagnet für Schaulustige. Bis zu 3000 Besucher kommen am Wochenende vorbei, das riesige Gelände ist vor allem für Picknicks oder Velotouren im Sommer beliebt.
Die Residenz mit goldenen Kronleuchtern, luxuriöser Ausstattung und ausgestopften Tieren ist dabei weniger interessant. Die Menschen wollten ja nicht zu Janukowitsch, sagt Denis Tarachkotelnik, der Verwaltungsleiter des gerichtlich beschlagnahmten Gebäudes. Sie wollten auf dem herrlichen Grundstück einfach vom harten Alltag abschalten. (aeg/sda/dpa)