Siebeneinhalb Monate nach dem Überfall wird ein russischer Sieg gegen die Ukraine immer unwahrscheinlicher. Während die Verteidiger ihr Land mit Gegenoffensiven Stück für Stück befreien, scheint die Mobilisierung die Probleme der russischen Armee nur zu verschlimmern. Jetzt wagen sich renommierte Militärexperten und Historiker mit Prognosen zum Ende des Krieges aus der Deckung – und zeichnen ein düsteres Bild für Kriegsherr Putin.
«Die Krim ist der grosse Preis, darum wird es am Ende gehen», sagt US-General Ben Hodges, der von 2014 bis 2017 die US-Streitkräfte in Europa befehligte. «Die Ukrainer haben gewonnen, wenn auch der letzte russische Soldat die Halbinsel über die Kertsch-Brücke verlassen hat», sagte der General bei einer Online-Konferenz mit Blick auf die einzige Verbindung zwischen der Krim und dem russischen Festland. Hodges glaubt auch zu erkennen, wie die Ukrainer beim Vormarsch auf die Krim vorgehen werden.
«Die militärischen Operationen dazu laufen schon, die Ukrainer stossen jetzt von Norden aus der Region Charkiw nach Mariupol vor, und sobald die bei Cherson eingeschlossen russischen Truppen besiegt sind, wird die ukrainische Armee aus zwei Richtungen auf die Krim zusteuern können», erklärt Hodges. «Das wird schon in den kommenden Wochen passieren, und sobald die russischen Stützpunkte auf der Krim in Reichweite der ukrainischen Artillerie sind, ist es nur noch eine Frage der Zeit.» Ein Blick auf die Landkarte verdeutlicht, was Hodges meint:
Der Kampf um die Krim werde allerdings heftig, gibt Mark Hertling zu bedenken. Hertling ist ebenfalls General der US-Armee und kommandierte deren Streitkräfte in Europa von 2011 bis 2012. «Die Krim ist von hoher strategischer Bedeutung für Russland, die Schwarzmeerflotte ist in Sewastopol stationiert, es gibt zwei russische Luftwaffenstützpunkte und viele Russen, die auf der Krim leben. Für die Ukrainer wird es ziemlich schwierig werden, die Krim über die wenigen Zugangsstrassen durch sumpfiges Gelände überhaupt zu betreten», sagte Hertling ebenfalls auf der vom «Center for European Policy Analysis» (CEPA) organisierten Konferenz.
Die Russen hätten die Krim 2014 vor allem mit Marineeinheiten über das Wasser und mit Spezialtruppen erobert, so Hertling: «Die Ukrainer haben aber keine Marine und werden sich auf ihre Langstreckenartillerie verlassen müssen. Um Gebiete zu erobern und zu halten, braucht man aber Soldaten auf dem Boden. Und das wird ein heftiger Kampf.» Zumal die Krim für den Kreml einen höheren Stellenwert habe als andere Regionen der Ukraine:
«Bis jetzt haben die Russen ihre Marine und ihre strategischen Bomber noch nicht in dem Umfang eingesetzt, wie sie könnten», so Hertling. Ben Hodges rechnet eher damit, dass die Russen von der Krim flüchten werden, sobald ihre Stützpunkte in Reichweite der ukrainischen Artillerie geraten.
Nach Ansicht des US-Historikers Timothy Snyder wird der Krieg dagegen politisch beendet – und zwar in Moskau. «Die militärische Niederlage der Russen in der Ukraine wird sich unmerklich in einen Machtkampf innerhalb Russlands verwandeln, und dieser Machtkampf wiederum wird einen Rückzug aus der Ukraine nötig machen», schreibt der renommierte Osteuropa-Experte.
Der entscheidende Fehler von Kremlchef Putin sei die Mobilmachung gewesen, argumentiert Synder. Dadurch sei der Krieg von einem TV-Ereignis in einem anderen Land zu einem politischen Problem in Russland geworden, während die Massnahme militärisch nicht ausreiche, um die Ukraine zu besiegen.
In Ramsan Kadyrow und Jewgeni Prigoschin sieht Snyder die entscheidenden Akteure, die Russland zum Rückzug aus der Ukraine zwingen könnten. Der Tschetschenenführer und der Chef der Söldnertruppe Wagner verfügen beide über Privatarmeen, die mehr und mehr in Konkurrenz zur regulären Armee stehen, während sie gleichzeitig die Führung im Kreml immer heftiger attackieren.
Die Tatsache, dass Kadyrow sich nicht an der Mobilisierung beteiligt, während Prigoschin in Gefängnissen um Rekruten wirbt, deutet Snyder als Versuch der beiden, ihre besten Kämpfer zu schonen: «Sie verlangen von Putin, einen Krieg zu gewinnen, den sie selbst offenbar gar nicht gewinnen wollen», so Snyder. Damit würden sie Putin weiter schwächen.
«Wenn rivalisierende Kräfte ihre Truppen für einen Machtkampf in Russland zurückhalten, wird es irgendwann keiner Seite mehr logisch erscheinen, die eigenen Kämpfer in der Ukraine töten zu lassen. An einem bestimmten Punkt wird sich auch die Armee dieser Logik nicht mehr entziehen können». Wenn Putin an der Macht bleiben wolle, habe er schliesslich kein Interesse an demoralisierten und schwach erscheinenden Streitkräften.
Aus dieser Lage könne sich Putin auch mit seinen Atomdrohungen nicht mehr befreien, glaubt Snyder. Militärisch würde deren Einsatz ohnehin keine Wende bringen, da die ukrainische Armee sehr dezentral kämpfe und keine grossen Truppenansammlungen als Ziele biete.
Ein Atomwaffeneinsatz würde die Ukrainer auch nicht davon abhalten weiterzukämpfen, aber die Legitimation des Krieges in Russland weiter schwächen, so Synder:
(t-online.de)
In der Folge würden wohl abtrünnige Republiken die Chance nutzen und sich abspalten.
Putin würde wirklich zum Totengräber Russlands.
Sehr schön gesagt. Plötzlich mittendrin statt nur dabei.
In der Ukraine gleich wie in Russland. Putin verliert an beiden Fronten.
In der Ukraine verliert Kanonenfutter das Leben, in Russland der Staat die zukünftige Elite.
Plötzlich kann es jeden treffen. Verlieren wird aber in jedem Fall Russland selber.