Am Sonntag, 6. März 2022 kamen Tetiana Perebyinis und ihre beiden Kinder Alisa (9) und Mykyta (18) ums Leben. Auf der Flucht von Irpin ins 27 Kilometer entfernte Kiew wurden sie von einer Mörsergranate getötet.
Noch bevor man ihren Namen kannte, kannte man ihre Gesichter. Drei leblose Körper auf dem Asphalt. Gesichter und Hände rot vom Blut. Daneben liegen ihre Koffer. Ukrainische Soldaten eilten zu Hilfe. Versuchten Leben zu retten, wo es schon zu spät war.
Ein Team der «New York Times» befand sich nur wenige Meter von der Detonation der Granate entfernt. Die Fotografin und Pulitzer-Preisträgerin Lynsey Addario war dabei. Sie fotografiert die tote Familie. Die Soldaten, die zur Hilfe eilten.
Am Montag, einen Tag später, prangte die tote Familie Perebyinis auf der Titelseite der «New York Times». Das Bild löste eine Welle der Entrüstung aus. Sowohl die Times, als auch Fotografin Addario wurden für die Publikation kritisiert.
Mit dem anhaltenden Krieg steigt auch die Zahl ziviler Opfer. In der Hafenstadt Mariupol soll die russische Armee eine Geburtsklinik in Schutt und Asche gebombt haben. Die Bilder davon sind grauenhaft.
Auch auf der watson-Redaktion stellen wir uns derzeit immer wieder die Frage: Was veröffentlichen wir, was nicht? Welche Bilder vom Krieg können gezeigt werden? Sollen Bilder von toten Menschen in Zeitungen gedruckt oder online publiziert werden?
«Die wichtigsten Aufgaben von Journalistinnen und Journalisten ist zu zeigen, was passiert», sagt Christian Schicha. Er ist Medienwissenschaftler und Professor für Medienethik im Deutschen Erlangen.
Auch Schicha kritisiert, dass die «New York Times» das Bild auf die Frontseite druckte. «In gedruckter Ausgabe hängt dieses Bild danach an jedem Kiosk. Jeder kann es sehen – auch Kinder und Jugendliche. Das kann traumatisieren und verstören.»
Anderseits sagt der Medienethiker aber auch: «Es ist wichtig, über diese grauenhaften Vorkommnisse zu berichten, Bilder zu zeigen. Trotzdem sollten Bilder von Opfer nur dann gezeigt werden, wenn die Personen nicht identifizierbar sind.»
«Man hätte die Gesichter der toten Familie verpixeln sollen», sagt Schicha. «Dass Angehörige über die Medien vom Tod ihrer Liebsten erfahren, ist eine absolute Horrorvorstellung.»
Im Falle von Tetiana, Alisa und Mykyta Perebyinis war es so. Serhiy Perebyinis, der Vater der Familie, erfuhr vom Tod seiner Frau und Kinder über Twitter.
Als die Mörsergranate explodierte, befand sich Serhiy Perebyinis im Osten der Ukraine. Dort pflegte er seine an Covid-19 erkrankte Mutter. Er wusste vom Fluchtplan seiner Frau und Kinder. Lokalisierte sie immer wieder auf dem Handy.
Am Sonntagmorgen zeigte das Handy seiner Frau neue Koordinaten an: Ein klinisches Krankenhaus in Kiew. Perebyinis versuchte, seine Frau zu erreichen. Doch niemand ging ans Telefon.
Eine halbe Stunde später liest er auf Twitter, dass eine Familie bei der Explosion einer Mörsergranate ums Leben kam. Kurz darauf sieht er das erste Bild. «Ich erkannte ihr Gepäck und wusste, dass sie es waren», sagte der 43-Jährige am Mittwoch gegenüber der «New York Times».
Dennoch spricht sich Perebyinis im Gespräch mit der Times für die Veröffentlichung der Bilder aus. «Die ganze Welt muss sehen, was hier gerade passiert.»
Auch für die langjährige Kriegsreporterin Petra Ramsauer ist das Bild ein «zeithistorisches Dokument der Kriegsverbrechen Russlands». «Ich bin der Meinung, dass das Ausmass der Kriegsverbrechen alle anderen Regeln ausser Kraft setzt und das Foto gezeigt werden soll», so Ramsauer gegenüber dem «Standard».
Medienethiker Schicha sagt: «Wenn Angehörige explizit um eine Veröffentlichung bitten, dann ist das etwas anderes. Denn solche Bilder haben eine enorme Wirkung.»
Schicha ruft das Bild des dreijährigen kurdischen Jungen Aylan Kurdi in Erinnerung. 2015 ging das Foto der Kinderleiche um die Welt. Ein lebloser kleiner Körper, angeschwemmt an der türkischen Mittelmeerküste. Zuerst wurde das Gesicht Kurdis verpixelt. Dann appellierte dessen Vater an die Medien, die Fotos zu veröffentlichen. Die Publikation löste eine Welle an Solidarität aus.
Ob Medien Bilder von toten Kindern und Kriegsopfern publizieren, ist stets eine Abwägung. Einfach ist es nicht. Das sagt auch Matthis Schick, leitender Arzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik des Universitätsspitals Zürich.
«Es ist eine zweischneidige Geschichte», sagt Schick. Das wisse auch jede NGO, die mit solchen Bildern versucht, Menschen emotional zu erreichen. «Man kann etwas, das so weit weg ist von unserem Alltag, nicht ohne die visuelle Ebene vermitteln. Das hat den Vorteil, dass man Solidarität generieren und nähren kann.» Doch es könne auch zu emotionalen Überreaktionen kommen, fügt Schick an. «Solche Bilder können Menschen überfordern, mit der Zeit aber auch abstumpfen.»
Scalina58
dieser sinnlose Krieg ist grauenvoll!! 😢😢
Kaoro
olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario