Als die USA 1942 in den Zweiten Weltkrieg eintraten, kursierten in den Südstaaten wilde Gerüchte sexuellen und gewalttätigen Inhalts. Viele Weisse sahen damals, wie sich unheimliche Vorgänge vor ihren Augen abspielten:
Nichts davon stimmte, doch viele glaubten es trotzdem. Selbst einige Zeitungen berichteten darüber, als ob es wahr wäre. So viel Anklang fand das Gerücht über die Präsidentengattin, dass sich das Weisse Haus genötigt sah, das FBI mit einer Untersuchung zu beauftragen. Die Bundespolizei unter ihrem notorisch paranoiden und Schwarzen-hassenden J. Edgar Hoover fand keinerlei Belege. Trotzdem hielten sich die Gerüchte weiter.
Gerüchte hiess das damals. Heute würde man sagen, die Südstaaten seien «Fake News» auf den Leim gegangen. Obwohl die Ereignisse ein Dreiviertel-Jahrhundert zurückliegen, finden sich tatsächlich aufschlussreiche Parallelen zur heutigen Situation.
Die Sozialpsychologen Gordon Allport and Leo Postman schrieben 1947, die wildesten Gerüchte würden dann spriessen, wenn die Öffentlichkeit ein epochales Ereignis erwartet. Auf die landwirtschaftlich geprägten, von Weissen beherrschten Südstaaten im Jahr 1942, wo der Kriegseintritt vieles durcheinander brachte, traf das zweifellos zu.
Millionen schwarzer Männer wurden in den Militärdienst eingezogen (dieselben, die angeblich zurückblieben und nun die weissen Frauen für sich hatten) oder fanden in den gut bezahlten staatlichen Rüstungsbetrieben Arbeit.
Mit den Männern (schwarz und weiss) in Kasernen oder auf den Schlachtfeldern Europas und Asien-Pazifiks erwuchsen auch Frauen nie zuvor dagewesene Berufschancen.
Mit der ökonomischen Unabhängigkeit wurden die Rufe nach Gleichberechtigung lauter. Schwarze Armeeangehörige verlangten, in Restaurants bedient zu werden. Kurzum: Die alte Ordnung geriet ins Wanken, die Leute spürten es – und wurden empfänglich für Gerüchte.
Parallelen zur Aktualität drängen sich auf. 2008 schaffte erstmals ein Schwarzer die Wahl zum US-Präsidenten. Er ist christlichen Glaubens, doch einer von drei Amerikanern glaubt, Obama sei Muslim. Unter den Republikanern ist es fast die Hälfte. Und unter Trump-Anhängern zwei Drittel.
Derselbe Trump beförderte eine Theorie, wonach sein Vorgänger nicht in den USA, sondern in Kenia geboren wurde. Auch dieses nachweislich falsche Gerücht hält sich in einschlägigen Kreisen bis heute hartnäckig.
2015 schickte sich Hillary Clinton an, als erste Frau Präsidentin zu werden. Plötzlich hiess es, sie betreibe aus dem Keller einer Pizzeria in Washington Kinderhandel. Fast die Hälfte der Trump-Anhänger glaubte, «Pizzagate» sei echt. Einer von ihnen ist der Sohn des inzwischen zurückgetretenen Nationalen Sicherheitsberater Mike Flynn. Ein anderer schritt zur Tat und schoss in dem Restaurant um sich. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Damals wie heute ist es ein spezielles Segment der Gesellschaft, das offenbar besonders empfänglich für Fake News ist. US-Historiker Joshua Zeitz bringt es auf den Punkt:
Zeitz stellt die Frage, ob die Institutionen in den USA stark genug ausgeprägt sind, um dem Ansturm der Fake News zu widerstehen. Für jene, die das Problem nicht wahrhaben wollen, sollte Pizzagate seiner Meinung nach ein Weckruf sein.